Dies könnte ein Traumtag sein: Am Himmel lacht die Sonne, ein mildes Lüftchen weht durch das Blätterwerk des nahen Waldes, und im Picknickkorb liegt der «petit apéritif» bereit. Wenn sich nur dieser sture Rebstock endlich so hinstellen würde, dass ihn die Zange des Traktors packen könnte! Dann wäre nämlich auch für uns Feierabend. Dabei hat, als der junge Winzer Bertrand Ducourt uns das Manöver zeigte, alles so einfach ausgesehen. Von wegen.

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Seit der Morgenfrühe sind wir als Winzerinnen auf Zeit auf den Vignobles Ducourt zwischen den Flüssen Garonne und Dordogne unterwegs. Die geografische Lage hat dem Gebiet nicht nur den poetischen Namen «Entre-deux-mers» eingetragen, sondern auch Böden aus Ton und sandigem Lehm beschert – eine ideale Grundlage für wunderbare Weine. Mit «Devenez vigneron d’un jour» («Werden Sie Winzer für einen Tag») wollen die Organisatoren das aufstrebende Weingebiet und seine Winzer bekannter machen. Auch um zu zeigen, dass im Bordelais abseits der grossen Châteaux mit den wohlklingenden Namen interessante Weine produziert werden.

Um zehn Uhr morgens liegen bereits viele Autokilometer hinter uns. Die Vignobles Ducourt umfassen 440 Hektaren, 13 Châteaux, davon 10 in Bordeaux und 3 in St-Emilion. Sie sind das zweitgrösste Weingut der Region. Der Betrieb, das Lebenswerk von Henri Ducourt, weist für heutige Verhältnisse eine ungewöhnliche Grösse auf und wird als Familienbetrieb geführt: von seinen Kindern Bernard (60), Marie-Christine (57) und Philippe (51) und den Enkeln Jérémy (32), Bertrand (33) und Jonathan (28).

Träumer trifft Realist

Jonathan kümmert sich um das Marketing. Der grosse, schlaksige Mann hat uns am Morgen durch die Hügel gefahren, mit einer Hand steuerte er das Auto, mit der anderen tippte er ständig lässig an die Fensterscheibe, wies auf scheinbar unendliche Rebberge und kommentierte knapp: «Das ist ‹chez moi›.» Der studierte Umweltwissenschaftler sorgt bei den Ducourts dafür, dass die jährliche Produktion von immerhin 2,5 Millionen Flaschen verkauft wird. Dafür reist er viel: nach Amerika, England, China, Japan und in die Schweiz. In der Ruhe, über den Wolken, stellt er sich vor, wie er dereinst das Château d’Haurets, wo heute die Grosseltern leben, zu einem schönen Gästehaus für seine künftigen Kunden umbauen wird.

Im Gegensatz zu seinem Bruder wirkt Jérémy trotz kleiner Statur und feinen Gliedern wie ein Fels in der Brandung. Träume sind nicht seine Sache, er wusste schon immer, dass er Winzer werden wollte. Nach einem Önologiestudium und ein paar Wanderjahren ist er nun Kellermeister der Vignobles Ducourt. Sein Reich ist der «chai», der Weinkeller, der sich hier als riesige Halle voller Stahlfässer und Maschinen präsentiert. Er nimmt sich Zeit für uns – Mitte April ist wenig los. Während der Weinlese, die von September bis Ende November dauert, arbeiten über zehn Mitarbeiter fast Tag und Nacht. Jetzt sind nur drei hier: Zwei Frauen überwachen das Abfüllen der letztjährigen Cuvée Bordeaux Rosé Château Larroque, ein Mann huscht zwischen den Fässern hin und her und kontrolliert die Temperaturen. Der Wein ruht.

Freud, dann Leid

Das Angebot «Devenez vigneron d’un jour» sei nun auf einigen Domänen zu haben und erfreue sich zunehmender Beliebtheit, sagt Catherine Alby, die Kommunikationschefin des Syndicat Viticole. Schliesslich erhält man dabei nicht nur die Chance, unbekannte Seiten eines vermeintlich bekannten Berufsstandes kennen zu lernen, sondern begegnet auch den Menschen, wie Jérémy, die sich Tag für Tag mit viel Leidenschaft für ihr Produkt einsetzen.

Nach dem Gang durch den Keller heisst es jetzt: rein in die Gummistiefel, raus an die frische Luft. Bertrand, der Cousin von Jonathan und Jérémy, fährt mit uns zu den «sauvignons», den erst fünfjährigen Reben, die aufgebunden werden müssen. Da im Herbst in den meisten Rebbergen maschinell geerntet wird, ist es wichtig, dass alle Pflanzen exakt gleich wachsen. Aus der Ferne erinnern die präzis arrangierten Hänge im Frühjahr an riesige Scharen strammer Soldaten – Monsieur Sarkozy dürfte seine helle Freude daran haben.

Diese Arbeit ist knifflig und deshalb eher Frauensache. Mit bunten Sonnenhüten auf den Köpfen und krummen Rücken binden sie die jungen Äste, die gerne wild wuchern würden, mit Seilen an den Strunk. Wir werden mit Handschuhen, Schere, Tasche und Seil ausgestattet und dürfen mittun. Eine Reihe, zwei Reihen: Es macht richtig Spass. Dritte Reihe: Oh, mein Gott, die Beine, der Rücken. Vierte Reihe: Mittagspause, zum Glück.

Das Mittagessen wird auf Château d’Haurets serviert. Mami, 80-jährig, hat für alle gekocht, «etwas Einfaches». Am langen Tisch in der Schlossküche trifft sich die Familie einmal pro Woche, tauscht sich aus, bespricht Geschäftliches und Familiäres, kostet die Weine und isst Mamis Gerichte – heute tischt sie uns Spargeln aus der Region, ein ortstypisches Lammgericht und Erdbeeren auf. Es schmeckt himmlisch. Wir rühmen, sie winkt ab und meint: «Hoffentlich schmeckts, ich habe schliesslich ein Leben lang Übung.»

Mit der Präzision einer Linde

Nach dem Essen führt uns das Familienoberhaupt durch den Schlosspark, der seit der Pensionierung seine neue Passion ist. Nicht zur Freude aller: Im Winter zeichne er jeweils stundenlang neue Arrangements, die er, sobald die ersten Knospen spriessen, auf dem weitläufigen Gelände umsetzen wolle. Diesen Frühling hat ihm die Familie in corpore verboten, auch nur eine einzige weitere Pflanze ins Gras zu setzen: «Ein paar Wiesen sollte ein Park schon haben, oder?» Das mag stimmen, wir Gäste finden Henri Doucourts Blumenpracht – über 500 verschiedene Rosenstöcke, Glyzinien, Flieder und blühende Kirschbäume – allerdings ziemlich eindrücklich. Dann zeigt er uns, wie er sagt, das Geheimnis seines Erfolgs: eine turmhohe Linde in voller Blüte. «Vom Tag der ersten Blüte geht es genau hundert Tage, bis die Trauben reif sind, ich habe mich immer darauf verlassen und lag – abseits von jedem Kalender und allen Ratschlägen – stets richtig.»

Solche Anekdoten sind es, die den besonderen Charme eines Aufenthalts bei Winzern ausmachen: Man lernt neue Seiten, wertvolle Details und Unbekanntes aus dem Alltag der Menschen kennen, deren Weine wir in der ganzen Welt trinken können.

Gerade als es im Garten schön lauschig wird, schreitet Bertrand, dicht gefolgt von seinen zwei riesigen Hunden, übers Gras und ruft uns zurück zur Arbeit. Am Nachmittag graben wir kranke Stöcke aus dem Rebberg aus und ersetzen sie durch neue. Am Hang zwischen den beiden Baumvorhängen, die hier, auf dem 45. Breitengrad, nicht nur als Verschönerung der Landschaft gepflanzt wurden, sondern als Schutz der Reben vor Winden und Krankheiten, die sich durch die Luft übertragen lassen, wachsen Merlot, Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc. Dieser Rebberg ist um einiges älter als jener, den wir am Morgen bearbeitet haben. Das sieht man nicht nur an den knorrigen Reben, sondern auch an der Tatsache, dass diese unwahrscheinlich fest im Boden verankert sind. Zwar erledigt der Traktor den Hauptteil der Arbeit. Doch um den Strunk mit der Zange zu umfassen, dafür gibt es leider noch keine Maschinen. Nach einigem Fluchen und Schwitzen schaffen wir es. Und strahlen vor Stolz mit der Sonne um die Wette.