MCM, Moderne Creation München – erinnern Sie sich? Die mit den drei Grossbuchstaben und einem Lorbeerzweig bedruckten cognac-farbenen Handtaschen, Akten- und Reisekoffer waren in den achtziger und frühen neunziger Jahren bei Menschen mit viel Geld heiss begehrt und in diesen Kreisen allgegenwärtig. Dann kam der Absturz. Die Kollektion war zu breit – vom Schrankkoffer über Hundejäckchen bis zu Gürteln gab es alles –, Kopien überfluteten den Markt, und der Besitzer, Michael Cromer, stand im Verdacht zu schummeln. Vom Glanz und Glamour, der MCM zur ernsthaften Konkurrenz für Giganten wie Louis Vuitton und Prada gemacht hatte, war bald nichts mehr übrig. Einstige Fans verspotteten MCM als «Muschi Club München», und Markenspezialisten erklärten das Label für tot.

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Sie haben sich getäuscht. MCM ist unter dem Namen Mode Creation Munich zurück. Die Taschen sind ab sofort in Kanariengelb, Granatrot oder Meerblau, mit oder ohne MCM-Logo, edel verarbeitet und stolz im Preis, zu kaufen im schicken Laden an bester Adresse in Zürich. Es ist dies der erste MCM-Shop der Schweiz und einer der ersten in Europa. Treibende Kraft hinter dem Comeback ist Sung-Joo Kim, eine Geschäftsfrau aus Südkorea. Ihr gehört die Marke, und sie scheint fest entschlossen zu sein, es nochmals mit den ganz Grossen der Branche aufzunehmen. «Warum sollte ich das nicht wollen?», fragt sie und lacht. Vielleicht, weil in diesem Markt bereits sehr eng getanzt wird und niemand auf MCM Reloaded gewartet hat? «Wir werden sehen.»

Handtaschen sind ein hochrentables Geschäft. Analysten schätzen, dass die Taschen von Louis Vuitton, einer der Hauptmarken im französischen Luxusgüterkonzern LVMH, 25 Prozent des Konzernumsatzes von rund 25 Milliarden Euro und sagenhafte 60 bis 70 Prozent des Gewinns einspielen. Obendrein sind die Zukunftaussichten für diese Accessoires rosarot: Handtaschen sind innerhalb des Luxusgeschäfts das am schnellsten wachsende Segment – und werden es auf Jahre hinaus bleiben. Markentaschen sind Statussymbole, 95 Prozent der Frauen in entwickelten Ländern besitzen mindestens eine. Kommt eine Frau zu Geld, rangiert eine edle Handtasche in den Top Ten auf ihrer persönlichen Wunschliste. Zu diesen Schlüssen kommt das deutsche Marktforschungsinstitut Colibri Research in einer weltweit angelegten Studie zum Thema «Frau und Handtasche». Vor allem dort, wo der Wohlstand wächst, winkt das grosse Geschäft. Kein europäisches Luxuslabel, das nicht versucht, in Ländern wie Indien, Russland, China und Korea Fuss zu fassen. Sung-Joo Kim aber geht den umgekehrten Weg: Sie drängt mit MCM von Asien nach Europa.

Sie verdankt der Marke viel. Vom Absturz Mitte der neunziger Jahre hat sie nichts mitbekommen. Im Gegenteil: 8556 Kilometer und zehneinhalb Flugstunden östlich von München gab es keine Imagekrise, «die Leute waren nach wie vor verrückt nach MCM», sagt sie. «Mein Geschäft lief sehr gut.» Es bestand von den frühen neunziger Jahren an darin, in Fernost europäische Luxusware zu verbreiten. Neben dem deutschen Taschen- und Reisegepäcklabel besass sie die Exklusivrechte für Gucci, Sonia Rykiel, Yves Saint Laurent und die britische Warenhauskette Marks & Spencer. Ihr Erfolg war berauschend, «jedes Jahr alles mal zwei». 1997 wurde sie für diesen Höhenflug vom World Economic Forum mit dem Titel «Global Leader of Tomorrow» geadelt. Ein Jahr später, 1998, holte sie dann die Asienkrise auf den Boden zurück, «alles krachte zusammen».

Abbau in Europa, Ausbau in Asien

Sung-Joo Kim fing wieder von vorne an, verabschiedete sich von allen ihren europäischen Geschäftspartnern – ausser von Marks & Spencer, für die sie in Südkorea drei Megastores betrieb, und von MCM, deren Taschen sie nicht nur in Korea verkaufte, sondern dort inwischen auch in Lizenz herstellte. «Wir haben uns erholt», sagt sie, «und dann war ich so weit, dass ich meine eigene Marke gründen oder MCM ganz übernehmen wollte.» Der Grund: Sie habe den Eigentümern – inzwischen war das eine Schweizer Investmentgesellschaft – jedes Jahr 10 bis 20 Millionen Dollar Lizenzgebühren abgeliefert – «für nichts als das Recht, den Namen zu benutzen. Dabei lag die ganze Wertschöpfung bei uns.» 2005 konnte sie die Marke kaufen.

Als Erstes restrukturierte sie das Unternehmen, schloss mehr als die Hälfte aller Läden, vor allem in Europa, straffte die Kollektion, verpflichtete den deutschen Designer Michael Michalsky und eröffnete in Fernost Laden um Laden. In Europa übt sie bis heute Zurückhaltung. Mit der Eröffnung ihres ersten Geschäfts in Deutschland – nicht in München, sondern in Berlin am Kurfürstendamm – wartete sie bis 2011.

Gefragte Designer, edle Materialien, grosses Handwerk, hohe Preise, erstklassige Lagen: Die Strategie von Sung-Joo Kim für MCM unterscheidet sich rein äusserlich in nichts von der ihrer Konkurrenten. Und doch steckt in MCM etwas Einzigartiges: Es ist die Geschichte dieser Frau. Sie beginnt so: «Ich komme aus einer sehr grossen, sehr reichen und sehr berühmten Familie aus Korea.» Und endet so: «Ich habe alles von Grund auf lernen müssen, und das war gut für mich.» Das Dazwischen wäre Stoff für Hollywood: Sung-Joo Kim ist das jüngste von sechs Kindern von Kim Soo-Keon, dem Gründer von Daesung Industrial, einem riesigen südkoreanischen Firmenimperium. Hätte sie nach den herrschenden Regeln gespielt, hätte sie den Sohn eines anderen koreanischen Tycoons geheiratet. «Darauf hatte ich keine Lust», sagt sie, «ich wollte mein eigenes Leben.»

Mit Riesenschritten zum Milliardenumsatz

Mit 27 heiratete sie heimlich ihren Geliebten, einen Kanadier, der wie sie an der Harvard University in Boston studierte. «Damit habe ich meine Familie gedemütigt», sagt sie, «wohl wissend, dass das harte Konsequenzen haben würde.» Die Folgen: Der Vater verbannte sie aus der Familie, entfernte sie aus dem Stammbaum, verbot ihr jeden Kontakt und drehte den Geldhahn zu. «Für mich begann ein neues, vollkommen unbekanntes Leben.» Sie musste arbeiten. Ihren ersten Job bekam sie bei Bloomingdale’s in New York, dem damals ersten Warenhaus, das europäische Luxusgüter in die USA einführte. Was sie dabei lernte, sollte für sie zum Sprungbrett werden: Nach den Olympischen Spielen in Seoul 1988 hob die koreanische Regierung die Importrestriktionen für Luxusgüter auf. «Alle, von Armani über Gucci bis zu Louis Vuitton, suchten auf einmal jemanden, der ihnen Zugang zum südkoreanischen Markt verschaffen konnte», sagt sie. «Sie kamen alle auf mich zu.» Sie war Koreanerin, sprach perfekt englisch und kannte das Luxusgütergeschäft. Also kehrte sie nach Südkorea zurück, schwanger, aber ohne ihren Mann. Sie gründete die Sungjoo Group – «ein Pult und ein Telefon» –, gebar eine Tochter und kämpfte sich hoch.

Einfach hatte sie es nicht: «In Südkorea wurden die meisten Deals über Schmiergelder, in Bordellen und bei Trinkgelagen beschlossen», sagt sie, «und meine männlichen Konkurrenten haben alles Mögliche probiert, um mich aus dem Geschäft zu drängen.» Erfolglos. 2012 erzielte sie mit 1100 Mitarbeitern und 130 Läden in 32 Ländern rund 500 Millionen Dollar Umsatz. Dieses Jahr sollen es dank weiteren Shoperöffnungen in China und Europa 650 Millionen werden, bis in drei Jahren eine Milliarde. Sie habe zwar zehnmal härter arbeiten und auch viel smarter sein müssen als jeder Mann, sagt sie, aber sie habe es in Asien geschafft – auf ihre Art. «Warum sollte ich das nicht auch ausserhalb von Asien schaffen?» Diese Frage stellten sich die Juroren von «Forbes» wohl ebenfalls und nahmen Sung-Joo Kim 2012 in die Liste «Asia’s 50 Power Businesswomen» auf.

Kampfansage an die Platzhirsche

Beim Wettlauf, den sie angetreten hat, geht es ihr nicht nur um Geld und Marktanteile. «Ich habe eine Mission», sagt sie. «Erstens möchte ich beweisen, dass ich es kann, und damit zweitens andere Frauen ermutigen, ebenfalls ihren eigenen Weg einzuschlagen.» Für MCM wünscht sie sich vor allem eine andere Kundschaft als diejenige der neunziger Jahre. «Das waren Taschen für Frauen, die sie von ihren reichen Männern geschenkt bekamen.» Die Kundin, die sie vor Augen hat, nennt sie «New School», sie sieht «eine Frau, die ihr eigenes Geld verdient, unabhängig ist und mehr will, als nur einem Mann zu gefallen». Sung-Joo Kim redet nicht nur, sie spendet auch: 10 Prozent des Gewinns und 20 Prozent ihres eigenen Einkommens stellt sie Organisationen vornehmlich in Asien zur Verfügung, die sich für solche Anliegen stark machen. «Succeed to serve» – Erfolg haben, um zu dienen –, kommentiert sie. «Das verstehe ich unter fraulicher Leadership.»

Ihren geschäftlichen Erfolg gründet sie auf Qualität: MCM-Taschen werden in rund 250 Produktionsstätten in Italien, Deutschland und Korea hergestellt. Das Leder stammt vom selben Lieferanten wie für Hermès, genäht werden die Produkte zum Teil in denselben Fabriken, die auch Chanel- und Dior-Täschchen herstellen. Fürs Design hat Sung-Joo Kim neu den Schweizer Designer Adrian Margelist, vormals kreativer Kopf bei Navyboot, verpflichtet – eine Kampfansage: «Diese Ernennung ist ein wichtiger Schritt im Zug der Expansion von MCM.» Die Expansionsziele sind hoch gesteckt. Um in der Topliga der Luxustaschen mitzuspielen, braucht eine Marke 300 Läden weltweit und sichtbare Präsenz in den Modezentren, lautet eine Faustregel. Sung-Joo Kim ist mit ihren 130 Geschäften und 1100 Mitarbeitern mehr Zwerg denn Gigant. Aber es wird ihr mehr zugetraut: Die Harvard Business School jedenfalls hat bei ihr angeklopft für eine Case Study. Wetten, dass sich dabei herauskristallisieren wird, was in fast jedem Satz von Sung-Joo Kim durchschimmert? Die grösste Stärke von MCM sind nicht ihre Taschen und ist auch nicht ihre Strategie – die grösste Stärke von MCM ist Sung-Joo Kim selbst.

Iris Kuhn Spogat
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