Die Flat Tax ist kein Hirngespinst: Schon 271 Millionen Menschen kennen heute die schlanke Steuer: Die baltischen Staaten Estland, Lettland, Litauen sowie Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgisien, Moldawien, Usbekistan, die Ukraine, die Slowakei und Russland haben eine Flat Tax eingeführt.

Beispiel Slowakei. Das Land macht heute wirtschaftlich eine gute Figur: Für 2004 wird ein stabiles Wirtschaftswachstum von vier Prozent erwartet, die Arbeitslosigkeit sinkt stetig (für 2004 sind 14,9 angepeilt, im Vorjahr waren es 15,3 Prozent), das Lohnniveau stieg im Vorjahr pro Kopf fast um acht Prozent. Stolz berichtet der Finanzminister von einem stärkeren Aufkommen der Mehrwertsteuer und gleich vielen Einnahmen wie im Vorjahr bei der Gewinn- und Einkommenssteuer. Dazu kommt der stetig wachsende Autocluster im Osten der Slowakei. Nach Volkswagen und Peugeot-Citroën haben sich nun auch Hyundai und Kia angesiedelt, allein im Raum Bratislava finden über 10 000 Menschen Arbeit in der Automobilindustrie.

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Die NZZ lobte neben den «billigen, willigen Arbeitskräften» explizit die «investitionsfreundlichen Steuergesetze», die das Wirtschaftswunder in der Slowakei erst möglich gemacht hätten. Und auch der vornehme britische «Economist» widmete dem «Tatra-Tiger» einen anerkennenden Artikel.

Kein Wunder, zieht Staatssekretär Vladimil Podstransky eine positive Zwischenbilanz: «Wir haben mit der Einführung des einheitlichen Steuersatzes gleichzeitig alle Steuerausnahmen gestrichen. Viele Slowaken empfinden das als gerechter, und die Steuervermeidung ist zurückgegangen.» Den Vorwurf der Kritiker, vor allem die Reichen würden von der slowakischen Flat Tax profitieren, lässt Podstransky nicht gelten. Während der niedrigste Einkommenssteuersatz früher zehn Prozent betragen habe, seien nun Einkommen bis zu 89 000 Kronen (2219 Euro) pro Jahr steuerfrei. Podstranskys Résumé: «Alle ökonomisch aktiven Personen profitieren.» Rentner und Sozialhilfeempfänger, das gibt der Staatssekretär zu, hätten Einbussen erlitten. «Doch», so meint er, «dieses Problem muss durch Sozialreformen gelöst werden.»

Tatsächlich haben einige Slowaken – das können auch die Fans der schlanken Steuer nicht abstreiten – am neuen System schwer zu tragen. Die Mehrwertsteuer betrug vor Einführung des einheitlichen Steuersatzes beispielsweise für Lebensmittel, Bücher, Gas und Strom und für Wohnungsmieten nur 14 Prozent. Seit dem 1. Januar gilt auch hier der Satz von 19 Prozent. Gleichzeitig wurden Sozialunterstützungen massiv gekürzt. Das führte zu Unruhen und Plünderungen vor allem unter der Roma-Bevölkerung, die in der Ostslowakei lebt, schlecht ausgebildet ist, miserable Jobaussichten hat und darum auf Sozialunterstützung angewiesen ist.

Beispiel Estland. Auch hier sind die Flat-Tax-Erfahrungen nicht nur positiv. Als erstes Land hat die kleine Baltenrepublik 1994 die Flat Tax eingeführt: 26 Prozent beträgt die Steuer auf allen Arten von Einkommen, gleichzeitig wurden alle Zölle abgeschafft. Estland gilt unter Flat-Tax-Experten als das Land mit der revolutionärsten Umsetzung der Grundidee. Gleichzeitig zeigt gerade das estische Beispiel, dass die Vision vom einfachen und billigen System in der wirklich reinen Lehre nicht umsetzbar ist: Auch in Estland gibt es Ausnahmen, Nachbesserungen, Freibeträge. Im Jahr 2000 wurden jene Unternehmen von der Körperschaftssteuer befreit, die ihre Gewinne reinvestieren, und nur Firmen, die Gewinne ausschütten, müssen diese mit 26 Prozent versteuern. Gleichzeitig wurde ein Steuerfreibetrag von 890 Euro pro Jahr für die untersten Einkommensschichten eingeführt.

Beispiel Lettland. Das Flat-Tax-System ist ähnlich ausgestaltet wie in Estland, nur beträgt hier der einheitliche Steuersatz 25 Prozent, der Freibetrag 390 Euro. Und: Die vermeintlich einfache Lösung ist im Detail mitunter ziemlich kompliziert: Von Einkommen durch unselbstständige Tätigkeit muss ein einheitlicher Steuersatz von 33 Prozent abgeführt werden, die Steuer auf Unternehmensgewinnen beträgt dagegen 15 Prozent.

Das Vienna Institute for Comparative Economic Studies (WIIW) hat die Auswirkungen dieser Steuerpolitik auf die baltischen Staaten über Jahre hinweg untersucht und festgestellt, dass die Einführung der Flat Tax nicht automatisch die Schattenwirtschaft beseitigte, wie man sich ursprünglich erhofft hatte. Vor allem in Litauen ist das Steueraufkommen vergleichsweise gering. Etwas höher sind die Einnahmen in Estland. Dort hat man freilich andere Probleme: Die Kluft zwischen Reich und Arm hat sich vertieft, die sozialen Spannungen nahmen in den vergangenen fünf Jahren zu. Im letzten Winter erfroren in Estland etwa fünf Menschen ohne Zuhause. Das oberste Einkommenszehntel verdient laut einer OECD-Studie aus dem Jahr 2001 um das 13,2fache mehr als das unterste Einkommenszehntel.

Zdenek Lukas vom WIIW erklärt anhand des Beispiels der asiatischen Tiger-Staaten, warum das Flat-Tax-System in der Theorie seiner Meinung nach mitunter besser klingt, als es in der Praxis aussieht: «Der Wirtschaftsboom dort hatte nicht direkt etwas mit Einführung der Flat Tax zu tun, sondern damit, dass diese Staaten ihre Ökonomien schützten und ihre Märkte nur langsam und behutsam öffneten.»

Der Ökonom Wassili Astrow meint: «Die Flat Tax macht dann Sinn, wenn man eine völlig korrumpierte, de facto zerstörte Bürokratie vorfindet, der so wenig Vertrauen entgegengebracht wird, dass jeder Staatsbürger vermeidet, auch nur einen Cent für sie zu zahlen.»

Oder einen Rubel, wie eben in Russland. Dort habe die Einführung der 13-prozentigen Flat Tax im Jahr 2001 zumindest dazu geführt, «dass der Mittelstand begann, Steuern zu zahlen». Die Ukraine folgte dem russischen Beispiel. Nach einer Studie des russischen Institute for Transition Economies des Expolitikers Jegor Gajdar stieg das Steueraufkommen in Russland von 2000 auf 2001 um 49 Prozent. Auch Angehörige des Militärs verloren ihre Steuerbefreiungen.

Laut Gajdar hat sich die Einführung der Flat Tax «positiv auf die Legalisierung der Einnahmen ausgewirkt». «Dow Jones» jubelte gar in einer Publikation: «Die Einführung der Flat Tax in Russland ist eine einzige Erfolgsgeschichte!» Und empfahl dem deutschen Kanzler Gerhard Schröder, wenn dieser ernsthaft das Budgetdefizit seines Landes senken wolle, dann solle er seinen Blick von den Neinsagern im Westen abwenden und lieber gegen Osten blicken: «Dort hat man die offensichtliche Lektion gelernt, dass Wirtschaftswachstum und ausgeglichene Budgets besser durch eine einfache Steuerpolitik mit niedrigen Steuersätzen erreicht werden können.»

Der Streit zwischen Befürwortern und Gegnern der Flat Tax im Westen ist durch die Beispiele im Osten erst richtig entfacht. Wie schrieb Ivan Miklos, Finanzminister der Slowakei und Erfinder der dortigen Flat Tax im Mai vorigen Jahres im «Wall Street Journal»? «Wenn Europa seine ambitiösen Ziele selbst ernst nimmt, muss es sich ökonomisch liberalisieren. Dank dem Steuerwettbewerb, den die Slowakei begonnen hat, müssen sich die anderen Länder reformieren. Das wird Europa endlich seinem Ziel näher bringen, das konkurrenzfähigste Wirtschaftssystem der Welt zu sein.»