BILANZ Homes: Herr Busnelli, was ist ein gutes Sofa?
Giorgio Busnelli:
Bis in die achtziger Jahre schauten die Leute auf das Design eines Sofas. Es war ihnen egal, ob es bequem war oder nicht. Ab den Neunzigern und auch heute noch muss ein Sofa vor allem eines: Wohlgefühl wecken – mindestens bei Leuten ab vierzig.

Und bei den jüngeren?
Jungen Leuten sind andere Dinge wichtig. Ihnen ist es überall wohl, wo sie sich mit ihren Freunden niederlassen, auf dem Boden, auf einer Mauer. Ich sehe das bei meinen eigenen Kindern.

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Heisst das, Sie produzieren für Leute ab vierzig?
Nein, gar nicht. Wir haben durchaus auch jüngere Leute im Kopf. Die Designerin Patricia Urquiola zum Beispiel hat für uns das Bend-Sofa entwickelt, junges Design, und es ist rund 30 Prozent günstiger als unser bislang günstigstes und für junge Leute konzipiert.

 

Ehrlich gesagt, sieht Bend nach einem Sofa aus, das Sie Mut gekostet hat.
Oh, was habe ich mir den Kopf zermartert. Ist es genug innovativ, ist es zu innovativ, wird der Handel es akzeptieren? Schliesslich habe ich mir einen Ruck gegeben und bin das Risiko eingegangen.

Risiko?
Ein neues Sofa bedeutet für uns grosse Investitionen: Alle unsere Sitzsysteme bestehen aus einem Stahlgerüst, und das, was darum herum ist, ist in Form gespritzter Polyurethanschaum. Der Knackpunkt sind die Spritzformen. Je nach Sitzmöbel und Anzahl Einzelteilen können diese pro Modell locker 75 000 bis 100 000 Franken kosten. Was mir zusätzlich Bauchweh bereitet hat beim Bend-Sofa-Projekt, war der Zeitpunkt: 2010, der Markt war am Boden.

Sie lächeln.
Ja, denn Bend schlug ein wie eine Bombe. Ich war erst fast ein bisschen schockiert, dann beflügelt.

Was ist das eigentlich für ein Geschäft?
Der Markt ist extrem fragmentiert. Wir sind mit unseren 150 Millionen Euro Umsatz weltweit einer der grössten Hersteller im High-End-Bereich. Das Geschäft an sich ist eine einzige Herausforderung, denn wir müssen immer neue Kunden gewinnen, mit den bestehenden läuft nicht viel: Was wir machen, ist enorm langlebig, und die Leute ersetzen ein Sofa auch nicht alle fünf, sondern nur alle fünfzehn bis zwanzig Jahre. Dank Katzen, Hunden und Kindern brauchen unsere Kunden wenigstens ab und zu einen neuen Bezug. Basta.

Wie gewinnen Sie neue Kunden?
Mit neuen Ideen: neuen Designs, neuen Verfahren, neuen Materialien. Alles dreht sich um Innovation, darauf gründet der Erfolg unseres Unternehmens, daran hat mein Vater immer geglaubt: Das Herz unserer Firma ist nicht die Buchhaltung, nicht das Marketing. Das Herz ist unser Forschungs- und Entwicklungszentrum.

Was haben Sie sonst noch von Ihrem Vater übernommen?
Oh, alles, er war dreissig Jahre lang mein Lehrer. Er hat mich gelehrt, neugierig zu sein, nie zufrieden, der Erste zu sein, der kommt, und der Letzte, der geht. Auch aufrichtig zu arbeiten und nicht zu tricksen. Unsere Buchhaltung ist seit 21 Jahren vollkommen transparent und geprüft.

So können Sie ruhig schlafen.
Schön wärs! Ich schlafe schlecht und ohne Schlaftabletten gar nicht. Ich kann nicht abschalten.

Das Gewicht der Verantwortung?
Dieses Unternehmen ist einfach viel mehr für mich als bloss ein Geschäft. Es ist eher wie ein Sohn, mein Geist kreist die ganze Zeit darum herum. Einzig beim Golfen nicht. Dort kann ich mich voll und ganz aufs Spiel konzentrieren.

Ihr Handicap?
Vor einem Jahr war es 11, jetzt ist es nur noch 14, denn ich musste wegen gesundheitlicher Probleme pausieren. Nun habe ich wieder angefangen und will wieder ein Handicap von mindestens 11.

Themawechsel: 2002 haben Sie 51 Prozent von B&B Italia an einen Private Equity Fund verkauft. Warum?
Weil ich die Firma schützen wollte. Neben mir arbeiteten inzwischen auch meine beiden Brüder, Emanuele und Giancarlo, und mir war klar, dass es schwierig werden könnte, wenn unser Vater eines Tages nicht mehr das letzte Wort hätte. Zwar hatten wir Brüder nie wirklich Streit, aber doch sehr unterschiedliche Ideen. Ich wollte B&B Italia mit Hilfe dieses Funds innerhalb von drei, maximal fünf Jahren an die Börse bringen mit dem Hintergedanken, dass ein Aktionär, der nicht einverstanden ist mit uns, seine Aktien einfach verkaufen kann. Anders ist es bei Problemen in der Familie: Das kann sehr hart sein und lähmen.

Konnten Sie überzeugen?
Mein Vater war dafür. Mein kleiner Bruder, Emanuele, auch, der mittlere Bruder, Giancarlo, war dagegen. Wir haben den Deal besiegelt, ihn ausbezahlt, und er ist aus der Firma ausgestiegen.

Sie sind aber nicht börsenkotiert. Was lief falsch?
Alles kam anders. Als wir bereit waren, einen Börsengang zu wagen, war der Markt am Boden. Als der Markt parat war, waren wir es nicht. Acht Jahre lang waren wir in den Klauen dieses Funds.

Klauen?
Ach, diese Leute hatten keine Ahnung von unserem Geschäft, und sie lernten in der Zeit auch rein nichts dazu. Für sie galt nur: Umsatz rauf, Gewinn rauf, Jahr für Jahr. Aber keine einzige Firma in unserem Geschäft schafft es, jedes Jahr zu wachsen. Diesen Männern war das egal. In den acht Jahren, in denen wir in diesem Vertrag steckten, setzten sie 18 Manager ein und feuerten diese wieder. Glücklicherweise konnte ich von allem unbehelligt die Richtung vorgeben bezüglich Design und Auswahl der Projekte. Deshalb haben wir trotz den Problemen, welche sie anrichteten, überlebt.

Und das Ende der Geschichte?
Als dieser Vertrag mit dem Fund in die Nähe des Verfalldatums kam, wollten wir die Firma unbedingt zurückkaufen und konnten das schliesslich auch machen: Giancarlo hat uns das Geld dafür gegeben. Nun gehört das Unternehmen wieder ganz der Familie.

Sie führen nun die Firma mit Ihrem Bruder. Streiten Sie oft?
Nein. Wir haben uns aufgeteilt. Emanuele verantwortet das Kontraktgeschäft und die IT, von der ich nichts verstehe. Ich bin zuständig für Design, Forschung und Entwicklung sowie für den Verkauf.

Sie arbeiten intensiv mit dem Designer Antonio Citterio zusammen. Er ist Ihr Freund. Kann das gut gehen?
Wir ticken gleich und haben uns schon immer gut verstanden. Wir sind am gleichen Ort aufgewachsen, sind zusammen mit unseren Vespas um die Häuser gekurvt und waren in den gleichen Bars unterwegs. Dann haben wir uns aus den Augen verloren und viele Jahre später über unsere Berufe wieder gefunden. Antonio ist wichtig hier, als mitdenkender Kopf, als Designer. Aber wir arbeiten auch noch mit fünfzehn weiteren international renommierten Designern zusammen, die uns inspirieren und zu immer neuen Ideen antreiben.

Wie wählen Sie die Designer aus?
Ihre Ideen müssen zu B&B Italia passen.

Können Sie das konkretisieren?
Heute machen wir nicht mehr nur einfach ein neues Sofa, sondern ein B&B-Italia-Sofa. Wenn ein Designer uns eine Idee präsentiert, wissen mein Chef der Produktforschungsabteilung und ich sofort, ob sie im Grundsatz zu uns passt oder nicht. Wir haben inzwischen jahrzehntelange Erfahrung und können neue Ideen sehr gut einschätzen. So vermögen wir die kreative Energie der Designer klar in Richtung unserer eigenen Identität zu lenken. Am Ende passt alles zusammen, weil alles B&B ist.

Ein Börsengang ist vom Tisch?
Grundsätzlich könnte ein Börsengang der Firma helfen zu wachsen. Aber die Dynamik, die in Gang kommt, wenn Sie ein Going public machen, ist für das Möbelgeschäft komplett ungeeignet, denn es geht nur um Wachstum. Die Fund-Leute haben acht Jahre lang versucht, unsere 150 Millionen Euro Umsatz auf 180 oder gar 200 Millionen hochzutreiben. Ohne Erfolg.

Gehen Sie doch nach China, dort floriert das Luxusgeschäft.
Aber nicht mit Möbeln! Chinesen stehen derzeit vor allem auf Luxusprodukte, die man ausführen und herumzeigen kann. Bis die Chinesen im Bereich Möbel auf unseren Geschmack kommen, wird noch viel Zeit vergehen. Daher habe ich die Pläne, dort selber eine Distribution aufzubauen, auf Eis gelegt. Wir können nicht jedes Jahr Geld investieren – und verlieren. Aber sobald wir Signale haben, dass B&B Italia es in China zu einer angesehenen Marke geschafft hat, gehen wir hin.

Aber Sie sind in China ja präsent.
Wir haben dort B&B-Italia-Monobrand-Geschäfte zusammen mit Partnern eröffnet – alles mutige Leute, keiner von ihnen aus dem Möbelgeschäft, sondern aus dem Modebusiness, aus dem Gast- und Hotelgewerbe. Wir unterstützen sie nach Kräften, aber sie haben einen schweren Stand, sie leiden. 

B&B Italia
Gegründet wurde die Firma 1966 als C&B (Cassina und Busnelli). Entstanden ist sie aus einem Geistesblitz und nach kühnen Experimenten Piero Ambrogio Busnellis: Inspiriert von der gelben Gummiente, entwickelte er eine Spritzgusstechnik, um Sitzmöbel aus kaltgeschäumtem Polyurethan herzustellen. Designen liess er die Stücke von angesehenen Kreativen. Was dabei entstand, revolutionierte die althergebrachte Sitzkultur und wurde auf Anhieb ein Erfolg. 1973 löste Busnelli die Verbindung zu Cassina und firmierte die Firma um in B&B Italia (Banks & Busnelli). Fortan gab er in der Möbeldesignszene den Takt vor. Mit Entwürfen wie «Charles» von Antonio Citterio (1997), «Grande Papilio» des Japaners Naoto Fukasawa (2009) oder «Hive» des Schweizer Designateliers Oï (2013) sorgte und sorgt B&B für neue Impulse.

Zu B&B Italia gehört auch die Marke Maxalto. Sie entstand 1975 aus der Idee, klassische Formen neu zu beleben. Anders als die Möbel von B&B Italia (modern, gradlinig, funktional und mit Hightech gefertigt) basieren die Maxalto-Kollektionen auf solider Handwerkskunst und der Inspiration eines einzigen Designers: Antonio Citterio. Für B&B zerbrechen sich derweil fast 20 Designer den Kopf. B&B Italia erzielt mit 500 Mitarbeitenden rund 150 Millionen Euro. Produziert wird ausschliesslich in Italien. Seit 2006 besitzen Busnellis zudem 50 Prozent an Moooi, dem Möbel- und Lampenbauer mit dem renommierten Art Director Marcel Wanders. 

Iris Kuhn Spogat
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