BILANZ: Herr Augustinus, es kommt eher selten vor, dass ein Pater Topmanager von Grossunternehmen berät. Wie präsentiert sich Ihre Erfolgsbilanz?
Augustinus Henckel-Donnersmarck:
Für mich ist der Erfolg dann gegeben, wenn uns die Klienten sagen, unsere Beratung habe ihnen genützt. Als Unternehmensberater sind wir auf einem Feld tätig, wo Erfolge nicht ohne weiteres messbar sind. Wir wirken darauf hin, die Organisation eines Unternehmens so zu strukturieren, dass die Human Resources optimal eingesetzt werden können.

Worin besteht denn Ihr Rezept?
In unserer Welt wächst die Arbeitsteiligkeit immer mehr, und so ist es für den Einzelnen auch im Topmanagement sehr schwierig, die Gesamtzusammenhänge dessen, was er tut, überhaupt noch zu erfassen. In einer Kultur, die stark vom Individualismus geprägt ist, müssen die Menschen erst begreifen, dass sie nicht aus sich selbst leben, sondern immer nur in der Vernetzung mit vielen andern.

Sie berieten die Dresdner Bank. War die geplatzte Fusion mit der Deutschen Bank auf menschliches Versagen zurückzuführen?
Weil wir als Aussenstehende sehr nahe dran waren, darf ich Ihnen dazu nichts sagen.

Ethiker verrichten primär Reparaturarbeit.
Die klassischen Ethiklehrer leiden am Philosophenfrust: Man hört Philosophen gerne an, aber man handelt nur selten nach ihren Methoden. Diesen Frust haben wir überhaupt nicht, weil wir eben die Praxis ändern wollen. Wir werden in der Regel dann gerufen, wenn die interne Kommunikation und die Führungskultur zu ändern sind. Wir versuchen ein Klima zu schaffen, in dem die Interessen der Firma und der Mitarbeiter einigermassen deckungsgleich sind.

Die Kaste der Topmanager hat im Zug der Globalisierung ihre Macht stark ausgeweitet und ihren Marktwert massiv gesteigert. Geht die Marktwirtschaft an der Gier ihrer Protagonisten zu Grunde?
Vielleicht. Ich stehe dieser Entwicklung mit grosser Skepsis gegenüber, auch wenn ich klinisch frei von Neid bin. Quantitäten interessieren mich im Gegensatz zur Qualität weniger, aber es ist unangemessen, wenn der Chef der Deutschen Bank weniger verdient als einer seiner Investmenthändler in London.

Letztlich treibt der Markt die Managerlöhne in die Höhe.
Man hat der katholischen Soziallehre immer vorgeworfen, sie sei nur an der Verteilung des Kuchens interessiert, nicht aber an dessen Herstellung. Den Kapitalmärkten muss man vorwerfen, dass sie weder am einen noch am andern interessiert sind. Der durchschnittliche Kapitalmarktmitspieler will nur einen möglichst grossen Teil des Kuchens abschneiden, alles andere ist ihm völlig egal: Er will seinen Schnitt machen, möglichst mit einem sozialen Sicherungsnetz. In Deutschland wird das Heulen und Zähneklappern losgehen, wenn der neue Markt noch mehr einbrechen sollte und viele Leute ihr gesamtes Geld verlieren. Dann soll für sie der Staat einspringen. Das halte ich für halsbrecherisch gefährlich. Denn die Vorstellung, alle könnten Millionäre werden, wenn sie an der Börse spekulieren, da die Produktion realer Güter ohnehin keine Rolle spiele, ist von ähnlicher Intelligenz wie der Glaube, alle Leute könnten durch Kettenbriefe reich werden.

Trotz den Rückschlägen am neuen Markt: Eine Generation von jungen Leuten ist über Nacht unermesslich reich geworden.
Das ist ja keine Schicht, das sind vielleicht 5000 Leute.

Zehn Jahre Hochkonjunktur haben viele Amerikaner viel reicher gemacht.
Dann lassen Sie es 50000 sein. Schauen Sie einmal nach Brasilien. Da gibt es auch einige Hunderttausend Superreiche, und alle andern leben im Elend. Diese Gesellschaft will ich nicht haben, weil dies zu einem hohen revolutionären Potenzial führt. Eine hohe Zahl von Menschen, die unter dem Existenzminimum lebt, nur wenig Bürgertum und eine dünne Schicht von ganz Reichen, die auf die sozialen Zusammenhänge wenig Rücksicht nimmt – das kreiert ein Proletariat, das potenziell zu revolutionären Umstürzen neigt.

Noch haben wir keine brasilianischen Zustände, doch der Trend läuft in diese Richtung. Was ist zu tun?
Reichtum ohne soziale Verantwortung führt direkt in die soziale Katastrophe.

Die Frage ist, was Sie unter sozialer Verantwortung verstehen.
Sicher nicht das mitteleuropäische System der Umverteilung, auch weil es letztlich nicht bezahlbar ist. Aus demografischen Gründen wächst in Deutschland die Zahl der Anspruchsberechtigten, während die Zahl der Leistungsträger sinkt. Ich halte es mit den Verfassungsvätern der Bundesrepublik, die sinngemäss gesagt haben: Eigentum verpflichtet dich zu einer Verantwortung, die deinen Einflussmöglichkeiten entspricht. Wenn der Staat Kompetenzen verliert und die Wirtschaft zulegt, tragen diejenigen, die de facto die Macht haben, die Verantwortung für das Auseinanderdriften der Gesellschaft in nicht mehr zusammenfügbare Lager.

Zahlreiche europäische Staaten senken die Steuern, davon profitieren die Reichen und Topverdiener.
Gestatten Sie mir, dass ich milde widerspreche. Profitieren werden primär jene Unternehmen, die schon relativ viel Geld haben. Unser Sozialsystem und die dazugehörige Verwaltung sind unbezahlbar geworden. Wenn Sie das ändern wollen, werden immer diejenigen, die am meisten haben, auch am meisten gewinnen. Das ist unvermeidbar. Ein Steuersystem, das die Reichen noch stärker zur Kasse bittet und gleichzeitig soziale Gleichheit herstellt, gibt es nicht. Deshalb sage ich: Wenn die Mächtigen und Reichen dieser Welt sich ihren Verpflichtungen entziehen, wird das System als Ganzes zerfallen, und es wird im Chaos enden.

Fakt ist: Es gibt immer mehr Reiche, und sie zahlen erst noch weniger Steuern.
Ja, umso mehr wächst ihre Verantwortung. Ein Problem ist: Die scharfe Trennlinie zwischen reichen Leuten und kriminellen Mafioten verschwindet heute. In Russland zählen heute alle wirklich reichen Leute zur organisierten Kriminalität. Heilen kann man das nicht durch eine allgemeine Verarmung, sondern nur durch soziale Verantwortung.

Appelle sind noch keine Lösungen.
Nur Scharlatane kennen allgemein gültige Lösungen. In den Neunzigerjahren haben manche Firmen ihre Kosten gesenkt, indem sie die Leute gnadenlos in die Arbeitslosigkeit entlassen und damit ihre Kosten sozialisiert haben. Das muss aufhören. BP oder Shell müssen sich auch für ihren letzten Mitarbeiter in Timbuktu verantwortlich fühlen. Wir brauchen einen atmenden Arbeitsmarkt. Wenn sich die Auftragslage verschlechtert, muss der Mitarbeiter akzeptieren, dass er weniger bekommt. Aber als Herr Schrempp damals bei der Dasa die Milliarden in den Teich setzte, dass es nur so hagelte, wurde sein Gehalt nicht gekürzt. Hunderttausende sind jedoch in die Arbeitslosigkeit geschickt worden. Das finde ich skandalös.

Braucht es Mindestlöhne?
Nein, weil ich den Staat in diesem Zusammenhang nicht haben will. Das Unheil ist doch entstanden, weil die bürgerliche Gesellschaft versucht hat, ein Instrument zu schaffen, das ihre Anhänger begünstigt und die andern benachteiligt. Die Welt ist nicht so, wie sie sein sollte. Dies gehört zu den Existenzfragen eines Klerikers. Ich will die soziale Frage dort verankert haben, wo sie hingehört: bei denen, die Macht und Geld haben. Sie mögen dies für utopisch halten.

Ja, weil Geld heute alles ist.
Gerade auch bei jungen Leuten erkenne ich die Bereitschaft zu sozialer Verantwortung.

Brecht hat nicht mehr Recht? Das Fressen kommt doch vor der Moral.
Das hat immer gestimmt. Doch Brecht hat mit einem andern Wort nicht Recht: Die im Schatten werden heute sehr deutlich gesehen. Das hängt damit zusammen, dass die Jungen viel mehr in der Welt herumkommen. Wer in Indien oder Südostasien unterwegs war, hat ein anderes Verhältnis zur Armut.

Welchen Rat gibt die Bibel? Eher windet sich ja ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt.
Reichtum kann, wie die Bibel sagt, den Menschen sehr gefährden. Wir leben in einer säkularisierten Welt, und bei uns in Mitteleuropa hat die Kirche nicht mehr die gleiche Weltmächtigkeit wie im Mittelalter. Das kann sich wieder ändern. In unserer Gesellschaft ist die unmittelbare Rede vom Gericht und was danach kommt, nicht wirklich zielführend. Zielführend ist jedoch: Auch der Reiche muss lernen, dass die Frage völlig unausweichlich wird: Was bleibt eigentlich am Ende meines Lebens übrig? Da ist der Inhalt seiner Bankkonten belanglos, weil er ihn nicht mitnehmen kann. Und wenn ihm im Nachruf nur nachgesagt wird, er sei reich gewesen, ist das wirklich dünn. Je älter man wird, desto mehr ist man auf etwas angewiesen, auf das man mit innerer Zufriedenheit zurückblicken kann. Also: Wer Macht und Geld hat, soll sein Geld nicht nur horten oder zum Vergnügen ausgeben. Dagobert Duck macht das Problem des Reichen, der keine soziale Verantwortung trägt, ja überaus deutlich. Man muss den Reichen dieser Welt klarmachen, dass ihr Reichtum durch politische Entwicklungen gefährdet wird, wenn die sozialen Systeme ins Ungleichgewicht geraten. Bisher war noch jede Revolution eine Hungerrevolution.

Sie plädieren für einen Almosenstaat ohne Rechtsanspruch auf soziale Leistungen?
Nein. Das Prinzip der Subsidiarität muss allgemeine Gültigkeit erhalten. Man muss die kleinere Einheit machen lassen. Die grössere Einheit übernimmt nur das, was die kleinere nicht bewältigen kann. Der Staat muss entmachtet werden. Wer ein Almosen bekommt, hat keinen Anspruch darauf. Wer es spendet, hat nur einen Anspruch befriedigt, den sein Gewissen gegen ihn erhebt. Das ist mir zu wenig. Soziale Verantwortung heisst: Du bist immer im Rahmen deiner Möglichkeiten für das Ganze verantwortlich, auch dann, wenn das Ganze nicht mehr funktioniert. Wenn die Welt so in Unordnung geraten ist, dass die Räuber und Halsabschneider die Macht besitzen und niemand die Schwächeren schützt, ist sie nicht lebenswert.

Bedroht denn das Streben nach Geld den Kapitalismus?
Es ist eine der grossen Gefahren. Da muss man ganz nüchtern sein. Ich war nie ein Anhänger des Sozialismus, aber er hat insofern eine Funktion als Korrektiv gehabt, als er den reichen Menschen Angst eingeflösst hat. Manches war nur durchsetzbar, weil sie Angst gehabt haben. Jetzt ist der Sozialismus weg, und die Angst ist weg. An der grundlegenden Situation, die den Sozialismus gross gemacht hat, hat sich nichts geändert. Ein hungerndes Proletariat bleibt ein hungerndes Proletariat, egal ob es von Sozis oder von sonst jemandem geführt wird. Wenn da die Dämme einmal brechen, haben die Reichen nichts zu lachen. Richtig ist, dass wir keine Systeme haben, um das den Reichen beizubringen.

Wie wollen Sie sie Mores lehren?
Zum Beispiel sollten unsere Hochschullehrer nicht nur Fachwissen vermitteln, sondern auch solche Hintergründe besprechen. Die Mehrheit der jungen Leute handelt so, weil sie niemand mit Alternativmodellen konfrontiert. Die Kritik gilt auch meiner Kirche: Sie gibt laufend Antworten auf Fragen, die niemand gestellt hat.

Stellen Sie den Managern die Frage nach dem Sinn ihres Handelns?
Ja, und sie antworten: Weil die Welt gestaltet werden muss. Es ist offenbar die Entwicklung der menschlichen Geschichte, die Welt zu gestalten, obwohl das Ergebnis manchmal grässlich ist.

Die Schweiz soll das Bankgeheimnis aufgeben. Was raten Sie uns?
Eindeutig: Nicht nachgeben! Der Staat war immer geldgierig, und unter dem Strich ist die Bilanz, ob er mit dem Geld, das er den Bürgern aus der Tasche zieht, Gutes oder Schlechtes schafft, zumindest diskussionsbedürftig. Dass der Staat ein Recht auf den gläsernen Bürger hat, bestreite ich. Ebenso, mindestens in Grenzbereichen, die moralische Verwerflichkeit der Steuerhinterziehung. Ich bezahle meine Steuern, doch der Staat schöpft vieles ab, mit dem der Einzelne wirklich Sinnvolleres tun könnte und würde.

Ist es nicht bedenklich, wenn ein Land von hinterzogenen Steuergeldern profitiert, die im Ausland am Fiskus vorbeigeschleust werden?
Die Schweiz verfolgt in dieser Sache eben eine andere Politik. Wenn sie damit Geschäfte macht, ist es klar, dass dies den Zorn der andern erregt. Doch es ist leider nicht zu ändern. Die Schweizer sollten sich nicht selber aufgeben.

Ihr persönliches Verhältnis zum Geld?
Ich lebe in dieser Hinsicht biblisch. Ich freue mich, wenn ich es habe und mir meine Zigarren kaufen kann. Das Armutsgelübde geht ja nach dem Rat der Bibel: Betrachtet die Lilien des Feldes und die Vögel des Himmels, und dann kümmert euch um das Reich Gottes, alles andere wird euch dazugegeben werden. Danach lebe ich seit 65 Jahren, und es ist mir immer alles dazugegeben worden.

Sie leben nicht eben spartanisch.
Nein, aber ich gebe mehr Geld für andere aus als für mich selbst.
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