Der Basler Peter Meyer (47) war als Teenager Analphabet, wie er unverblümt erzählt. «Als Kind war ich ein Wildfang, der lieber im Wald Pilze suchte oder am Wasser Fische angelte.» Zur Überraschung vieler – auch seiner Eltern – fand ein Lehrer heraus, dass ermit 16 Jahren der Sprache nur mündlich mächtig war, obwohl er nicht für dumm gehalten wurde. Dank einem engagierten Pädagogen der Waldorfschule wurde daraus kein Drama, so Meyer. «Weil ich nicht mit Frühförderung erdrückt wurde, blieb mir vielleicht meine Kreativität erhalten.» Binnen zwei Jahren wurde ihm Schreiben und Lesen beigebracht. Die Leistung in der Gewerbeschule war in Ordnung. Nach der bestandenen Lehre als Offsetdrucker in Basel zog er für sieben Jahre nach Lausanne, wo er seinen angestammten Beruf ausübte und in einer Druckerei mit Hingabe Kunst- und Uhrenkataloge fertigte.

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Als Mittzwanziger entdeckte Meyer seine erste wahre Bestimmung: Das Gleitschirmfliegen. Er wurde Testpilot ohne Schein, später mit Lizenz für Passagierflüge. «Das war eine wilde Zeit. Ich hatte Glück, dass ich noch ganz bin. Baumlandungen waren keine Seltenheit.» Der Sport war jung und praktisch unbekannt. Bei über 1000 Flügen in unzähligen Ländern gab es laut Meyer bloss einmal einen Beinbruch, und der war selbstverschuldet. «Der Gleitschirm-Prototyp war zu experimentell und mein Stil zu progressiv.» Wenigstens passierte dies in der Heimat der Rega und nicht in Asien, Neuseeland oder Afrika, wo er ebenfalls unterwegs war.

Querdenkender Quereinsteiger

Die erwerbsmässige Fliegerei wurde ihm zu wenig ausbaufähig, auch im Druck sah er keine Herausforderung. Er machte eine Schamanen-Weiterbildung, aber ohne Anspruch zu helfen oder zu heilen. Sie diente nach eigenen Angaben der Selbsterfahrung, von der er heute zehrt. Danach kehrte Meyer nach Basel zurück und kämpfte sich durch die Technikerschule. Nach dem Abschluss als Grafiker arbeitete er vier Monate in Norddeutschland. Anschliessend stieg er in den Familienbetrieb ein, eine Art Buchbinderei, um neue Verfahren zu entwickeln. Leider kam es gemäss Meyer zu Differenzen. «Konsequent wie ich bin, stieg ich aus.»

Was hat das mit Outdoor Sports zu tun? Der biografische Exkurs durch die ersten dreieinhalb Dekaden von Peter Meyer hilft, sein heutiges Treiben zu verstehen – seine neue wahre Berufung: Die Selbstständigkeit. «Als Outdoor-Unternehmer bin ich ein Quereinsteiger, der keine Lobby und kein Netzwerk hat», erklärt einer, der sich lieber als Hüttenwart denn als Geschäftsführer bezeichnet. Ende 2000 gründete er seine Firma Think Industry, deren Sitz er vier Jahre später von Basel nach Zug verlegte. Zuerst vermarktete er Produkte eines holländischen Herstellers an Tankstellenshops und Warenhäuser. «Gleichzeitig absolvierte ich eine Weiterbildung als Mentallehrer und machte eine Prüfung für französische Leichtflugzeuge.»

Artikel verbessert

Doch eigentlich wollte er selber Ideen ausdenken und umsetzen, und zwar «Swiss made». So liess er das mit dem Vertrieb von fremden Dingen und machte sich auf die Suche nach etwas Eigenem. Sein Ansatz: «Ich will alles im Eco-Design gestalten und dadurch Alltagsgegenstände für das Leben in der Natur leichter, kleiner, feiner machen.» Wobei die Opposition zu «höher, schneller, weiter» die Fabrikate teurer macht. Meyer fand eine vor Spritzwasser geschützte Salz- und Pfefferdose eines neuseeländischen Erfinders. Die sich hingegen im Gepäck öffnen und leeren konnte. Der Einfall für seinen Reisegewürzstreuer (siehe Kasten) war geboren. Er verbesserte den Artikel, industrialisierte die Produktion und baute das Marketing unter dem Namen Swiss Spice auf.

Plötzlich änderte der Urheber seine Ansichten und wollte für das Patent mehr Geld. «Damals kam es faktisch zum Konkurs», sagt Meyer. Lediglich wegen treuer Lieferanten konnte er den Liquiditätsengpass überbrücken. Nach der Erholung wollte er die Weichen wieder auf Fortschritt stellen, was sich im neuen Namen Swiss Advance widerspiegeln sollte. Indes, die Pechsträhne dauerte an. «Der frühere Hersteller konnte einige Male nicht liefern. Dadurch sind die grössten Kunden abgesprungen», erinnert er sich. Und dies in der Schweiz, wo es laut ihm extreme Hartnäckigkeit verlangt, um in die Läden zu kommen. «Manchmal 10 Jahre.»

Erste erfolgreiche Erfindungen

Er änderte seinen Arbeitsrhythmus und setzte mehr auf Lebensqualität. «Ich reise jedes Jahr zwei Monate. Zudem nehme ich mir die Freiheit, mit dem Gleitschirm eine Bergtour zu machen, wenn ich es brauche – und das kann oft passieren.» Meyer entwickelte seine Kreativitätstechnik. «Ich bin fasziniert von Outdoor-Aktivitäten und gestalte Erfindungen primär für mich selbst. Denn nur aus Mangel entstehen Ideen, nicht aus Überfluss.» Daraus resultierten einige Produkte, die nach der langen Durststrecke Erfolge beflügeln mögen. «Es ist nicht mein Ziel, zu analysieren, wie es geht, sondern dass es geht», philosophiert er frei nach Goethe.

Eine solche Not war es, als Meyer beim Campen eine Red-Bull-Dose fand und daraus ein Grillwerkzeug bastelte, auf das man eine Wurst spiessen oder ein Brot klemmen und an einem Stecken über das Feuer halten kann. Heute gibt es das Tool aus Edelstahl, es wiegt 30 Gramm und kostet 12.50 Franken. «Zuerst wollte ich die Dose entsorgen. Zum Glück habe ich es nicht getan. Dieses Jahr hat die Migros Luzern als Pilot für den MGB 6000 Stück bestellt.» Und vom Verband der Schweizerischen Werbeartikelindustrie (PromoSwiss) erhielt Meyer heuer den PromoFritz-Award in der Kategorie Innovation.

Am Rande sei erwähnt, dass Peter Meyer sich dazwischen fast zwei Jahre als Vegetarier versuchte und infolgedessen die französische Jagdprüfung ablegte, weil er das für ehrlicher hielt. Ein Hin und Her gab es auch im Geschäftsleben. Zuerst schenkte die Dollar-Krise ein. «In den USA haben wir in wenigen Monaten rund 1000 Verkaufsstellen verloren.» Danach folgte die Euro-Krise. «Davor waren wir in 32 Ländern aktiv, danach sind wir auf 4 gefallen.» Meyer zog und zieht seine «Swiss made»-Strategie durch, obwohl die Fabrikation im Ausland, insbesondere in China, deutlich billiger ist. Wenn ennet der Grenze, dann höchstens in Deutschland – und das bloss für Arbeiten, die hierzulande qualitativ nicht verfügbar sind.

In neue Dimensionen katapultieren

Sein gegenwärtiges Meisterstück hat Meyer Mitte 2013 auf den Markt gebracht. Es soll Swiss Advance in neue Dimensionen katapultieren. «Nach einer über 100- jährigen Tradition wollte ich das Taschenmesser neu erfinden.» Zeitgemäss lässt der Pfiffikus alles Überflüssige weg. Keine Verschalung aus Plastik mit schwerer Mechanik, sondern eine Achse wie bei einer Uhr mit einem Fächer. Seine Version wiegt 38 Gramm, hat gleichwohl 16 Funktionen und kostet 38 Franken. Ein Problem – neben dem Missfallen von Victorinox – hat Meyer bereits geortet. «Mein Taschenmesser ist nur silbrig. Was fehlt, ist die bekannte rote Optik.» Weshalb er die nächste Generation entsprechend eloxieren lässt.

Farblich behandelt ist die Oberfläche bislang erst beim Original Rex, dem kultigen Schweizer Obst- und Gemüseschäler. «Das ist das einzige Produkt, das nicht von uns ist, das wir aber trotzdem verfeinert haben.» Bei Meyer ist er lediglich 14 Gramm schwer. Noch weniger auf die Waage bringt sein Reisebesteck, das aus- und einfahrbar ist. Das Messer wiegt 13 Gramm, die Gabel nur 12 Gramm – und der Löffel, der wird nächstes Jahr lanciert. «Als leichtester Löffel der Welt», sagt Meyer. Mittlerweile sind acht Produkte im Sortiment und die unternehmerische Situation hat sich laut dem Patron stabilisiert. Für die nächsten fünf Jahre ist alle zwölf Monate ein Produkt in Entwicklung und Planung. «Je grösser die Palette, desto stabiler die Firma.»

Lieber Gleitschirm als verkaufen

Der Absatz in der Schweiz macht gemäss Meyer rund 10 Prozent des Umsatzes aus. «Dieser dümpelt etwas vor sich hin. Ich bin eben ein schlechter Verkäufer. Ich fliege lieber mit dem Gleitschirm von Berg zu Berg, brüte neue Projekte aus und übernachte draussen.» Oder Apnoetauchen. Oder Speedgliding. Oder wie sonst seine aktuellen Hobbys heissen. Unter dem Strich resultiere in letzter Zeit immer eine schwarze Null für sein vierköpfiges Team. Der Vertrieb läuft hierzulande direkt, über die Filialen von Transa oder diverse Einzelhändler. In Deutschland arbeitet er mit Katadyn. Zusammenfassend meint der Krämer: «Swiss Advance ist vielleicht die authentischste Outdoor-Brand der Schweiz – doch auch die letzte unbekannte kleine Grösse.»