Eine strenge Rollenteilung kannte man zur Blütezeit der Schweizer Textilindustrie im 19. Jahrhundert nicht. Der Einsatz jedes Einzelnen war gefragt. Erst recht zu jener Zeit, als Zwischenhändler Auftragsarbeiten an die Haushalte vergaben. Daheim wurden dafür Handstickmaschinen aufgestellt, oft in Anbauten an die Wohnhäuser.

Der Ehemann bediente die Maschine, während die Ehefrau das Einfädeln der Nadeln und das Überwachen der Stickerei übernahm. Oder die Kinder, je nachdem. Auf die kleineren, die das noch nicht konnten, passte der Grossvater auf oder die ledige Schwägerin, die mit im Haushalt lebte. Und war die Mutter noch mit Ausbesserungsarbeiten beschäftigt, kümmerte sich der Vater um die Kinder oder kochte für die ganze Hausgemeinschaft. Das flexible System funktionierte selbstverständlich, es ging alles Hand in Hand.

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Die perfekte Idylle? Keineswegs, betont Historikerin Elisabeth Joris. Die Armut sass den Familien im Nacken, sie arbeiteten hart, und dass alle zusammenspannten, war schlicht notwendig, um die Existenz zu sichern. Das zeigt: Frauen hatten einen wesentlichen Anteil daran, den Lebensunterhalt zu sichern. Ihr Part war ebenso wichtig wie der desMannes. Ohne ihren Beitrag hätte die Familie kaum überleben können.

Gehilfinnen ohne Lohn

Arbeitende Frauen gab es in der Schweiz praktisch immer. Kleinere Familienbetriebe waren ohne deren tatkräftige Mitarbeit nicht wirtschaftsfähig, und dies ist bis heute so. Elisabeth Joris: «Soll die Frau berufstätig sein? Diese Frage stellte sich im Gewerbe gar nie.» Natürlich arbeitete sie im Betrieb, Eheleute waren Arbeitspaare, und oft war die Frau Dreh- und Angelpunkt. Sie kümmerte sich um Aufträge, Offerten, Rechnungen, zahlte Löhne aus, war Ansprechpartnerin für die Angestellten.

Dennoch waren in aller Regel Männer die Besitzer des Betriebs, während die Ehefrauen als «Gehilfinnen des Ehemanns» galten. Folglich bezogen sie keinen Lohn, waren nicht einmal angestellt. Und kam es zu Trennungen, gingen sie finanziell leer aus. Erst seit 1997 werden die AHV-Beiträge unabhängig vom Zivilstand berechnet, und erst seit 2000 steht der Ehefrau bei der Schweidung die Hälfte des BVG-Guthabens zu.

Wer sich die Geschichte arbeitender Frauen in der Schweiz anschaut, stösst auf wichtige Errungenschaften und Durchbrüche, aber auch auf Ungleichbehandlung. So waren Arbeiterinnen in den Fabriken meistens zu schlechteren Bedingungen beschäftigt, obschon sie über spezifisches Wissen verfügten. Eine Weberin beispielsweise genoss hohes Ansehen, ihre Erfahrung war enorm wichtig. Dennoch stagnierte ihr Lohn auf tiefem Niveau, während sogar jener einer männlichen Hilfskraft schneller stieg. Im Schnitt verdientenMänner das Doppelte. «Lohnungleichheit hat in der Schweiz Tradition », sagt Elisabeth Joris.

Angst vor Lohndumping – das war mit ein Grund dafür, warum sich bestimmte Branchen und Verbände noch zu Beginn des 20.Jahrhunderts mit Händen und Füssen dagegen wehrten, Frauen ebenfalls eine Ausbildung zu ermöglichen. Der Kaufmännische Verband ist ein Beispiel dafür – erstaunlich angesichts der Tatsache, dass die KV-Lehre heute bei jungen Frauen der Favorit schlechthin ist. Es heisse Kaufmann und nicht Kauffrau, lautete das Argument. Letzteres bedeute eine Abwertung des Berufsstandes, die man unmöglich hinnehmen könne. Schliesslich aber beschloss der Zürcher Kantonsrat 1906, die Lehrabschlussprüfung auch für Frauen obligatorisch zu machen. Der Verband fand sich damit ab.

Tippen: Frauensache

Büroangestellte waren damals gesucht, denn der Dienstleistungssektor wuchs. Frauen sassen in den Büros meistens an den Schreibmaschinen, was Männer in der Regel nicht taten. Das Eintippen war für sie erst mit der Erfindung der Rechenmaschine interessant. Zahlen seien Männersache. Welchen Tätigkeiten Frauen nachgingen, war oft konjunkturabhängig. Waren viele Angestellte gefragt, durften Frauen dort

Stellen besetzen, in denen eher Männer tätig waren. Sie arbeiteten etwa als Telegrafistinnen und wurden nachHause geschickt, als es derWirtschaft wieder schlechter ging.

Waren die Männer anderweitig verpflichtet, konnten Frauen in die Bresche springen. Während des Zweiten Weltkriegs mussten Männer in den Militärdienst. Plötzlich gab es in Basel Tramchauffeurinnen – Ehefrauen der Tramfahrer. Sie sorgten mit ihrem Interimseinsatz dafür, dass die Stellen ihrer Männer erhalten blieben. Einen Lohn erhielten sie keinen, lediglich ein Sackgeld. Nach dem Militärdienst übernahmen die Männer wieder das Ruder. Interessant in diesem Zusammenhang: Noch bis in die 1970er Jahre gab es in Zürich keine einzige Tramchauffeurin. Die Gewerkschaften wussten es zu verhindern.

Frauen und Erwerbstätigkeit – das Feld war in der Schweiz lange ideologisch besetzt. Bestimmte Bereiche sollten ihnen verschlossen bleiben. Es gab Gesetze, die Frauen nicht zur Beamtenschaft zuliessen. Arbeiteten sie als Lehrerin und heirateten, wurden sie entlassen. Harsche Kampagnen wurden seit der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre immer wieder geführt gegen das «Doppelverdienertum». Und schliesslich war das bis in die 1970er Jahre fehlende Frauenstimmrecht mit ein Grund dafür, warum viele Karrieren unmöglich waren. Studieren konnten Frauen sehr wohl, praktisch alle Fächer. Aber eine Richterin ohne aktives Bürgerrecht – undenkbar.

Auch wenn das Bild – die eigentliche Rolle der Frau sei die der Hausfrau und Mutter – nie der Realität entsprach, hatte die hartnäckige Ideologie doch Folgen für die Ausbildung. Der Gedanke dahinter: Frauen sollen ihre Kompetenzen in dem ihnen zugedachten Bereich schulen. Die «Rüebli- RS», das hauswirtschaftliche Obligatorium, zeugt davon. Es bestand 50 Jahre lang – bis es in den 1980er Jahren in dieser Form verschwand. Was heute als veraltet gilt, gab es noch bis vor nicht allzu langer Zeit.

 


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