Jean-Pierre Roth, Hans Meyer, Bruno Gehrig (von links): Das Direktorium derSchweizerischen Nationalbank

Wo sich der Notgroschen der Schweiz befindet, wissen nicht einmal seine rechtmässigen Besitzer. Ob in geheimen Kavernen unter dem Berner Bundesplatz, in einem Querstollen des Gotthardmassivs, hinter meterdickem Beton in Fort Knox oder dreissig Fuss unter dem Asphalt der Nassau Street in New York City - die genauen Lagerungsstandorte ihrer Goldreserven hüten die Verantwortlichen bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) wie ein Militärgeheimnis. Allein dass der immense Schatz - bestehend aus 2,6 Millionen Kilo-gramm Barrengold - tatsächlich existiert, glauben die meisten Schweizer verlässlich zu wissen. Und neuerdings dämmert es einigen Bürgern sogar, dass dieses Riesenvermögen nicht den allmächtigen Herren im Direktorium der Nationalbank, sondern recht eigentlich ihnen, dem Schweizervolk, gehört.

Um buchhalterisch präzise zu sein, geht es um 2590 Tonnen und 205 Kilogramm Feingold. In der Bilanz der Notenbank ist dieser Schatz mit 4595 Franken und 74 Rappen je Kilogramm bewertet, was einem sehr konservativen Buchwert von 11,9 Milliarden Franken entspricht. Gemessen am aktuellen Goldpreis von etwas über 13 000 Franken pro Kilo, ist das gehortete Edelmetall in Tat und Wahrheit rund dreimal soviel wert. Mit der laufenden Revision des Geld- und Währungsartikels in der Bundesverfassung winkt der Eidgenossenschaft damit ein theoretischer Aufwertungsgewinn von 20 bis 25 Milliarden Franken. Zahlenmässig nur schwer zu fassen ist der Inhalt des Füllhorns allein schon deshalb, weil mit jedem Tag, den die Nationalbank verstreichen lässt, die versteckte Vermögensreserve dramatisch dahinschmilzt. Allein seit der Ankündigung der Stiftung Solidarische Schweiz im Frühjahr 1997 ist ihr Marktwert infolge des anhaltenden Goldpreiszerfalls um ein Fünftel gesunken. Mit anderen Worten, innerhalb von zwei Jahren haben sich Bewertungsreserven von gegen zehn Milliarden Franken in Luft aufgelöst.

Während andere europäische Länder wie Belgien, Holland oder Portugal ihre Verfassungsgrundlagen längst überarbeitet und ihre Goldbestände sukzessive nach unten gefahren haben, sitzen die eidgenössischen Geldwerthüter wie die letzten Mohikaner auf ihrem unproduktiven Kavernengold, Relikt einer vergangenen Weltwährungsepoche, dessen Gewicht im Falle der Schweiz - gemessen am Bruttoinlandprodukt - bedeutend grösser ist als in jedem anderen zivilisierten Land (vergleiche Tabelle). « Es ist eine Absurdität, dass wir kein Gold verkaufen können, weil wir nur mit dem Paritätspreis operieren dürfen», klagt Notenbank-Vize Jean-Pierre Roth. Dass ihm und seinen beiden Direktoriumskollegen die Hände für ein forscheres Handeln gebunden seien, wie sie unter Verweis auf die veraltete Verfassungsgrundlage behaupten, hält nicht nur der Lausanner Notenbank-Experte von Ungern-Sternberg für eine formaljuristische Spitzfindigkeit: «Angesichts der laufend sinkenden Goldpreise ist es sehr bedauerlich, dass die SNB sich mit ihren legalen Möglichkeiten in diesem Bereich nicht genauer auseinandersetzt», rügt Ungern-Sternberg. Die Position der SNB, begründet ihr derzeit wohl prominentester Kritiker, sei um so unverständlicher, als diese ja im Jahr 1976 unter denselben gesetzlichen Rahmenbedingungen, wie sie heute noch gelten, offenbar in der Lage gewesen sei, Gold zu kaufen, und zwar zu einem Kurs, der mehr als doppelt so hoch war wie die offizielle Parität.

Den Makel der Fehlbarkeit, so scheint es leider, werden die «Götter» im Olymp der Schweizerischen Nationalbank nicht mehr los. Das oberste Führungsgremium der Währungsbehörde muss sich seit geraumer Zeit eine Litanei an Vorwürfen anhören, die gewiss nicht alle unbegründet sind. Die Liste der wirtschaftspolitischen Sündenfälle, die den Hütern des monetaristischen Grals an der Schwelle zum dritten Jahrtausend zur Last gelegt werden, reicht von der fahrlässigen Verschleuderung des Volksvermögens über spekulative Devisengeschäfte bis hin zu Knausrigkeit bei der Gewinnausschüttung und legalistischem Krämergehabe. Der Genfer FDP-Nationalrat Peter Tschopp bringt den «Akkumulationsfetischismus» der Nationalbank gar in Zusammenhang mit den wachsenden Schulden des Staatshaushalts: «Man könnte sagen, dass Bund und Kantone einen beachtlichen Teil ihrer finanziellen Glaubwürdigkeit auf Kosten der Nationalbank eingebüsst haben.»

Als sich die SNB aufgrund von Nachforschungen über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg auch noch im Ausland auf die Anklagebank versetzt sah, kam der eigentlich eher introvertierte Hans Meyer, Oberst im Generalstab a.D. und seit 1996 Präsident des Instituts, überraschend aus sich heraus und lancierte die Idee der Solidaritätsstiftung. Als Nationalbank-Veteran mit 34 Dienstjahren war es für Meyer irgendwie selbstverständlich, dass die SNB in der Frage des Goldaufwertungsgewinns die Initiative behalten musste. Zugleich schien der 62jährige Geldtechnokrat die Chance zu wittern, mit einer grosszügigen Geste dem Bild entgegenzuwirken, die Schweiz und ihre Währungshüter hätten sich im Krieg an Raubgoldgeschäften mit den Nazis bereichert. Und so kam es zum politisch unsensiblen Vorstoss, mit dem Hans Meyer zwei Fliegen mit einem Schlag zu erledigen hoffte, der aber statt dessen jede Menge Konfusion und Polemik auslöste.

Zwischen Weihnachten und Neujahr, auf einem Spaziergang mit seinem Hund, fiel bei Meyer der «Zwänzger», wie er sich in einem Gespräch mit der NZZ nachträglich ausdrückte: «Ich habe mir gesagt, man könnte . . . eine Stiftung machen und die Finanzierung mit der Goldproblematik verknüpfen.» Wie schlau. Ohne sich vorgängig mit dem Bankrat abzustimmen, überbrachte Meyer seine Glanzidee der Landesregierung und lieferte Arnold Koller damit gleich den sinnstiftenden Inhalt für dessen Rede vom 5. März 1997 vor dem Parlament (zum Bankrat siehe Kasten «Überbein»). Vergeblich bemüht sich seither der Bundesrat, die beiden Vorhaben - Reform der Währungsverfassung und die Errichtung einer Stiftung für humanitäre Zwecke - gesetzgebungsmässig zu entkoppeln. Selbst wenn sich die zerstrittenen Parlamentarier darauf einigen sollten, dass die Revision der Währungsverfassung die verflixte Solidaritätsstiftung auf keinen Fall präjudizieren darf, in den Köpfen tut sie es allemal. Die Offerte des Notenbankpräsidenten - unterlegt mit symbolträchtigen sieben Milliarden Franken aus den überschüssigen Goldreserven - lässt sich nicht rückgängig machen. Also erschwert Meyers Vorschlag seither die Entscheidungsfindung unter der Bundeshauskuppel. Am meisten muss den autoritätsgläubigen Oberzentralbanker wohl die Kritik seines Vorgängers Fritz Leutwiler geschmerzt haben. In Zusammenhang mit der Stiftungsidee sprach der mittlerweile verstorbene Expräsident von einem «Hüftschuss» Meyers. Das Projekt sei «wenig durchdacht, falsch finanziert und unklar begründet». Kein Wunder, hält sich Meyer seit seinem «Coming-out» als Staatsmann mit Details zur Solidaritätsstiftung vornehm zurück.

Als Ausgleich für die aufzugebende Golddeckungspflicht haben seine Hausjuristen bei Finanzminister Villiger vorsorglich einen Passus eingebracht, mit der die Pflicht der SNB zur Reservebildung in der Bundesverfassung festgeschrieben werden soll. «Die SNB bildet aus ihren Erträgen ausreichende Währungsreserven», heisst es im Entwurf des Bundesrates für den geplanten Geld- und Währungsartikel, obwohl in Fachkreisen jedermann weiss, dass es schlicht an objektiven Kriterien mangelt, um das Schlüsselwort «ausreichend» fassbar zu machen. Stellvertretend glaubt Peter Buomberger, Chefökonom der UBS, dass sich die Währungsreserven der Nationalbank problemlos «um rund die Hälfte» reduzieren liessen, «ohne die Unabhängigkeit oder die Geldpolitik der SNB in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen» (vergleiche Tabelle auf Seite 34). Die neue Gewinnausschüttungsformel, auf die man sich mit dem Finanzdepartement geeinigt hat, hält derweil an der kommoden Faustregel fest, wonach die Rückstellungen der SNB gleich stark wachsen sollen wie das Bruttosozialprodukt.

Mit Blick auf den bevorstehenden Startschuss für die europäische Einheitswährung wurde das Devisenportefeuille im Gesamtwert von nahezu 50 Milliarden Franken schon einmal merklich von der bisherigen Dollarleitwährung weg in Richtung D-Mark umgeschichtet. Daneben sind auf der Aktivseite der SNB-Bilanz neuerdings auch noch andere europäische Valuten wie der holländische Gulden, die Dänenkrone und das britische Pfund aufgetaucht, womit sich die verschiedentlich angeprangerte einseitige Dollarabhängigkeit tendenziell bereits relativiert hat. Unmittelbar vor der zum Jahrhundertprojekt hochstilisierten Euro-Einführung pflegen die heimischen Geldwerthüter im übrigen einen konsequenten «Low profile»-Ansatz. Konsequent verfolgt das Direktorium die Devise, jedwelche Äusserung zu unterlassen, die dem Schweizer Franken Auftrieb verleihen könnte. «Wir stehen der Währungsunion wie ein Zwerg gegenüber», übt sich die Nummer zwei im Spitzentrio, Vizepräsident Jean-Pierre Roth, in der Kunst prononcierter Bescheidenheit. Als Nachfolger von Präsident Meyer, wenn dieser 2001 in Pension geht, scheint der unauffällige Stellvertreter so gut wie gesetzt zu sein. Der 52jährige Romand arbeitet seit 1979 bei der Zentralbank und verfügt über einen untadeligen Leistungsausweis. In den französischsprachigen Landesteilen würde es vermutlich schlecht goutiert, wenn ihr Quotenvertreter vom Bundesrat nicht mit den höchsten Weihen bedacht würde. «Wenn keine Katastrophe eintritt, wird er in fünf Jahren Präsident der Schweizerischen Nationalbank sein, postulierte im Mai 1996 unser Schwesterblatt bilan und kürte den Sohn eines Walliser Postbeamten zu ihrem «Mann des Monats». «Eine Banalisierung des Schweizer Frankens», sagt der Kronprinz heute, «wäre gar keine schlechte Lösung». Schliesslich habe man in der Vergangenheit immer beklagt, dass die harte einheimische Valuta eine internationale Fluchtwährung sei. Im Gespräch mit bilanz gibt Jean-Pierre Roth unumwunden zu erkennen: «Unsere Strategie der letzten Jahre war die, den Franken so weit als möglich ausserhalb des Rampenlichts zu plazieren.»

Wenn Roth dies erklärt, so schwingt in seiner Aussage die uralte Hassliebe zum grossen Bruder, der Bundesbank in Frankfurt, oder neuerdings eben der Europäischen Zentralbank (EZB) mit. Charakterisieren lässt sich dieses skurrile Konkurrenzverhältnis als eine seltsame Art von Nachahmerei bei gleichzeitigem Superioritätsanspruch. Die Herren im Direktorium orientieren sich laufend an den genannten Institutionen und wollen es doch insgeheim besser machen. Dies, indem sie eine autonome Geld- und Währungspolitik verfolgen, die eben immer noch ein Quentchen mehr Stabilität verheisst. Vizepräsident Roth lässt solche Unterstellungen nicht gelten: «Es gibt nichts, wofür wir uns vis-à-vis der Europäischen Zentralbank profilieren sollten», beschwichtigt er. «Wenn die Europäer das Ziel der Preisstabilität erreichen, wäre es absurd, es besser machen zu wollen». Da hat der sympathische Romand wohl recht.

Unbestritten ist, dass die Schweiz mit dem Startschuss zur Währungsunion gegenüber Wechselkursrisiken verwundbarer wird. Als Zielgrösse der Geldpolitik wird der Aussenwert des Frankens in Zukunft eine noch entscheidendere Rolle spielen. In der Botschaft des Bundesrates zum neuen Verfassungsartikel heisst es dazu klipp und klar: Im Fall gravierender Kursverschiebungen «würde die Führung der Geldpolitik im Gesamtinteresse des Landes die Nationalbank dazu verpflichten, der übermässigen Frankenaufwertung nach Möglichkeit entgegenzuwirken. Sie müsste ihre Geldpolitik lockern und bei einem extrem starken Wechselkursausschlag sogar eine vorübergehende Anbindung des Frankens an den Euro in Betracht ziehen.» Den beschriebenen Worst case müsste die SNB allerdings mit dem Verlust ihrer geldpolitischen Autonomie bezahlen. Gleichwohl halten manche Ökonomen ein freiwilliges Andocken an die europäische Leitwährung - auch unter weniger widrigen Bedingungen - nach wie vor für die beste Option. Unter dem Eindruck der bevorstehenden Gewichtsverschiebungen in Europa, warnt etwa Assistenzprofessor Aymo Brunetti vom Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum der Universität Basel, gebe ein währungspolitisches Weiter-wie-bisher für die Schweiz keine sinnvolle Strategie mehr ab.

Zweifellos hat die Ankoppelungsvariante einen gewissen Charme. Allerdings eher langfristig, zumal unmittelbar einleuchtet, dass der Schweizer Franken in Zukunft nur dann eine Existenzberechtigung hat, wenn er nicht an den Euro gebunden ist. Wegen der Erwartungshaltung auf den Märkten, gibt Jean-Pierre Roth zu bedenken, sei die Vorgabe eines festen Paritätskurses vorderhand zu gefährlich: «Die Nationalbank würde spekulativen Attacken ausgesetzt.» In der gegenwärtigen Umbruchphase darf die SNB-Spitze offenbar alles Erdenkliche tun, nur eines nicht: sich bezüglich ihrer künftigen Währungspolitik festlegen. «Wir brauchen eine Nebelzone», gibt der NotenbankVize vielsagend zu verstehen. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Abkehr der SNB von der monetären Orthodoxie der frühen neunziger Jahre besser verstehen. Ihren Kurswechsel hin zu einer expansiveren Politik - vollzogen im Sommer 1996 - rühmt der Nationalbank-Experte René Erbe, emeritierter Professor für Währungsfragen, im Rückblick zwar als «grosse Wende». Zu relativieren ist diese Aussage insofern, als ein erheblicher Teil der seither praktizierten Flexibilität auf latente Aufwertungsängste zurückgeht.

Was passieren kann, wenn geldpolitische Rigidität in Inflationsbesessenheit ausartet, hat die Ära Lusser drastisch vor Augen geführt. Daraus zu schliessen, die Bremswirkung einer allzu restriktiven Geldversorgung sei vorab daran schuld, dass die Schweiz im westeuropäischen Quervergleich in puncto BIP-Wachstum seit Jahren die rote Laterne trägt, erscheint trotzdem zu voreilig. Die in Westeuropa einzigartige Wachstumsschwäche, welche die Schweiz in den neunziger Jahren befallen hat, kann beileibe nicht nur der Geldpolitik der SNB angelastet werden. Soviel scheinen die Modellberechnungen der BAK Konjunkturforschung in Basel einwandfrei zu belegen. In ihrer Auftragsstudie «Die Schweiz in Europa aus volkswirtschaftlicher Sicht» stellen die Basler dem Expräsidenten der SNB, Markus Lusser, postum schier einen Persilschein aus: Nicht dessen harte Hand, sondern die fehlende Strukturbereinigung im helvetischen Binnensektor sei der Hauptgrund für den Wachstumsmalus der Schweiz im Vergleich zu Westeuropa, argumentiert die BAK. Zu ähnlichen Schlüssen gelangt Aymo Brunetti: Für die Forderung nach Gegenmassnahmen zur Frankenaufwertung sei die Nationalbank «die falsche Adresse», glaubt der forsche Ökonom, der als wirtschaftspolitischer Vordenker im neuen Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit (BWA) vorgesehen ist. Ursächlich für die heute nach wie vor stark ausgeprägte Überbewertung des Schweizer Frankens, sagt Brunetti, sei nicht etwa die Geld- und Währungspolitik der SNB, sondern die «ausgeprägten Wettbewerbsbeschränkungen in weiten Teilen der Binnenwirtschaft».

Wenn einer im Triumvirat der SNB für die neue, pragmatische Gangart steht, so ist es der Quereinsteiger Bruno Gehrig, der seit Mai 1996 als Vorsteher des III. Departements den Geschäftsbereich «monetäre Operationen» leitet. «Bei einer starken und penetranten Überbewertung des Frankens», erklärt der Jüngste im Dreierkollegium, «würden wir die traditionellen Mittel einsetzen, auf die wir uns schon in der Vergangenheit verlassen haben: Wir würden die Zinsen reduzieren und damit den Finanzmärkten signalisieren, dass wir nicht mit jedem Frankenkurs leben wollen und leben können.» Gehrigs brillanter Wissenschaftsbackground, seine Führungserfahrung in der Privatwirtschaft (er war unter anderem Börsenchef der Bankgesellschaft) und seine Ader für ein zukunftsweisendes Risk-Management machen den CVP-Mann und Schüler des Topmonetaristen Karl Brunner fachlich zum logischen Anwärter auf das 2001 zu besetzende Präsidentenamt. Zu dumm, nennt sich sein welscher Kollege bereits Vize und ist - zusätzliches Künstlerpech für Gehrig - auch noch ein paar Monate älter als er. Wo doch in der Schweiz jedermann weiss: Bei Wachablösungen gilt in der ehrwürdigen Geldbehörde das Senioritätsprinzip. Dem Bundesrat dürfte wenig daran gelegen sein, die Rage der Romands zu provozieren, indem er von dieser ungeschriebenen Konvention abweicht. Genau dies riskiert die Exekutive aber, wenn sie in zweieinhalb Jahren Qualitätsdenken über verstaubte Beförderungsrituale stellt. In jedem Fall will die Wahl reiflich überlegt sein, zumal die kommende, vermutlich über zehnjährige SNB-Präsidentschaft mit einer für die Schweiz und ihre währungspolitischen Stellung in Europa entscheidenden Phase zusammenfällt. Falls der Euro eine Erfolgsgeschichte schreibt, wird dies mit Sicherheit dazu führen, dass in Europa die langfristigen Zinssätze strukturell eher fallen. Damit wird die Zinsdifferenz zum Franken abnehmen.

Was an Gehrig besticht, ist seine kommunikative Kompetenz. «Er verkauft die Geldpolitik mit Abstand am besten», lobt UBS-Ökonom Peter Buomberger und zeigt sich damit seinem Parteikollegen gegenüber wenig nachtragend, obwohl ihn just dieser im Frühjahr 1996 am Sprung ins SNB-Direktorium gehindert hat. Wenn der Euro stabil bleibe und wenig Inflation generiere, versichert Gehrig, dann sei er überzeugt davon, dass sich der Zinsunterschied zugunsten der Schweiz schrittweise reduzieren wird. Dieser Angleichungsprozess werde allerdings einige Jahre in Anspruch nehmen. «Der Zinsbonus wird sich kontinuierlich abschleifen. Das tut hierzulande niemandem weh», gibt sich auch Buomberger erstaunlich gelassen. Zinsschockszenarien, wie sie bei jeder Gelegenheit von Volkstribun Blocher und seinem professoralen Einflüsterer, Kurt Schiltknecht, herumgeboten werden, bezeichnet Buomberger indes als «Milchbüechlirechnung» und «üble Polemik».

Die Furcht vor dem Untergang der helvetischen Zinsinsel lässt sich insofern relativieren, als ein realer Zinsvorteil bei freiem Kapitalverkehr auf die Dauer nur dann haltbar ist, wenn die Anleger mit einer entsprechenden Aufwertung des Schweizer Frankens rechnen können. Dabei ist die inländische Valuta schon heute massiv überbewertet. Gegenüber der deutschen Mark hat sich der Franken seit Anfang der siebziger Jahre real um satte 35 Prozent aufgewertet, und die hartnäckige Auftriebstendenz scheint ungebrochen (vergleiche Grafik Seite 38). Vor diesem Hintergrund vermag es schon zu beunruhigen, dass gegenwärtig rund um den alpinen Finanzplatz herum ein homogener Währungsblock mit 300 Millionen beteiligten Wirtschaftssubjekten entsteht. Welcher Währungsfachmann kann da noch garantieren, dass die vielzitierte «Mokkatasse» nicht zwangsläufig zum überfluteten Fingerhut schrumpft? Wenn man weiss, dass die Schweizerische Nationalbank trotz rekordhohen Devisenreserven nur sehr beschränkte Möglichkeiten hat, um am Markt gegen einen Aufwertungsschock zu intervenieren, so macht dies die Lage nicht eben gemütlicher. Was in diesem Zusammenhang oft vergessen wird: Zur Bekämpfung einer Frankenhausse sind Dollar- und andere Fremdwährungsreserven per se ungeeignet. Von einem «roten Europa» gehen derweil Bedrohungsszenarien aus, die sehr wohl geeignet sind, einen verstärkten Run in den Franken auszulösen - angefangen vom drohenden Vertrauensverlust in die Unabhängigkeit und das Stabilitätsbewusstsein der Europäischen Zentralbank bis hin zum Bestreben der Sozialdemokratie hinsichtlich einer Vereinheitlichung der europäischen Kapitalsteuersätze.

Das ausladende Filialstellennetz hat die Nationalbank vorsorglich schon einmal um zwei Niederlassungen - Aarau und Neuenburg - redimensioniert. Wegen veränderter Zahlungsgewohnheiten im digitalen Zeitalter werden in Bälde auch die Kassenabteilungen der Filialen in Basel, Lausanne, Luzern und St. Gallen daran glauben müssen. 80 von bisher insgesamt 620 SNB-Stellen, heisst es, sind von der Restrukturierung betroffen. Verglichen mit einer Belegschaft von rund 50 Mitarbeitenden, über welche die inländische Bankenaufsicht verfügt, wirkt der Stellenplan der Nationalbank nach erfolgtem Teilabbau immer noch sehr komfortabel. Peter Buomberger spricht denn auch von einem «krassen Missverhältnis». Im Interesse einer seriösen Überwachung der Geschäftsbanken, verrät der UBS-Mann, wäre es ihm wohler, «wenn 600 Leute für die EBK und nur 50 Personen für die Nationalbank arbeiten würden anstatt umgekehrt».

Nach Auffassung von SP-Nationalrat Rudolf Strahm stellt die Nationalbank hierzulande nach wie vor «den absoluten wirtschaftspolitischen Machtfaktor» dar. Immerhin, verheisst Strahm, gewinne die Politik mit dem neuen Verfassungsartikel an Terrain zurück: «Meyer wird nie mehr auf dem Podest stehen, auf dem er heute steht.» Um der veränderten Machtbalance zu entsprechen, hat der Genannte in Absprache mit seinem Parteifreund Kaspar Villiger reagiert und die als mickrig gescholtenen Gewinnausschüttungen der SNB mit Wirkung ab 1999 deutlich nach oben angepasst. «Aufgrund komplexer Rechnungen haben wir uns verpflichtet, in den nächsten Jahren Gewinne von 1,5 Milliarden Franken abzuliefern», kann sich sein Vize heute von seiner spendablen Seite zeigen. «Das gibt Bund und Kantonen klare Vorstellungen davon, was kommen wird.»

 

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