Die deutsche Automobilindustrie galt lange als das Mass aller Dinge. Doch jetzt, da die Dieselkrise die Branche schwer belastet, droht «Made in Germany» den Anschluss zu verlieren. Die Beschlüsse des Diesel-Gipfels in Berlin reichen nach Überzeugung von Experten allenfalls für eine Übergangszeit.

«Die Unternehmen können sich die Nachrüstung per Software-Update leisten, denn noch sind die Gewinne der Hersteller hoch», sagt Stefan Randak, Autoexperte der Beratungsfirma Atreus. Auf Dauer verliere die Industrie jedoch, weil sich die Verbraucher vom Diesel abwenden. «Das Vertrauen ist verspielt.» Noch schwerer wiege, dass die Autokonzerne ihre Technologieführung einbüssen könnten, wenn sie zu lange am Diesel festhalten. «Das ist ein Sterben auf Zeit.» Internationale Konkurrenten wie der Elektroautobauer Tesla und der Hybridwagenerfinder Toyota wittern bereits ihre Chance.

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Frage der Jobs

«Wir erleben im Moment einen Wettlauf um die Zukunft der Automobilindustrie. Wer das verschläft, wird abgehängt», betont Experte Randak. Die Krise könne sich damit auswachsen und sogar die Existenz einiger Unternehmen bedrohen. Die gesamte Branche beschäftigt in Deutschland mehr als 800'000 Menschen.

Randak vermisst den nötigen Druck der Politik, um das Umsteuern in die Elektromobilität zu forcieren. Doch die Politik denkt eher kurzfristig: «Es geht im Wahljahr um die Sicherung der Arbeitsplätze. Wer den Diesel tot redet, schadet den Jobs.»

Spiel auf Zeit

Mit einer neuen Software kann das Problem hoher Stickoxid-Belastungen in den Städten nicht nachhaltig gelöst werden, sind Autoexperten und Umweltschützer einer Meinung. Nach ihrer Einschätzung scheuen die grossen Autokonzerne die deutlich höheren Kosten einer technischen Motor-Nachrüstung. Fahrverbote in den Städten stehen damit weiter im Raum. So hat das Verwaltungsgericht Stuttgart bereits zu erkennen gegeben, dass Software-Updates nicht ausreichen. «Die Regulierung wird den Diesel in die Knie zwingen», sagt Autoexperte Elmar Kades von AlixPartners.

Die Autobauer scheuen die Kosten einer technischen Umrüstung vor allem deshalb, weil sie mit den Milliardeneinnahmen aus der Dieseltechnologie den Umschwung in die Elektromobilität und das autonome Fahren finanzieren wollen. Hinzu kommt, dass die Nachrüstung älterer Dieselautos mit Katalysatoren lange dauern würde.

«Bis die SCR-Katalysatoren entwickelt sind, das dauert bis zu zwei Jahre», schätzt Stefan Reindl, stellvertretender Chef des Instituts für Automobilwirtschaft in Nürtingen. Dann müssten diese noch in die Fahrzeuge eingebaut werden. «Bis dahin verschwinden ältere Diesel-Fahrzeuge ohnehin Zug um Zug.» Die Politik und die Automobilindustrie spielten also auf Zeit und setzten darauf, dass sich das Problem mit den künftig neu zugelassenen Euro-6-Fahrzeugen löse.

Selbst ins Dilemma manövriert

Damit hat sich die Branche nach Meinung von Experten allerdings verspekuliert. Die Hersteller hätten unterschätzt, dass Innenstädte für Dieselfahrzeuge einfach abgeriegelt werden könnten. Deshalb hätten sie den Wandel hin zur Elektromobilität hinausgezögert, obwohl sie das Geld dafür gehabt hätten.

Nun steckt die Branche in einem Dilemma: Denn einerseits laufen in den Unternehmen die Vorbereitungen, in den kommenden Jahren massenweise Elektrofahrzeuge auf den Markt zu bringen. Andererseits verlieren die Konzerne beim geliebten Diesel über kurz oder lang eine wichtige Einnahmequelle. Noch reichen die üppigen Finanzpolster nach Meinung von Unternehmenskennern. Langfristig aber könnte das Geld knapp werden.

Hybride als Hoffnungsschimmer

Arndt Ellinghorst vom Investmentberater Evercore ISI geht davon aus, dass der Diesel-Motor trotz der Gipfel-Beschlüsse nicht zu retten ist. Schuld seien Politik und Unternehmen gleichermassen: «Wenn auf der einen Seite von einem Autokartell die Rede ist, kann man ja fast auch sagen: es gibt ein Dieselkartell. In dem Kartell sassen in der Vergangenheit Politiker, Regulierer und die Industrie.» Man habe sich bewusst für die Dieseltechnologie entschieden, um den Ausstoss an klimaschädlichem Kohlendioxid zu senken und dabei die giftigen Stickoxide vernachlässigt. «Diesel ist stark subventioniert in Deutschland.»

Im Gegensatz zu einigen anderen Experten sieht Ellinghorst allerdings nicht die Existenz der Branche bedroht. «Es gibt alternative Technologien, das sind milde Hybride, die können relativ schnell angeboten werden.» Alle grossen Autobauer arbeiteten derzeit mit Hochdruck an der Einführung solcher Fahrzeuge, bei denen ein Elektromotor den Verbrenner lediglich in bestimmten Situationen kurz unterstützt. Dadurch sinkt der Spritverbauch. Diese Fahrzeuge seien deutlich günstiger zu haben, sagt Ellinghorst – und: «Mit den Autos verdient man auch noch mehr Geld als mit dem Diesel.»

(reuters/jfr)