Es gab eine Zeit, in welcher die Mao-Jacke mit vier Taschen und fünf Knöpfen fast die einzige Garderobe für 600 Millionen Chinesen war. In jenen früheren Zeiten war es für eine Chinesin undenkbar, Stöckelschuhe zu tragen. Das war ein schockierendes Symbol für eine westliche Ästhetik, die zur Dekadenz verdammt war.

Jean-Christoph Labbé ist Fondsmanager beim DECALIA Millennials Fund.

Seitdem hat China seine Jacke abgestreift und das einzige kleine rote Buch, das in der Volksrepublik heute noch gültig ist, ist das gleichnamige soziale Netzwerk mit nicht weniger als 200 Millionen Mitgliedern. Innerhalb von 30 Jahren ist es dem sozialistischen Marktwirtschaftler gelungen, die Fesseln zu lockern. Die Moral hat sich entspannt und die grossen Marken sind in die Bresche gesprungen. Mit Luxus haben die Chinesen damit ihre zweite Kulturrevolution erlebt.

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Heute hat der Luxus-Sektor weltweit einen Wert von rund 300 Milliarden US-Dollar. Allein die chinesischen Konsumenten machen ein Drittel dieser Gesamtzahl aus. Es wird erwartet, dass dieser Anteil bis 2025 auf 40 Prozent ansteigen wird. Die Millennials sind zweifellos die grossen Animateure dieses Marktes, insbesondere diejenigen, die in den 1990er Jahren geboren wurden. Trotz ihres jungen Alters gibt diese Generation weit mehr aus als die älteren Chinesen: In China ist die Hälfte der Käufer von Luxusgütern unter 30 Jahre alt.

Gemessen am Umsatz machen sie 42 Prozent aus. Ihre Gehälter erlauben es ihnen, dies zu tun. In den 37 grössten Städten Chinas liegt das Durchschnittsgehalt bei etwa 8500 Yuan, was einem Gegenwert von 1250 US-Dollar entspricht. In den Megastädten Peking, Shanghai und Shenzhen übersteigen sie sogar 10’000 Yuan. Vor zehn Jahren lagen die Gehälter noch bei 4000 Yuan. Tatsächlich haben sie einfach mit dem Anstieg des BIP Schritt gehalten, das zwischen 2009 und 2019 von 6000 auf 14’000 Milliarden gesprungen ist.

Millennials zwingen anderes Verhalten auf

Zudem ist ihre Kaufkraft stärker, weil die meisten von ihnen die Universitäts- oder Immobilienkredite nicht tragen müssen, welche die Millennials im Westen belasten. In ihrer unendlichen Weisheit haben sich die Eltern darum gekümmert, sowohl ihr Studium als auch ihr erstes Zuhause zu finanzieren, um sie ins Arbeitsleben zu katapultieren. Heute haben sie eine solche Bedeutung erlangt, dass sie Luxusmarken dazu zwingen, ihre Marketingstrategie anzupassen und neue Kommunikationsinstrumente zu entwickeln.

Die digitale Technologie steht nun im Mittelpunkt aller anstehenden Fragen. Ihr Kaufverhalten unterscheidet sich tatsächlich von dem in Europa oder den USA. Ihre Existenz nimmt vor allem in sozialen Netzwerken Gestalt an. In Fight Club blätterte Edward Norton durch einen Ikea-Katalog und fragte sich, welche Esszimmermöbel ihn als Person definieren könnten. Um eine Identität aufzubauen, surfen chinesische Millennials in China in sozialen Netzwerken wie Weibo oder WeChat sowie auf E-Commerce-Plattformen.

Weit entfernt von der Einheitlichkeit, die ihnen in der Vergangenheit aufgezwungen wurde, haben sie einen viel grösseren Spielraum, um sich auszudrücken und ihre Persönlichkeit mit ihren einzigartigen Merkmalen zu bekräftigen, die sie «ge xing» nennen. Sie wenden sich daher ganz selbstverständlich an die grossen Marken, um ihrem Leben mehr Sinn zu geben. Marken wie Gucci, Burberry, Nike, Chanel, Louis Vuitton, Montblanc, Tod's und andere sind zu wesentlichen Bezugspunkten für diese Generation geworden.

Kontakt zu Konsumenten herzustellen

Marken müssen ihre Attraktivität und ihren Status stärken und die von der digitalen Technologie angebotenen Lösungen auf einem sehr hohen Niveau beherrschen. Es geht darum, den Kontakt zu Konsumenten herzustellen und zu pflegen, die mehrere Stunden am Tag in ihrem Smartphone leben und sich gerne in die Programme der sozialen Netzwerke einklinken lassen.

80 Prozent ihrer Kaufentscheidungen werden online getroffen - weit mehr als der weltweite Durchschnitt von etwa 60 Prozent. Und der Einfluss von Social Media ist entscheidend, genau wie das von WeChat entwickelte Ökosystem. Allein dieser Riese bringt fast eine Milliarde Nutzer in einem Land zusammen, in dem Facebook, Instagram und dergleichen keinen Platz haben. Hinter WeChat steht Weibo, das seinerseits 500 Millionen Besucher auf monatlicher Basis verzeichnet.

Key Opinion Leaders

Für eine erfolgreiche Werbekampagne ist es natürlich notwendig, für gute Botschafter zu sorgen. Diese müssen in der Lage sein, sowohl Publikum zu generieren als auch die Legitimität einer Marke zu gewährleisten. Diese Influencer, die manchmal eine Million US-Dollar für einen einfachen Posten bekommen können, werden zwischen Influencern und Key Opinion Leaders (KOLs) aufgeteilt.

Influencer gehören eher in diese Kategorie Menschen und haben sich in Film, Fernsehen oder Musik einen Namen gemacht. Die Schauspielerin Fan Bing Bing Bing zum Beispiel leiht ihr Bild an Louis Vuitton, L'Oréal und Häagen Dazs. Jackson Yee, Mitglied der chinesischen Boyband TFBoys, arbeitet mit Armani zusammen. Die Ergebnisse sind beeindruckend: Die beiden Posts, die er auf Weibo veröffentlicht hat, haben fast 1,5 Millionen «Likes» hervorgebracht.

Influencer mit hohem Einfluss

Gleichermassen beliebt und geschätzt sind KOLs eher wie Spezialisten auf ihrem Gebiet, wo sie in einigen Fällen ein fast enzyklopädisches Wissen vorweisen können. Mehrere Millionen Konsumenten folgen oft ihrem Rat. Dasselbe gilt für Tao Liang, der absolut alles und mehr über Handtaschen weiss. Er ist auf diesem Gebiet unerschöpflich und zählt mehr als drei Millionen Anhänger auf Weibo.

In wenigen Minuten live kann er mehrere hundert Taschen an seine Anhänger verkaufen. Mister Bags, wie er genannt wird, schaffte es, 500 Modelle der neuesten Tod's in weniger als zehn Minuten zu platzieren. Eine Erfahrung, das sich kurz darauf mit Montblanc wiederholte und mit dem gleichen Erfolg gekrönt wurde. Preis pro Tasche: 1.000 USDollar. Die vertrauten und verbindenden Gesichter, nach denen Marken suchen, können auch aus den virtuellen Welten stammen.

Diese gibt es in Videospielen im Überfluss. Grosse Namen wie Hermès, Dior und Guerlain haben sich bereits in diese Parallelwelten gewagt. Vor nicht allzu langer Zeit hat Louis Vuitton nicht gezögert, sich mit der Figur des Blitzes zu assoziieren – einer emblematischen Figur aus der Final Fantasy-Saga. Für Vermarkter sind die Möglichkeiten endlos. Es sind jedoch die jungen chinesischen Millennials, die die Trends diktieren. Es liegt dann an den Marken, kreativ zu sein.