Vorbei am Werkschutz führt der Weg ins riesige Daimler-Werk in Sindelfingen. Ein etwas abseits gelegenes imposantes Gebäude beherbergt die Maybach-Manufaktur. Hier erlebe ich zum ersten Mal einen Maybach. In der Tat, der Anblick dieses Fahrzeuges ist beeindruckend. Trotz der enormen Grösse wirkt die Karosserie elegant. Feinstes Leder, aufwändig verarbeitete Holzdekors, Mehrschichtlackierung, Perfektion bis ins Detail. Eines wird sofort klar: Der Maybach setzt Massstäbe im Automobilbau.
Die Typenbezeichnung ist schlicht, hier – aber nur hier – setzen die Autobauer der Maybach-Manufaktur auf Understatement. Der Neue heisst einfach Maybach 62. Die Zahl steht dabei für die Länge des Fahrzeuges, nämlich knapp 6,2 Meter. Das entspricht vier Smarts, die quer nebeneinander geparkt werden. Zum Vergleich: Ein sicher nicht zu kurz geratener Rolls-Royce Silver Seraph nimmt sich mit seinen 5,4 Metern dagegen wie ein Kleinwagen aus. Angesichts einer Breite von 1,98 Metern sollte man mit dem Maybach wohl besser enge Parklücken und lieber auch die Rushhour in Rom oder Paris meiden.
Ausserhalb des Stadtverkehrs können Motor und Fahrwerk ihre Qualitäten voll ausspielen. Ein von zwei riesigen Turbos aufgeladener Zwölfzylindermotor mit fast 5,5 Litern Hubraum entfaltet bereits bei 2300 Umdrehungen das Drehmoment eines hochgezüchteten Race-Trucks: satte 900 Newtonmeter. Das ist etwa so viel, wie zwölf Smarts gemeinsam auf den Prüfstand bringen. Das Triebwerk leistet bereits bei moderaten 5250 Umdrehungen bärenstarke 550 PS. Selbst die meisten Ferrari-Fahrer werden angesichts dieser Daten neidisch.
Das alles genügt, um den Maybach, der voll getankt stolze 2855 Kilogramm auf die Waage bringt, in nur 5,4 Sekunden auf Tempo 100 zu beschleunigen. Auch diese Daten erinnern irgendwie an einen Race-Truck. Unterstrichen wird dieser Eindruck durch einen beherzten Druck auf die Hupe: Offensichtlich haben die Maybach-Ingenieure noch irgendwo in den bis auf den letzten Millimeter ausgefüllten Motorraum die Fanfare eines Ozeandampfers eingebaut.
Wer im Rückspiegel die wuchtige Front eines Maybach mit seinen acht Bi-Xenon-Scheinwerfen und dem vom Maybach-Emblem gekrönten Kühlergrill mit Längsrippen sieht, der macht auch ohne Hupe die Bahn frei. Die meisten Verkehrsteilnehmer sehen ohnehin nur das massive Heck des Maybach mit seinen 528 Leuchtdioden im ICE-Tempo entschwinden.
Aus der Perspektive des Maybach-Fahrers spielt sich das alltägliche Fahrgeschehen irgendwo jenseits der scheinbar endlosen Motorhaube ab. Deren ungefähres Ende wird durch das Symbol mit dem charakteristischen Doppel-M signalisiert. Der sehr kultivierte V12 startet nach einem sanften Druck auf den Startknopf des Wählhebels der Fünfgangautomatik unspektakulär. Laufruhe und Schalldämmung sind nahezu perfekt. Dank dem riesigen Radstand von 3,8 Metern und der ausgefeilten Luftfederung gleitet die Limousine sanft über den Asphalt. Fahrbahnunebenheiten kennen Maybach-Fahrer nur vom Hörensagen. Der Wagen gleitet geschmeidig seinem Ziel entgegen. Wer das mit Aussenspiegeln über zwei Meter breite Gefährt unbeschadet durch eine enge Autobahnbaustelle pilotiert, der lenkt auch sicher einen Supertanker durch den Suezkanal.
Etliche elektronische Helfer unterstützen den Chauffeur bei seiner Aufgabe. Vor allem in schnellen Kurven halten sie den wuchtigen Wagen in der Spur. Egal ob Navigationshilfe, elektronisch geregelter Sicherheitsabstand im flüssigen Verkehr, Parkhilfe, Tempomat, Stabilitätsprogramm, ABS, ASR und elektronisch geregelte Bremsanlage – im Maybach findet sich praktisch alles, was Automobilingenieure derzeit auf Lager haben.
Überhaupt, die Bremsen. An jedem Vorderrad sorgen je zwei riesige elektronisch gesteuerte Bremszangen aus der S-Klasse für die notwendige Verzögerung der gewaltigen Reifen mit den Dimensionen 275/50 R 19. An der Hinterachse greift jeweils eine Zange beherzt auf die riesigen Bremsscheiben. Damit jederzeit die optimale Verzögerung erreicht wird, ist die Bremsanlage mit dem Regensensor gekoppelt. Werden die Scheibenwischer aktiviert, dann werden auch die Bremsen vorgetrocknet, um jederzeit optimale Verzögerung zu bieten.
Die gesamte Technik stammt aus der S-Klasse, wurde allerdings für den Maybach überarbeitet und angepasst. Schade, dass auch das Multifunktions-Display für die Instrumente aus der S-Klasse stammt. Das Display ist zwar unzweifelhaft gut, doch hier wäre eine grössere Distanz zum kleinen Bruder S 600 kein Fehler.
Im Inneren der Limousine herrscht Club-Atmosphäre, hier ist der Maybach 62 derzeit das Mass aller Dinge. Die 1,2 Meter langen Türen zum Fond lassen sich im Winkel von 90 Grad öffnen und erlauben es, quasi erhobenen Hauptes ein- oder auszusteigen. Kein Wunder also, wenn einige Königshäuser im Mittleren Osten gleich mehrere Maybachs geordert haben. Wer dann in den unglaublich bequemen Rücksitzen Platz nimmt, erlebt Luxus pur. Auf Knopfdruck schliessen sich die riesigen Türen dank leistungsstarker Elektromotoren in Sekundenschnelle. Ein weiterer Schalter verwandelt den Rücksitz in eine komfortable Liege samt Fussstütze.
Je nach Wunsch ist der mit weichem Leder bezogene Liegesitz heizbar oder durch eine Lüftung kühlbar. Eine Massagefunktion unterstreicht den perfekten Komfort. Auf Wunsch lässt sich der üppige Fussraum sogar noch vergrössern, indem man die Position des Vordersitzes per Elektronik von hinten kommandiert. Im Dach montierte Instrumente zeigen den Passagieren im Fonds jederzeit Tempo, Aussentemperatur und Uhrzeit an.
In die Rückenlehne der Vordersitze sind grosszügige LCD-Displays eingelassen – das Unterhaltungsprogramm an Bord kann sich sehen lassen. DVD-Player mit Dolby-Surround-Sound aus 21 Lautsprechern, die 600 Watt leisten, verwandeln den Maybach je nach Wunsch in einen Konzert- oder Kinosaal.
Für den Durst zwischendurch befindet sich zwischen den beiden Rücksitzen ein Kühlfach für Champagner. Die passendenSilberbecher der Traditionsmarke Robbe & Berking finden in einem der vielen dezent verkleideten Fächer für alle möglichen Utensilien Platz. Schön gearbeitete Klapptische passen sich dank ihrem Verstellmechanismus der jeweiligen Sitz- oder Liegeposition an, ideal für das entspannte Arbeiten während der Fahrt. Für jeden der vier Plätze im Maybach lässt sich durch zwei Klimaanlagen die Temperatur individuell regeln. Freiwillig steigt hier niemand so schnell wieder aus.
Schlicht sensationell ist das elektrotransparente Panoramaglasdach über den beiden Sitzen im Fond. Auf Knopfdruck wandelt es sich von transparent in undurchsichtig oder dezent beleuchtet und schafft so eine Atmosphäre, wie es sie bisher in Limousinen nicht gab. Eine Sonnenblende sorgt für Schutz vor allzu grosser Einstrahlung, und ein integriertes Solarmodul liefert Strom für die Innenraumbelüftung im Stand. Kein Wunder, wenn der Aufpreis für dieses Dach im Maybach 57 mit rund 16 000 Euro veranschlagt wird – man kann auch stattdessen zwei Smarts für die Dienstboten kaufen. Aber für Maybach-Käufer spielt der Preis ohnehin nur eine untergeordnete Rolle, schliesslich beträgt bereits die Anzahlung 50 000 Euro. Der Grundpreis des Maybach 62 liegt bei etwa 400 000 Euro. Ein Rolls-Royce Silver Seraph mit rund 250 000 Euro ist dagegen ein Schnäppchen. Aber die Autobauer von der Insel stehen zum Konterangriff bereit. Der neue Rolls wartet ebenfalls mit einem V12 auf, der immerhin 500 PS leistet.
Doch im Center of Excellence (CoE) bei Maybach sieht man sich gut gerüstet für das Duell der Repräsentationslimousinen. Der Fantasie bei der Individualisierung sind bei Maybach nämlich kaum Grenzen gesetzt, hier will man mit der etablierten Konkurrenz aus England gleichziehen. Das passende Ledergepäck für Reise und Golf liefern die Werkstätten des Luxuskonzerns Richemont.
Bei all den schwierigen Fragen der Ausstattung helfen die Personal Liaison Manager (PLM) von Maybach. Der Luxuswagen wird nämlich ausschliesslich über die PLM direkt vertrieben. Von ihnen sind derzeit weltweit 40 im Einsatz, von Hongkong über Moskau und Dubai bis Zürich. Christoph Ernst betreut die Kunden für den Schweizer Markt. Ernsthafte Anfragen solventer Kunden werden an ihn beispielsweise von einer Mercedes-Niederlassung weitergeleitet. Er nimmt dann den Kontakt auf und begleitet den künftigen Maybach-Besitzer ins Center of Excellence, dort findet die Kaufberatung statt – nein, dort wird das Kauferlebnis zelebriert. Das erste dieser CoE wurde vor einigen Monaten im Daimler-Stammwerk in Sindelfingen eröffnet. Weltweit sind 50 solcher Zentren geplant.
Im Sindelfinger CoE geht es nobel zu, selbst ein eigener Koch steht den Kunden für deren Wünsche bereit. Der gesamte Zugangsbereich kann auf Wunsch gegen neugierige Blicke abgeschirmt werden. Im Inneren befindet sich ein Hightech-Showroom für den Maybach. An einem riesigen Bildschirm kann der Kunde mittels einer Computer-Animation in 3D verschiedene Farbvarianten testen. Ist eine erste Wahl getroffen, öffnet der PLM per Fernsteuerung die so genannte Magic Wall, deren Einbau sich der Konzern rund eine Million Euro kosten liess. Zwei Schiebetüren geben dann den Blick auf Dutzende Farb- und Materialmuster frei – fein säuberlich sortiert in beleuchteten Fächern und Ablagen.
Jeder Maybach wird durch die Fülle der Variationen zum Unikat. Besonders interessant sind derzeit mit Klavierlack verschönerte Verkleidungen. Ab dem Frühjahr ist dann auch erstmals polierter Granit als Dekor erhältlich. Allein dessen hauchdünne Verarbeitung in unterschiedlichen Radien ist eine Sensation. Zu guter Letzt lassen sich die aktuellen Maybach-Modelle auf Drehpodesten dank spezieller Beleuchtungsanlage ins rechte Licht setzen
. Christoph Ernst erzählt aus der Praxis: «Normalerweise veranschlagen wir für die Beratung einen halben Tag. Kürzlich war ein Kunde auf der Durchreise hier. Nachdem wir auf seinen Wunsch die Beleuchtung so einstellten, dass sie einem Sonnenuntergang auf Korfu entsprach, kaufte er sofort einen Maybach.» Nach 20 Minuten verliess der Käufer zufrieden das CoE. Dabei hätte er dort gleich auch noch seinen Mercedes im angegliederten Design-Center veredeln lassen können. Ab dem Frühjahr wird auch der Mercedes SLR im CoE erhältlich sein, ein Supersportwagen, der in Zusammenarbeit mit dem Formel-1-Partner McLaren entsteht.
Trotz Rezession läuft das Maybach-Geschäft gut. Allein in die Schweiz kommen im nächsten Jahr 50 Autos. Wer heute bestellt, wartet rund ein Jahr. Die Jahresproduktion soll 1000 Stück betragen, etwa je zur Hälfte Maybach 57 und 62. Eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass der weltweite Markt für Autos der obersten Preisklasse auf rund 8000 Stück geschätzt wird und sich mehrere Hersteller im Segment der Superluxusautos tummeln. Maybach setzt daher auf den besonders exquisiten Service durch den PLM.
Christoph Ernst trägt sein Handy immer bei sich, um sofort reagieren zu können, wenn ein Kunde ein Problem mit dem Fahrzeug haben sollte. Der PLM holt den Wagen zum Service ab und steht auch sonst für alle Fragen rund um den Maybach zur Verfügung. Als Ersatzwagen steht dem Kunden dann ein S 600 zur Verfügung. Vier Jahre Vollgarantie bietet Maybach den Kunden an. Auch damit will man sich von den Wettbewerbern abheben. Doch das stärkste Argument für einen Wechsel zu Maybach ist sicher das Fahrzeug selbst. Gerade der Maybach 62 dürfte bei den Limousinen derzeit das Mass aller Dinge sein.

Ab 347 500 Euro. Maybach: 6,2 oder 5,7 Meter lang. Motor: V12, 5513 cm3, 405 KW / 5250 UpM, 900 Nm / 2300 UpM Beschleunigung 0–100 km/h: 5,4 s Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h Getriebe: Fünfgangautomatik, Antrieb auf die Hinterachse Dimensionen: Länge 5730 mm (Maybach 57) oder 6165 mm (Maybach 62), Breite 1980 mm, Höhe 1573 mm Gewicht: leer 2855 kg, Zuladung 525 kg, Tankinhalt 110 Liter Listenpreis Maybach 57: 347 500 Euro (ohne Liegesitze im Fond), Maybach 62: 403 500 Euro

Vom Waisenkind zum Autobauer
Die Biografie von Wilhelm Maybach liest sich spannend wie ein Krimi. Der grosse Gottlieb Daimler, weltoffen und geschäftstüchtig, wird auf das Talent des jungen Wilhelm aufmerksam. Der hat im Reutlinger Waisenhaus seine technischen Fähigkeiten bereits unter Beweis gestellt. Mit Gottlieb Daimler zieht Maybach zunächst von Karlsruhe über Köln zurück ins schwäbische Cannstatt. Im Gartenhaus Daimlers entsteht dort 1885 das erste Meisterwerk Maybachs: der Reitwagen, das erste Motorrad mit Verbrennungsmotor. Der Durchbruch für den motorisierten Strassenverkehr ist geschafft. Daimler und Maybach beginnen mit dem Automobilbau und stellen mit dem Mercedes von 1901 das erste moderne Automobil vor. 1907 verlässt Maybach das Unternehmen und entwickelt für seinen Freund Graf Zeppelin Luftschiffsmotoren. 1921 beginnt dann Maybach-Sohn Karl mit dem Bau von Automobilen.
Zu den bemerkenswertesten Maybach-Modellen gehörte die ab 1930 gebaute Limousine Zeppelin DS8. Einige Modelle verfügten über einen Zwölfzylindermotor mit 200 PS aus acht Litern Hubraum. Das Vorwählgetriebe mit Servobedienung erlaubte halbautomatisches Schalten. Angeboten wurde auch ein Doppelschnellgang-Getriebe mit zweimal vier Gängen – ein Meisterwerk. Je nach Karosserie lag das Gewicht bei über drei Tonnen. Etwa 200 Stück des DS8 wurden gebaut. Im Kriegsjahr 1941 endete die Automobilproduktion. Die Motorenherstellung lief weiter und wurde später in den Daimler-Konzern integriert. Damit fielen auch die Markenrechte an DaimlerChrysler. In den Neunzigerjahren entstand ein erster Prototyp für einen neuen Maybach; der Startschuss für die aktuelle Serie fiel schliesslich 2002.
Partner-Inhalte