Kaum zeigen sich im Frühling die ersten Sonnenstrahlen, strömen neben den Senioren auf Geranienpirsch auch trendbewusste Städter in die Gewächshäuser, die ihr grünes Refugium hegen und pflegen wie einen Schlossgarten: den eigenen Balkon, und sei er noch so klein. «Gärtnern ohne Garten» ist einer der wichtigsten Wohntrends in der verdichteten Schweiz.

«Balkone und Kleinterrassen werden heute wie Wohnzimmer vollständig eingerichtet», sagt Andreas Schedler, Gärtnermeister von Hauenstein AG, Baumschule und Gartencenter in Rafz ZH. Weil sie den Wohnraum nach draussen erweitern, sollen sie ein Maximum an Komfort und Genuss bieten.

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Tempel moderner Wohnkultur

Entsprechend haben sich Gartencenter zu Tempeln moderner Wohnkultur gewandelt und führen ein vollständiges Living-Angebot in der Outdoor- Version. Selbst Teppiche und Bilder gibt es mittlerweile in wetterfesten Varianten. Vielfalt ist auch bei den Pflanzen oberstes Gebot. Das Interesse an allem, was grünt und blüht, ist gross. Viele Jahre wurde die grüne Kulisse streng in Form getrimmt, Buchsbaumkugeln und Eibenhecken waren Ausdruck von japanisch inspiriertem Minimalismus, Grün gab den Ton an. Das ist vorbei.

«Schlichte Architektur und ein karger Balkon waren zu viel der Strenge», sagt Erwin Meier- Honegger, Geschäftsführer des Gartencenters Meier in Dürnten ZH, «Verspieltes und Sinnliches ist wieder gefragt.» Auch Andreas Schedler vom Gartencenter Hauenstein stellt fest, dass das Pendel zurückschlägt: «Die Kunden wollen wieder auf kleinstem Raum die Natur spüren.» Dazu gehören die Gewächse, die alle Sinne ansprechen: die Kräuter.

Laut Andreas Schedler liegt «alles, was mit Gesundheit in Verbindung gebracht wird, im Trend». Die Apfelbeere etwa, reich an Vitamin C, oder das Kraut der Unsterblichkeit, eine chinesische Schlingpflanze, gehören bei Hauenstein zu den Verkaufsschlagern. Aber auch mediterrane Grünlinge wie Rosmarin, Basilikum oder Lavendel sind gefragt, bei denen sich die Balkonbesitzer auch ausserhalb der Ferien wie in der Toskana oder der Provencefühlen.

Kräuterparadies

Wer Kräuter mag, fühlt sich in den Gartencentern wie im Schlaraffenland: Ein Minzeliebhaber kann zwischen einer Vielzahl von Sorten wählen, von Apfelminze über Bananenminze bis zu Englischer Minze, Zitronenminze oder Samtminze. Wichtig bei Kräutern, betonen Fachleute, ist der Standort: Zwischen Frühling und Herbst gehören sie nicht an einen geschützten Platz, sondern fühlen sich Sonne, Regen und Wind ausgesetzt am wohlsten. Im Zeitalter des urbanen Gärtnerns dürfen es neben Kräutern auch Beeren, Salate und Gemüse aus dem eigenen Anbau sein - kurz: alles, was Vitamine liefert.

Erwin Meier-Honegger stellt eine besonders grosse Nachfrage nach scharfen Schoten fest: Peperoni, Peperoncini oder auch Chili sind nicht nur pflegeleichter als Tomaten, sie zeigen auch eine grössere Formen- und Farbenvielfalt. Geschickt arrangiert, bietet auch buntlaubiges Gemüse wie Krautstiel oder die dekorative Artischocke viele Monate etwas fürs Auge, bevor sie den Gaumen beglücken.

Grosser Auftritt

In Hochbeete gepflanzt, geniessen Kraut und Rüben einen besonderen Auftritt. Die Minigärten auf Beinen haben den Weg von den Alterswohnungen in die Lofts geschafft und gelten als letzter Schrei in urbanen Aussenräumen. Sie können im Stehen gepflegt werden, sind mobil und brauchen wenig Platz. Ob aus Holz, Kunststoff, Edelstahl oder Stein – die Gartencenter führen fixfertige Modelle vom Trolley mit Rädern bis zum Klappbeet aus Stoff. Für Heimwerker gibt es auch Bausätze zum Selbermachen.

Vermehrt halten auch Obstbäume Einzug in die Freiluftzimmer, sei es in einem einzelnen Gefäss oder in Form einer Hecke. Dafür sorgen neu gezüchtete, schlanke und kompakte Wuchsformen. Diese Säulenobstbäume wachsen in die Höhe anstatt in die Breite wie auf dem Feld. Je nach Obstsorte und Obstart werden sie nur 40 bis 60 Zentimeter breit und zwei bis vier Meter hoch. Die Früchte spriessen entlang dem Mitteltrieb.

Pflegeleichte Obstbäume

«Ob Apfel, Birne oder Aprikose – nahezu jede Obstsorte kann auf dem Balkon gedeihen», sagt Patrick Daepp, Geschäftsführer von Gartenpflanzen Daepp in Münsingen BE. Im Gegensatz zu den mediterranen Gewächsen wie Feigen- und Zitrusbäumen sind die einheimischen Obstbäume wenig anfällig auf Schädlinge und müssen nicht drinnen überwintert werden. Dies kommt den Kunden zupass, die generell pflegeleichte und an- spruchslose Pflanzen wünschen.

Komplettiert wird das grüne Reich mit Zierblumen, wobei es nicht mehr immer Geranien oder Petunien sein müssen. Laufend kommen neue Sorten und Arten in den Handel. «Sundaville ist ein Beispiel für eine völlig neue Pflanzenart, die heute häufig anstelle von Geranien gewählt wird», sagt Erwin Meier-Honegger, «sie ist äusserst blühfreudig und robust.» Die rankende, ursprünglich aus den Tropen stammende Pflanze blüht ohne Pause von April bis November; kein Platz ist ihr zu heiss, und auch Regenwetter kann ihr nichts anhaben. Ihre Blätter haben eine Wachsschicht, die sie vor Schädlingen und Pilzkrankheiten schützt.

Bei Hauenstein erleben auch alte, fast in Vergessenheit geratene Sorten wie Zwergflieder oder der Korkflügelstrauch ein Revival, weil sie besonders gut in Töpfen gedeihen.

Sichtschutz

Stark zum guten Wohngefühl auf Balkon und Terrasse trägt auch ein Sichtschutz bei – sei es, um Privatsphäre zu schaffen, vor Wind zu schützen oder den Blick in die Tiefe zu vermeiden. Neben Modellen aus Schilf, Textil oder Kunststoff gibt es Rankgitter aus Holz, an denen Kletterpflanzen nach oben wachsen. Dekorativ sind auch immergrüne Gehölze wie Ölweide und Photinia, die, kompakt als Hecken geschnitten, in länglichen Kästen die Balkone säumen, um die Blicke der Nachbarn abzuschirmen.

Gefässe und Töpfe dienen nicht nur der Aufbewahrung, mit ihnen lassen sich auch gestalterische Akzente setzen. Ob aus Kunststoff, Metall, Holz oder Eternit, frost- oder bruchsicher, mit Wasserspeicher und Wasserstandsanzeiger sowie UV-beständig – jede Pflanze lässt sich passend in Szene setzen.

Farben, die den Ton angeben

Bei grossen Gefässen geben immer noch die Steinfarben Anthrazit, Grau und Weiss den Ton an. Kleinere Töpfe zeigen sich aber zunehmend in bunten Farben wie Gelb, Rot, Grün oder sogar Blau.

Ein Trend, der Erwin Meier- Honegger gefällt. Er wünscht sich, dass Pflanzenliebhaber «mutiger» werden bei der Wahl der Gefässe und nicht nur auf Modelle ab Stange setzen. Verwenden lässt sich laut Meier-Honegger vieles, was auf dem Dachboden oder im Keller zu finden ist: «Pflanzen fühlen sich auch in einem Weidenkorb, einem Holzzuber, einem Sieb oder sogar in einem alten Stiefel wohl.»