VW-Chef Matthias Müller wischte die schon lange diskutierte Idee vor einem Jahr vom Tisch: «So einen Blödsinn machen wir sicherlich nicht», sagte er vor Journalisten in Hamburg. Er antwortete auf die Frage, ob Volkswagen künftig ein Schlüsselelement für die Autos von morgen - Batteriezellen für den Antrieb von Elektrofahrzeugen - selbst herstellt oder von Zulieferern bezieht. Die hochautomatisierte Produktion bringe nur wenige Jobs und sei «schweineteuer», sagte Müller damals.

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Doch das letzte Wort war das wohl noch nicht. Denn die Autoindustrie hadert beim Aufbau der Produktion für den geplanten rasanten Ausbau der Elektromobilität noch immer mit der Frage, welches Risiko grösser ist: Milliarden-Investitionen in Zellfabriken, um die Technologie selbst zu beherrschen - oder die wachsende Abhängigkeit von Zellproduzenten aus Japan, Korea und China, die ihrerseits einen wachsenden Teil vom Elektroantrieb produzieren könnten.

Wichtiges Element in der Wertschöpfungskette

Vor den Folgen grosser Abhängigkeit warnen Wissenschaftler wie der Batterieforscher Martin Winter von der Universität Münster. Die Zellen, die bei der zur Zeit genutzten Lithium-Ionen-Technologie zur Batterie gebündelt werden, seien ein wichtiges Element in der Wertschöpfungskette eines Elektroautos.

Auf die Batterie eines Elektroautos entfallen nach Schätzung von Experten 30 bis 40 Prozent der Wertschöpfung und davon wiederum bis zu 80 Prozent auf die Batteriezelle. Durch eine eigene Zellfertigung könnte ein Autobauer seinen Anteil an der Wertschöpfung um rund zehn Prozentpunkte auf 25 bis 30 Prozent steigern, erklärt Wolfgang Bernhart von der Unternehmensberatung Roland Berger. Das wäre in etwa die Grössenordnung wie heute bei Pkw mit Verbrennungsmotor.

Deshalb mahnt Batterieforscher Winter, ohne eigene Zelle untergrabe ein Autobauer seine eigene Marktposition, da die Lieferanten sich zugleich immer weiter ans Autobauen heranarbeiteten: «Viele von den Zellherstellern machen schon jetzt komplette Antriebe, so dass die Autohersteller zukünftig in die Situation kommen könnten, nur noch ein Chassis um diese zu bauen», sagt Winter.

Überlebenswichtige IT-Geschäft

Ein ähnliches Horrorszenario in Bezug auf Kartendaten für Navigationssysteme trieb die deutschen Premiumhersteller Audi, BMW und Daimler vor zwei Jahren dazu, gemeinsam den Datenspezialisten Here von Nokia zu kaufen. Damals war der Internetkonzern Google die bedrohliche Macht, deren Dominanz es abzuwehren galt.

Zu gross war den Autokonzernen das Einfallstor, das die geschäftstüchtigen Amerikaner nutzen könnten, um mit gigantischen Datenmengen und dem Zugang zum Autofahrer neue Dienstleistungen zur Goldgrube zu machen. Immer weiter ins IT-Geschäft selbst mit neuen digitalen Diensten vorzudringen, gilt für die Autoindustrie als überlebenswichtig.

Harte Konkurrenz aus Südkorea

Aber soll sie auch zum Chemiefabrikanten werden? Denn nichts anderes ist Batteriezellproduktion. «Auf keinen Fall», rät Arndt Ellinghorst ab, Autoexperte vom Investmentberater Evercore ISI. Die Zellproduktion sei kapitalintensiv und lohne sich nur in der Massenproduktion. Wie schwer es ist, gegen die Konkurrenten aus Südkorea - Samsung SDI, LG Chem oder SK Innovations - anzukommen, erfuhren Daimler und der Chemiekonzern Evonik in ihrem Joint-Venture Li-Tec: Die Stuttgarter zogen nach dem Ausstieg von Evonik Ende 2015 den Stecker bei der Zellproduktion im sächsischen Kamenz - die Stückzahlen waren angesichts verschwindend geringer Nachfrage nach Elektroautos zu niedrig.

Mercedes kauft die Zellen seither ein und baut sie selbst zu Batterien zusammen. So soll es auch bleiben, wenn der erhoffte Nachfrageschub für Stromer bis 2025 kommt: Die eigene Produktion der schweren Batteriesysteme wird nahe an den Montagewerken in Deutschland angesiedelt, um Logistikkosten zu sparen. An Batteriezellen wird nur geforscht, weil das Know-how für die Batterieproduktion gebraucht wird. Durch den Einkauf am Weltmarkt sichere sich Daimler die bestmögliche Technologie, erklärt ein Unternehmenssprecher.

Alle deutschen Autobauer hätten mit Zell-Lieferanten aus Asien schon Lieferverträge abgeschlossen oder seien dabei, das zu tun, sagt Unternehmensberater Bernhart. Schliesslich peilen Volkswagen und Daimler bis 2025 an, ein Viertel ihres Absatzes mit Elektroautos zu bestreiten - was vom jetzigen Absatz aus gerechnet im VW-Konzern mehr als zwei und bei Mercedes-Benz mehr als eine halbe Million Fahrzeuge im Jahr wären.

Sieben Gigafactories für VW

Nach Einschätzung eines Batterieexperten, der nicht namentlich genannt werden will, könnte sich die eigene Zellproduktion zumindest für Volkswagen lohnen. «Mittlerweile kalkuliert VW mit einem Bedarf von 200 Gigawattstunden pro Jahr - das entspricht sieben Gigafactories, wie Tesla eine betreibt», sagt der Branchenkenner. Allerdings wäre das ein Investitionsvolumen von fünf bis 15 Milliarden Euro über fünf bis zehn Jahre gerechnet. Für Daimler oder BMW alleine lohne es sich von den Stückzahlen her nicht, ergänzt der Experte.

Doch da mit steigender Absatzzahl von Elektroautos aus logistischen Gründen auch eine Zellproduktion nahe der Batteriefabriken und Montagewerke vorteilhaft ist, könnten Daimler und BMW dankbare Abnehmer von Zellen «made in Germany» oder zumindest «made in Europe» von Zulieferern werden. So wartet die Branche mit Spannung darauf, was der weltgrösste Autozulieferer Bosch dazu bis Anfang nächsten Jahres beschliesst. «Die Entscheidung ist für Bosch eine sehr grosse Entscheidung, die wir gründlich vorbereiten», sagte Bosch-Chef Volkmar Denner Anfang 2017. Die Milliardeninvestition hänge davon ab, ob die Zellproduktion noch günstiger sein könnte als die der Asiaten.

Geplanter Elektroautoboom in China

Diese bereiten sich unterdessen längst auf den geplanten Elektroautoboom vor. LG Chem plant eine Batteriefabrik in Polen, Samsung baut eine in Ungarn, und auch der US-Elektroauto-Pionier Tesla kündigte mehrere Gigafabriken weltweit nach dem Vorbild seines mit Panasonic betriebenen US-Werks an. «Es ist wichtig, dass die Wertschöpfungskette hier in Europa ist, aber das kann ja auch bedeuten, dass ein asiatischer Hersteller investiert in unserem Land und dann die Batteriezellen hier baut», sagt Martin Brudermüller, Vorstand von BASF, die wiederum Zellproduzenten beliefern.

In Deutschland an den Start gegangen ist unterdessen das Start-up TerraE, das unter der Mentorenschaft unter anderem von BMW, ThyssenKrupp und der Deutschen Post mit dem E-Transporter Streetscooter im Mai gegründet wurde. «Wenn alle Autobauer ihre Pläne umsetzen, ist der Bedarf so gross, dass es genug Raum für TerraE gibt», sagt Geschäftsführer Holger Gritzka. Produktionsstart der ersten von womöglich mehreren Zellfabriken in Europa soll Ende 2019 mit einer Kapazität von 1,5 Gigawattstunden sein.

Bis 2020 rechnet Gritzka mit eine weltweiten Bedarf von 400 Gigawattstunden, von denen TerraE dann etwa 35 abdecken könnte. «Autokunden reicht keine Produktionskapazität von ein bis zwei Gigawattstunden. Sie brauchen grössere Fabriken», erklärt Gritzka. «Aber ein Werk mit einer Kapazität etwa von zehn Gigawattstunden aufzubauen, dauert bis zu vier Jahre und kostet etwa anderthalb Milliarden Euro.» Pro Gigawattstunde Fertigungskapazität kalkuliert TerraE mit einem Personalbedarf von 90 Mitarbeitern.

Keine Jobmaschine

Die hochautomatisierte Zellproduktion ist damit keine Jobmaschine - das ist auch der IG Metall klar. Trotzdem gehört die Gewerkschaft neben Batterieforschern zu den Verfechtern einer Zellproduktion in Deutschland, weil sie um die Gewinnmöglichkeiten der wichtigsten deutschen Industrie bangt. Die Diskussion rankt um ein Gemeinschaftsunternehmen, an dem sich die Autobauer beteiligen.

«Wir wollen eine Batteriezellenfabrik hier in Bayern, mindestens in Deutschland», sagt der bayerische IG-Metall-Bezirksleiter Jürgen Wechsler. Dies würde nach seiner Schätzung circa fünf Milliarden Euro kosten und 400 bis 500 Jobs bringen. Mit der bayerischen Staatsregierung habe er bereits über staatliche Förderung gesprochen. Die grosse Koalition in Berlin unterstütze das, wolle aber nichts zahlen. Die Autoindustrie stehe auf der Bremse. «Die Automobilindustrie verschläft nicht nur das Thema Batterie und Batteriezellen, sie hat auch das Thema Elektromobilität verschlafen», kritisiert Wechsler.

Mehr Forschungsengagement gewünscht

Auch nach Ansicht des Batterieexperten, der namentlich nicht genannt werden will, riskiert die deutsche Autoindustrie ihre Technologieführerschaft, wenn sie sich noch stärker von asiatischen Zulieferern abhängig macht. «Uns sind mit der Solarindustrie und der Mikroelektronik Schlüsseltechnologien verloren gegangen, bei der Autoindustrie können wir uns das nicht leisten.» Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel stupste die Branche schon an: «Für die weitere Entwicklung der Elektromobilität wäre es schon wünschenswert, bei den neuen Zelltypen dann auch dabei zu sein», sagte sie im Mai per Video-Botschaft. Bei mehr Forschungsengagement gebe es auch bessere Chancen für Zellproduktion vor Ort.

Bei so vielen Ratschlägen schwant Evercore-Analyst Ellinghorst aus Kapitalmarktsicht nichts Gutes mit Blick auf die ohnehin schon stark von der Dieseldebatte gebeutelten Autobauer: «Weder aus industrieller noch aus finanzieller Logik sollten deutsche Hersteller in die Zellproduktion eintreten. Die Frage ist allerdings, ob Gewerkschaften und Politik die Industrie dazu treiben, Batteriezellen selbst herzustellen.»

(reuters/ccr)