Hansjörg Wyss (75) ist undurchschaubar. Jahrelang suchte er seinen Nachfolger auf dem Chefsessel. Die Kandidaten kamen – und sie gingen noch schneller. Unmöglich schien es, an Wyss’ Seite zu bestehen. So führte er Synthes immer weiter als CEO und Verwaltungsratspräsident. Als er 2005, im Alter von 70 Jahren, keine Anstalten machte, seinen Posten zu räumen, war in seinem Umfeld der Glaube an ein freiwilliges Abtreten dahin. Zwei Jahre später präsentierte er an der GeneralversammlungMichel Orsinger als Nachfolger.

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Analoges geschah nun wohl bei der 21-Milliarden-Übernahme von Synthes durch Johnson & Johnson (J&J): Schon länger streckte J&J die Fühler in die Medtech-Branche aus. Fragen zu einer Synthes-Übernahme tat Hauptaktionär Wyss jeweils mit einem Lächeln ab. Die Verhandlungen seien kurz gewesen, heisst es. Wahrscheinlicher ist aber, dass die beiden Parteien jahrelang über ein Zusammengehen brüteten. Wyss habe fast 20 Jahre lang den Kontakt zu den Spitzen von J&J gepflegt, berichten Vertraute. Mit CEO und VerwaltungsratspräsidentBill Weldon sitzt bei J&J ein Mann an den Schalthebeln, der Wyss «seit mehr als einer Dekade kennt», wie er sagt. «Je länger ich Wyss kenne, desto mehr bewundere ich ihn und seine Firma.» Wer überrascht ist über den Deal, kennt Wyss nicht.

Die Familie

Seit gut 36 Jahren lebt Wyss in den USA, in seinem Anwesen auf der Insel Marthas Vineyard oder seinem Weingut in Kalifornien. Wegen seiner PartnerinAnne Gloor pendelt er zwischen ihrem Wohnort Prangins bei Genf und den USA. Wyss ist mit seinen zwei jüngeren Geschwistern in einfachen Verhältnissen in Bern aufgewachsen. Seiner SchwesterHedi steht er heute noch nah. Sein Vater war Rechenmaschinenverkäufer, seine Mutter stammt aus einer Literatenfamilie. Wyss ist sportlich, fährt Ski, macht Langlauf und spielt Tennis. Jüngst soll er den 90 Kilometer langen Wasalauf in Schweden absolviert haben. TochterAmy (38) aus geschiedener Ehe sitzt im Synthes-VR und führt einen Spielzeugladen in einer US-Kleinstadt. Sie ist verheiratet und Mutter eines Buben.

Die Karriere

1959 schloss Wyss 24-jährig sein Studium als Bauingenieur ab und heuerte bei Chrysler in Genf an. An der Harvard Business School hängte er 1963 ein MBA-Studium an. Kurz nach seinem Abschluss sanierte er das schwedische Textilunternehmen Lapidus, der damalige Chemiekonzern Monsanto holte ihn darauf in die Generaldirektion Europa nach Brüssel. 1975 lernte er seinen Förderer kennen, den ChirurgenMartin Allgöwer, dem zusammen mit weiteren AO-Ärzten Synthes USA gehörte. Wyss wurde 1977 Direktor, kaufte den Gründern 15 Prozent ab, wandelte die kleine Vertriebsfirma mit einem Umsatz von 3,5 Millionen Dollar in einen Produktionsbetrieb und machte sich von Lieferanten unabhängig.

Zehn Jahre später übernahm er Synthes USA für 54 Millionen Dollar. Er fuhr den Umsatz bis 1999 auf eine halbe Milliarde hoch und übernahm die börsenkotierte Stratec. Auf Anraten vonPeter Matter, ehemaliger Präsident der AO-Stiftung, fusionierte man fünf Jahre später mit Mathys. Aus Synthes-Stratec wurde Synthes. 2007 gab Wyss sein Amt als CEO ab und ist seither nur noch Verwaltungsratspräsident. Vier Jahre später verkaufte er Synthes an J&J.

Die Gegner

Kantig, eigenbrötlerisch, direkt: Wyss schaffte sich durch seine Art Gegner – aber erstaunlich wenige. Zaghaft verlief etwa die Ernennung eines neuen CEO für die Ära nach Wyss.Rudolf Maag war der Erste. Er baute Stratec Medical auf, brachte die Firma an die Börse, fusionierte mit Synthes und wurde CEO des neuen Konzerns. Nicht für lange. Ein Jahr später übernahm erneut Wyss das Zepter. Maag sei zu wenig im Hauptmarkt USA präsent, fokussiere das Kerngeschäft nicht energisch genug und halte Seilschaften aufrecht. Maag verliess das Unternehmen.

Fetzen sollen ab und an auch zwischen Wyss und dem 2009 verstorbenen Starchirurgen Maurice Müller geflogen sein. Der Berner Müller, einer der Gründer der Stiftung AO, kritisierte Firmenentscheide von Wyss als zu gewinnorientiert. Müller trat aus Protest aus der AO aus, in die er Wyss 1983 geholt hatte. Wyss’ Replik in der «Berner Zeitung» im letzten Jahr: «Mit Ausnahme einer kurzen Periode kamen wir hervorragend aus.» Mit den ehemaligen AO-StiftungsratspräsidentenSiegfried Weller undJoseph Schatzker hat Wyss wegen ähnlicher Differenzen nach wie vor ein getrübtes Verhältnis.

Der Stifter

Über seine Wyss Foundation engagiert sich der Synthes-Präsident in den USA im Landschaftsschutz und ist in der Wilderness Society, präsidiert vonWilliam Meadows, tätig. 35 Millionen Dollar steckte Wyss in den Rocky Mountains in den grössten privaten Landkauf der USA überhaupt. Der Universität Harvard um PräsidentinDrew Faust spendete seine Hansjoerg Wyss AO Medical Foundation 125 Millionen Dollar. 2009 gründete Wyss mit seiner Lebenspartnerin Anne Gloor die Stiftung Peace Nexus, die in der Entwicklungs- und Friedensförderung wirkt. In der Schweiz unterstützt er neben der Fondation Beyeler etwa die von PräsidentPeter Riedwyl geleitete Stiftung Furka-Bergstrecke mit 3,7 Millionen Franken.

Die Freunde

Hansjörg Wyss’ Freundeskreis ist übersichtlich. Den erlauchten Zirkeln bleibt er fern. Ein CEO sei im Jahr nicht mehr als 500 000 Dollar wert, sagte er vor einigen Jahren gegenüber BILANZ in einem seiner raren Interviews. Beliebt machte er sich damit nicht. Zum engen Freundeskreis zählte er den vor vier Jahren verstorbenen Martin Allgöwer, Chirurg und Mitgründer der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthese (AO), die in Lizenz die benötigen Implantante und Werkzeuge produzieren liess. Allgöwer holte Wyss zu Synthes USA; er sollte das US-Geschäft der AO aufbauen.

Eine zwanzigjährige Freundschaft verband Wyss mit dem Basler Kunsthändler und -sammler Ernst Beyeler. Seit Beyelers Tod 2010 amtiert Wyss als Präsident des Stiftungsrates der Fondation Beyeler. Dem ehemaligen Synthes-Verwaltungsrat Rolf Soiron verdankt Wyss den aktuellen Synthes-CEOMichel Orsinger. Soiron, ehemaliger Nobel-Biocare- und heute Holcim- und Lonza-Präsident, holte Orsinger in den Nobel-Biocare-VR und portierte ihn als Wyss’ Nachfolger – mit Erfolg. Kurzzeit-CEO und Ex-VRRoland Brönnimann ist ein Freund aus Jugendtagen. Wyss rehabilitierte ihn, nachdem Brönnimann zu jenen gehört hatte, die nach dem Vitaminkartell-Fall bei Roche den Kopf hinhalten mussten. Ein enges Vertrauensverhältnis hat er zu den Synthes-VerwaltungsrätenRobert Bland, Amin Khoury und David Helfet.