Am 7. Januar zog US-Finanzminister John Snow einmal mehr die Notbremse. In einem Interview mit dem US-Sender CNBC betonte er das Interesse der Regierung an einem kräftigen Dollar. Ein starker Greenback, liess er die Welt wissen, liege «im nationalen Interesse».

Sein Auftritt hatte die gewünschte Wirkung: Der rasant in Richtung Abgrund rasende Dollarzug wurde gebremst. Nach Wochen des Rückgangs konnte der Dollar gegenüber Euro, Yen und Franken wieder etwas Boden gutmachen.

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Die Frage ist nur, für wie lange. Schon einmal, Mitte November, hatte Snow den Dollar nach oben geredet. Der Effekt hielt nur kurz an, dann sauste die US-Währung wieder nach unten. «Snow Job» lautet das geflügelte Wort, mit dem die Amerikaner den Versuch bezeichnen, etwas unter einer Decke von Wörtern zu begraben wie unter einer Masse von Schnee. Der Name des US-Finanzministers lud geradezu zu ironischen Wortspielen in der amerikanischen Presse ein.

Umso mehr, als das Bild durchaus zutreffend ist. Denn solange die US-Regierung den Worten keine Taten folgen lässt, ist das Ganze in der Tat ein «Snow Job». Das Leistungsbilanzdefizit – die Amerikaner importieren viel mehr, als sie exportieren – und das Budgetdefizit aus Irakkrieg und Terrorbekämpfung haben den Staat in die Milliardenverschuldung schlittern lassen. Und es gibt keine Anzeichen dafür, dass US-Präsident George W. Bush die beiden Hauptursachen für die Dollarschwäche bekämpfen will.

Die meisten Experten rechnen denn auch für 2005 mit einem anhaltend fallenden Dollar. «Trotz vorübergehenden Korrekturen befindet sich der Dollar weiter im Abwärtstrend», urteilt Klaus Wellershoff, Chefökonom der UBS.

Dies, obwohl der Greenback schon tief im Keller ist und seit längerem einen Minusrekord nach dem anderen bricht. Seit Mitte 2001 hat der Dollar gegenüber dem Franken rund 36 Prozent verloren, gegenüber dem Euro 38 Prozent und gegenüber dem Yen 24 Prozent (siehe «Der Greenback im Sinkflug» auf Seite 75). Das alte Jahr liess die US-Währung mit einem neuen Allzeittiefst ausklingen: 1.3668 Euro war der Dollar am 30. Dezember noch wert, so wenig wie noch nie seit der Einführung der europäischen Einheitswährung im Januar 1999.

Die Nerven liegen blank. Frankreichs neuer Finanzminister, Hervé Gaymard, reagierte auf die Eurotiefststände von Ende Dezember mit Schreckensszenarien: Gehe die Talfahrt weiter, so Gaymard, steuere die Welt auf eine «ökonomische Katastrophe» zu. Auch dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder scheint die Sache langsam unheimlich zu werden. Er hat angekündigt, die Dollarschwäche beim nächsten Weltwirtschaftsmeeting der G-8-Staaten zum Gipfelthema zu machen.

In der Tat sind die ökonomischen Ungleichgewichte, die sich in den jüngsten Währungsverschiebungen spiegeln, alles andere als harmlos. Das eng verflochtene Weltwirtschaftssystem wird zusehends instabiler, weil sich die weltweiten Kräfteverhältnisse derzeit im Rekordtempo verändern. Die Gefahr für die globale Wirtschaft ist drastisch gestiegen. Besonders unheimlich: Die USA, jahrelang die Lokomotive der Weltwirtschaft, sind aus der Spur geraten.

Dies zeigt sich an einigen wichtigen ökonomischen Kennzahlen. Die USA, die mächtigste Volkswirtschaft der Welt, zeigen in vielerlei Hinsicht Merkmale einer Bananenrepublik. Hauptproblem ist die enorme Verschuldung – die Nettoauslandverschuldung der USA beträgt annähernd 300 Prozent der Jahresexporte. Ehemals hoffnungslose Fälle wie Argentinien, dessen Wirtschaft vor drei Jahren implodierte, waren mit rund 400 Prozent der Jahresexporte kaum viel stärker verschuldet.

Das Leistungsbilanzdefizit, also der Unterschied zwischen Importen und Exporten, erreichte allein im Jahr 2004 über 600 Milliarden Dollar. Das entspricht rund 5,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Ein erschreckend hoher Anteil. Der Internationale Währungsfonds (IWF), nicht zuletzt dazu geschaffen, um seinen Mitgliedern bei der Überwindung von Zahlungsbilanzproblemen zu helfen, tritt bei Schwellenländern in Südamerika, Afrika und Asien bereits bei einem Anteil von üblicherweise fünf Prozent auf den Plan und ermahnt die Regierungen zur Mässigung. Wer sich den Appell nicht zu Herzen nimmt, muss bei einer weiteren Verschlechterung der Leistungsbilanz damit rechnen, dass der IWF das nächste Mal mit einem Sanierungsplan in der Tasche anklopft. Die USA dagegen betrachten sich als Sonderfall, gelten sie doch als treibende Kraft in dieser internationalen Organisation. Allerdings dürfte, wenn Washington nicht rasch auf die Bremse tritt und sich bei den Ausgaben Zurückhaltung auferlegt, das Leistungsbilanzdefizit in diesem Jahr auf gegen sieben Prozent des Bruttoinlandprodukts steigen. Dann könnten auch die Kontrolleure beim IWF nicht mehr beide Augen zudrücken.

Die Amerikaner jedoch scheinen ihre Genusssucht nicht zügeln zu wollen. Berauscht von Konsumlust, kaufen sie in der ganzen Welt ein wie verrückt: Kleider, elektronische Geräte, Nahrungsmittel, Autos – alles wird importiert. In grossem Stil gekauft wird vor allem in Asien, etwas weniger intensiv in Europa. Von den 600 Milliarden Dollar Handelsbilanzdefizit entfallen ungefähr 160 Milliarden auf Japan, 150 Milliarden auf China und Rest-Asien, 140 Milliarden auf Europa, 100 Milliarden auf die Golfstaaten und 50 Milliarden auf den Rest der Welt.

Folgender Mechanismus läuft dabei ab: Die Staaten der Welt nehmen das US-Geld, das die Amerikaner für die Importware bezahlen, und leihen es den Vereinigten Staaten zurück. Etwa indem sie US-Staatsanleihen kaufen. So finanzieren sie den US-Konsumboom. In den USA selber fehlt dafür das Geld. Die Sparquote ist mit 0,2 Prozent niedrig.

Lange Zeit störte sich niemand an dieser Spirale, weil sie für alle Vorteile zu haben schien. Die Amerikaner konnten konsumieren, während die Handelspartner tüchtig exportierten. Inzwischen hat das Ganze ein ungesundes Ausmass erreicht. Allein in den asiatischen Zentralbanken haben sich Dollarbestände in der Höhe von 1800 Milliarden angehäuft. Um den Amerikanern ihren Konsum zu finanzieren, muss die Welt fast zwei Milliarden in die USA hineinpumpen – täglich. Allein in den letzten zweieinhalb Jahren ist die Gesamtverschuldung der Vereinigten Staaten um 1000 Milliarden Dollar gestiegen. Insgesamt steht Uncle Sam im Moment mit über 3000 Milliarden Dollar bei der Welt in der Kreide.

Jede Firma wäre bei einer solch hohen Verschuldung ein Sanierungsfall. Die Konstellation ist auch für die USA eine Art Zeitbombe: Galoppierende Verschuldungsraten führen dazu, dass die Vereinigten Staaten einen immer grösseren Teil ihres Einkommens für Zinszahlungen ans Ausland aufwenden müssen.

Lange war das angesichts niedriger Zinsen kein Problem. Doch bei wachsender Verschuldung dürften auch die Preise für die Kreditvergabe anziehen. Wie jede hoch verschuldete Firma werden auch die USA als zunehmend risikoreicher Schuldner betrachtet. Wer bis unters Dach verschuldet ist, muss als Risikoprämie höhere Zinsen bezahlen. Bereits haben die wachsenden Defizite die Bonität des Schuldners USA in Frage gestellt. Das «Wall Street Journal» warf die Frage auf, ob das AAA-Rating, das der US-Staat seit 1917 geniesst, noch gerechtfertigt sei. Einzelne Ratingagenturen, etwa die kleine, aber feine Egan-Jones, haben die USA bereits auf AA herabgestuft. Ein Double-A haben heute etwa Portugal oder Italien – nicht unbedingt die führenden Volkswirtschaften der Welt.

In der Verschuldungsfrage setzt die Regierung von George W. Bush auf die Kräfte des Marktes, getreu dem Motto, dass ein fallender Dollar über kurz oder lang das Aussenhandelsdefizit von allein beseitigen wird, weil die Importe dadurch teurer werden und die Exporte billiger.

Mitte Dezember bezeichnete Bush die Budgetdefizite der Regierung erstmals lauwarm als «ein Problem» («issue»). Hinter verschlossenen Türen geht man im Weissen Haus freilich weiter davon aus, dass Defizite zwar nicht schön, aber andererseits auch kein vordringliches Problem seien. Vizepräsident Dick Cheney hatte schon vor Jahresfrist erklärt, eine der Lehren aus der Reagan-Ära sei, dass Haushaltsdefizite keine Rolle spielten. Inzwischen konnte sich Bush immerhin zum wolkigen Versprechen durchringen, zur Lösung des Problems für das Fiskaljahr 2006 ein «hartes» Budget vorzulegen, das die meisten Formen freiwilliger Ausgaben begrenzen werde.

Leistungsbilanzdefizite waren in der Vergangenheit tatsächlich kein wesentlicher Belastungsfaktor für den Greenback, weil man unterstellt hat, dass diese Defizite für Investitionen in produktive Sektoren genutzt wurden und eher Zeichen der Stärke der Amerikaner und Signal für das Vertrauen des Auslands waren. In der heutigen Konstellation gelten diese Argumente allerdings nicht mehr. Die schiere Grösse der Defizite gibt dem Problem eine neue Qualität.

Der Ökonom und Devisenexperte Fred Bergsten hat ausgerechnet, dass nur schon für eine Halbierung des Aussenhandelsdefizits der Dollar nochmals derart stark fallen müsste, wie er es bis heute schon getan hat: «Die Hälfte der Wegstecke ist zurückgelegt», so Bergsten.

Gegenüber dem grossen Korb aller Weltwährungen ist der Dollar bis heute um 15 Prozent abgesackt. Ein weiterer Rückgang um 15 Prozent würde den schon stockenden Investitionsfluss in Richtung USA wohl gänzlich zum Versiegen bringen. Wer kauft schon US-Aktien oder andere Wertpapiere, wenn er darauf Währungsverluste in zweistelliger Höhe riskiert?

Ein stark fallender Dollar verteuert für die Amerikaner zudem die Importe, die Inflation steigt an, die Zentralbank muss die Zinsen erhöhen, die hoch verschuldeten Haushalte können ihre Hypotheken immer weniger bedienen, der Konsum bricht ein. Diese Kettenreaktion könnte sich zu einer Rezession auswachsen, bei der auch die durch billige Kredite finanzierte Immobilienblase der USA platzen würde. Kurzum: ein Szenario, das die grösste Volkswirtschaft der Welt in eine veritable Krise stürzen könnte. Die optimistischen Prognosen für die Weltwirtschaft – Jean-Claude Trichet, Chef der Europäischen Notenbank, prognostizierte jüngst für 2005 ein globales Wachstum von vier Prozent – müssten in diesem Szenario korrigiert werden. Wer aber könnte an Stelle der USA die Lokomotive für die Weltwirtschaft spielen? Das sklerotische, wachstumsschwache Europa? Das deflationsgepeinigte, konsumschwache Japan? Das überhitzte, von Investitionseuphorie getriebene und richtungslose China?

Die Risiken sind längst nicht mehr auf die USA beschränkt. Ein weiterer Dollarrückgang würde die Zentralbanken vieler Länder in die Bredouille bringen. Schon der bisherige Rückgang hat allein in Tokio und Peking Währungsreserven in Höhe von über 100 Milliarden vernichtet.

Bereits haben einzelne Zentralbanken wie diejenige Russlands und Indonesiens angekündigt, ihre Dollarreserven künftig vermehrt in weniger risikoreichen Währungen anzulegen. Doch was ist, wenn dies Schule macht und auch die ganz grossen Länder einen solchen Schritt tun? Die Geldpolitiker in Tokio (Devisenreserven: 800 Milliarden Dollar) und Peking (Devisenreserven: 600 Milliarden Dollar) sind in der Zwickmühle: Einerseits riskieren sie bei einem weiterhin fallenden Dollar weitere Milliardenverluste auf ihren Devisenreserven, andererseits würde nur schon ein Teilausstieg die Welt derart mit Dollars überschwemmen, dass die US-Währung ungebremst in den Keller sausen würde, um damit die restlichen Dollarreserven zu entwerten. Klar ist, dass die enormen Devisenreserven längst nicht nur zum Schutz der eigenen Währung angehäuft wurden. Larry Summers, ehemaliger Finanzminister von Bill Clinton und heute Präsident der Harvard-Universität, spricht von einem «Gleichgewicht des finanziellen Schreckens».

Wie nervös die Stimmung ist, zeigte sich Ende November, als eine sehr vage Aussage eines chinesischen Zentralbankers als Startschuss zum Ausstieg der Chinesen aus dem Dollar interpretiert wurde. Weltweit setzten die Devisenspekulanten auf einen fallenden Greenback und liessen so die ohnehin schwächelnde Währung noch weiter abstürzen. Die chinesische Notenbank musste mit einem offiziellen Dementi die erhitzten Gemüter beruhigen.

In Europa sorgt der schwache Dollar eher für andere Bedenken: Durch die starke Aufwertung der europäischen Währungen kommt die Exportwirtschaft in Schwierigkeiten. In der Schweiz sind die auf den Dollarraum ausgerichteten Firmen davon besonders betroffen. «Sinkt der Dollar-Wechselkurs um einen Rappen, reisst das ein Loch von 800 000 Franken in unsere Rechnung», sagt Oscar J. Schwenk, Chef der Pilatus Flugzeugwerke in Stans. Die Uhrenbranche stöhnt. Swatch-CEO Nick Hayek wetterte öffentlich über den «katastrophalen Wechselkurs» – 60 Prozent der Exporte der Uhrenfirma gehen in den Dollarraum. Auch der Tourismus leidet: Die Schweiz wird für amerikanische Touristen immer teurer.

Im Gegensatz zu den Nachbarn in Euroland leidet die Schweizer Exportwirtschaft allerdings insgesamt weniger. Noch immer gehen rund zwei Drittel der Exporte nach Europa, vor allem nach Deutschland. Gegenüber dem starken Euro ist der Franken eher noch leicht gesunken.

Im Business mit den Amerikanern zeigen sich die Schweizer Firmen bisher noch zu grossen Teilen zufrieden. Der Boom in den Vereinigten Staaten und das ansprechende Wirtschaftswachstum sorgen für eine zügige Nachfrage und überdecken die tiefer liegenden Probleme. Die Schmerzgrenze dürfte allerdings bald erreicht sein. Laut Thomas Daum, Direktor des Industrieverbands Swissmem, kommen wir in der Schweiz «langsam in eine kritische Zone, wo die positiven konjunkturellen Effekte aus den Wachstumsmärkten die Nachteile der Dollarschwäche nicht mehr kompensieren können».

Die Wachstumsaussichten für die Eidgenossenschaft für 2005 werden von den Konjunkturauguren eher wieder pessimistischer gesehen. Die Credit Suisse erwartet 1,6 Prozent Wachstum, nach 1,8 Prozent im Jahr 2004. Bereits macht europaweit das Schreckgespenst einer neuen Konjunkturdelle die Runde, gerade jetzt, da nach Jahren der Krise wieder etwas Hoffnung angebracht schien. Ökonomen der Deutschen Bank haben ausgerechnet, dass der fallende Dollar die europäische Wachstumsrate um bis einen halben Prozentpunkt reduzieren könnte.

Doch nicht bloss in den USA und in Europa steigen die Risiken für rezessive Tendenzen. Vor allem in Asien hat der fallende Dollar für gefährliche Instabilitäten gesorgt.

Da ist zunächst Japan. Das Land selber leidet unter Deflation und einem chronischen Nachfragedefizit. Für ihr Wachstum brauchen die Japaner die Exporte in die USA dringend. Der fallende Dollar macht Käufe in Yen teurer. Eigentlich müsste der japanischen Yen gegenüber dem Dollar noch weiter steigen, so UBS-Chefökonom Wellershoff, denn er ist «fundamental unterbewertet». Lange hat Japan den Yen mit massiven Interventionen am Markt gegenüber dem Dollar künstlich tief gehalten. Die riesigen Dollarbestände der japanischen Zentralbank sind angesichts der Währungsunsicherheiten aber zum Klumpenrisiko geworden. Die Schmerzgrenze ist erreicht, die Japaner sind vorsichtig geworden: «Wir beobachten die Lage am Devisenmarkt genau», so Sadakazu Tanigaki, Japans Finanzminister. UBS-Experte Wellershoff glaubt, dass der Dollar gegenüber dem japanischen Yen bis Ende 2005 deutlich sinken wird. Damit verschlechterten sich für
Japan aber die Exportchancen und damit das Einzige, was die Wirtschaft im Land der aufgehenden Sonne noch einigermassen am Leben erhält. Die rezessiven Kräfte würden gestärkt.

Dies insbesondere, weil es innerasiatisch einen Konkurrenten gibt, der mit längeren Spiessen kämpft: China. Das bevölkerungsreichste Land der Welt hat seine Währung an den Dollar gekoppelt. Sinkt der Dollar, sinkt der Yuan automatisch mit. Die Chancen der Chinesen für Exporte in die USA bleiben damit intakt. Doch es gibt ein Problem: Der Yuan müsste im Vergleich zum Dollar, ja zu den meisten Währungen der Welt deutlich mehr wert sein. Das zeigt sich, wenn man das amerikanische Aussenhandelsdefizit genauer analysiert. Ein Viertel des amerikanischen Importüberschusses geht allein auf das Konto von China. Das Defizit mit China ist viermal so gross wie mit Europa. Der starke Euro hat die Exportwaren verteuert, der an den Dollar gekoppelte Yuan nicht. Die Folge: grosse Warenströme von China in die Vereinigten Staaten.

Bereits sehen viele Experten darin den Hauptgrund für die derzeitige Währungskrise in China. Als Gegenmassnahme wird dringend eine Aufwertung des Yuan oder gar eine Abkoppelung von der US-Währung verlangt. Das würde den Dollar gegenüber dem Yuan sinken lassen, im Gegenzug aber etwas Druck wegnehmen vom Euro, der als frei handelbare Währung heute fast den gesamten Abwertungsdruck des Dollars zu spüren bekommt.

Die Ausgangslage für die Chinesen ist allerdings heikel. Die Aufwertung des Yuan könnte das Land in die Rezession abrutschen lassen. Bei der letzten Abkühlung von 1992 stockte das Wachstum danach für volle sieben Jahre. Die Chinesen dürften mehr als zurückhaltend sein, ihre Exportindustrie in Gefahr zu bringen, sagt Wirtschaftsprofessor Barry Eichengreen von der Berkeley University, «weil die politische Stabilität auch weiterhin davon abhängt, dass die Landbevölkerung in die Städte zieht und dort Arbeit findet».

Anderseits wäre der Zeitpunkt für die Erhöhung des Yuan derzeit günstig, denn die chinesische Wirtschaft ist überhitzt. Hohe Wachstumsraten und eine Investitionsquote von inzwischen fast 50 Prozent des Volkseinkommens prägen das Land. Diese Konstellation ist nicht nur ungesund, sie ist auch gefährlich. Bereits droht eine Immobilienblase, wie sie einst auch Japan in die Krise stürzen liess.

Experten halten eine vorsichtige Erhöhung des Yuan um 15 bis 20 Prozent für sinnvoll. Vor einer vollständigen Abkoppelung vom Dollar wird indes gewarnt. Dafür sei das chinesische Bankensystem noch nicht stabil genug.

Ein behutsames Vorgehen ist in jedem Fall ratsam. Ungeschickt waren die Forderungen von Mitgliedern der US-Regierung an die Chinesen, den Yuan steigen zu lassen. Bevormundungen aus dem Westen kommen bei den Chinesen generell schlecht an. Li Ruogu, Vizegouverneur der chinesischen Staatsbank, wies die Amerikaner darauf hin, lieber das eigene Haus in Ordnung zu bringen und nicht andere für ihre Probleme verantwortlich zu machen. Die Chancen für ein Einlenken Chinas haben sich mit den amerikanischen Interventionen eher verschlechtert. Damit bleibt das Ungleichgewicht aber weiter auf der Weltwirtschaft lasten.

Ohnehin nehmen die Gehässigkeiten auf allen Seiten auffallend zu. Den Fingerzeig von EZB-Präsident Trichet an die Amerikaner, dass eine «brutale» Abwertung des Dollars aus Sicht der Europäischen Zentralbank «nicht willkommen» sei, konterte US-Finanzminister Snow mit der Belehrung, die Europäer sollten sich lieber «um ihre Wachstumsschwäche kümmern».
Es bleibt zu hoffen, dass die grossen Industrienationen sich in Zukunft weniger von nationalen Eitelkeiten leiten lassen. «Wir können nur auf eine klug gemanagte Neubewertung des Dollars und auf eine massvolle Ausbalancierung der Weltwirtschaft hoffen. Die hohen Ungleichgewichte lassen keinen Spielraum mehr für Fehler», warnt Stephen Roach, Chefökonom der US-Bank Morgan Stanley.

Angesichts der Instabilitäten und Spekulationswellen um den Dollar befassen sich die Devisenexperten bereits mit einem Szenario, das bis vor kurzem noch undenkbar erschien: eine Welt, in der der Dollar seine Stellung als Leit- und Reservewährung verliert. Der Gedanke kommt nicht von ungefähr. Noch nie zuvor war der Staat mit der Leitwährung gleichzeitig der grösste Schuldner der Welt, wie es heute die USA sind. «Schuldner versuchen gerne, ihr Aussenhandelsdefizit mittels Abwertung zu verringern – keine sehr attraktive Option für eine Reservewährung», urteilte die britische Zeitschrift «Economist» Ende 2004. Die Briten wissen genau, wovon sie reden: Dem Pfund Sterling, Vorgänger des Dollars als Weltwährung, erging es ähnlich. Auf dem Höhepunkt der Macht des Britischen Empire vor dem Ersten Weltkrieg war Grossbritannien der grösste Gläubiger der Welt. Nach zwei Kriegen und wirtschaftlichem Abstieg war das ehemals stolze Britannien einer der grössten Schuldner – und der Dollar übernahm die Rolle des Pfunds Sterling.

Was angesichts der Diskussionen um eine neue Ordnung Sorge macht, ist die Erfahrung aus der Geschichte: Immer war die Neuausrichtung des Weltwährungssystems mit einer Wirtschaftskrise verbunden. Nach dem Börsencrash vom Oktober 1929 stürzte die Welt in die Grosse Depression. Einer der wenigen Fixpunkte in einer von Orientierungslosigkeit geprägten Weltwirtschaft war zunächst noch das Währungssystem, das damals auf dem Goldstandard beruhte. 1931 lösten die Briten das Pfund vom Goldstandard, 1933 taten es ihnen die USA mit dem Dollar gleich. Was folgte, war eine Währungskrise mit einer Kette von Abwertungen über die ganze Welt, die das Ende des Goldwährungssystems bedeutete. Die Krise der dreissiger Jahre sollte zu einer der schlimmsten in der Wirtschaftsgeschichte werden. Ebenfalls sichtbar wurde der Mechanismus vierzig Jahre später. Nicht nur der Ölpreisschock, sondern auch die Neuausrichtung des Währungssystems sorgte für Unsicherheit. 1973 zerbrach das weltweite System fester Wechselkurse, und die Ära der frei schwankenden Wechselkurse begann. Orientierungslosigkeit und damit verbunden eine nachlassende Investitionsbereitschaft waren die Folgen. Erneut löste eine Kettenreaktion eine Weltwirtschaftskrise aus. Erst 1979 sorgte das auf Initiative von Deutschland und Frankreich neu gestaltete Europäische Währungssystem (EWS) wieder für Stabilität.

Und heute? Moderne Vorstellungen über eine mögliche neue Ausgestaltung des weltweiten Währungssystems sind noch vage. UBS-Chefökonom Klaus Wellershoff warnt davor, den Dollar zu schnell abzuschreiben: «Totgesagte leben länger.» Man dürfe nicht vergessen, dass die meisten Rohstoffe immer noch in Dollars gehandelt würden. Auf den Planbögen der Devisenauguren spielt der Greenback denn auch in Zukunft noch eine wichtige Rolle: Nicht eine Einzelwährung wird als Ersatz für die amerikanische Währung gesehen, sondern ein Korb aus Dollar, Euro und Yen, der als Referenz dienen könnte. Zwar gibt es auch Stimmen, die China dereinst die Leitrolle in der Welt zutrauen – und dem Yuan damit die Rolle der Referenzwährung. Doch solche Prognosen reichen gar weit in die Zukunft.

Klar erscheint, dass der Euro in der Weltwirtschaft eine grössere Rolle spielen wird. Ähnlich wie der Dollar etwa in Süd- und Mittelamerika angesichts der unsicheren lokalen Währungen zu einem Parallelzahlungsmittel geworden ist, spielt der Euro heute in Russland sowie Osteuropa überhaupt diese Rolle. Auch in Asien und Afrika lässt sich vermehrt in Euros bezahlen. Mit dem Euro besteht jedenfalls erstmals seit Jahrzehnten eine valable Alternative zum Greenback.

Klar ist, dass jede Form einer Neugestaltung des Währungssystems grosse Unsicherheiten bewirkt. Bis die Investoren der neuen Lage richtig trauen, vergehen mitunter Jahre. Investitionen werden zurückgehalten, die Weltwirtschaft stagniert – eine ungemütliche Vorstellung.

Die angenehmere Variante: Der Dollar spielt bei einer geschickten Wirtschaftspolitik in Washington gut und gerne noch viele Jahre seinen Dienst als Leitwährung der Welt. Die Vereinigten Staaten haben es selber in der Hand, das Vertrauen in ihre Währung wieder zu stärken. Disziplin bei den Haushaltsausgaben und eine höhere Sparbereitschaft auch des einzelnen US-Bürgers wären die ersten Schritte in die richtige Richtung.

Doch nichts von dem zeichnet sich zurzeit ab. Die Angst, die Amerikaner könnten die derzeitige Situation unterschätzen, steigt. «Das Ganze sieht nach einem Seiltanz mit ständig steigender Fallhöhe aus», warnte Grossspekulant George Soros schon vor über einem Jahr im Gespräch mit der BILANZ. In den frühen siebziger Jahren sah die Welt schon einmal einen starken Dollarzerfall. Kommentar des damaligen Finanzministers John Connally: «Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem.» Doch Hochmut kommt oft vor dem Fall: Die folgende Weltwirtschaftkrise sollte nicht nur in der Welt, sondern auch in den USA für eine hartnäckige Rezession mit Hyperinflation und Massenarbeitslosigkeit sorgen. Bleibt zu hoffen, dass die amerikanische Regierung sich an die Lektion der Vergangenheit erinnert. Nicht zuletzt auch im eigenen Interesse.