Hinter den Klostermauern hört die Welt auf. Strenge Lebensgewohnheiten mit Gebeten, Kontemplation und Stillschweigen sind bis heute die Regel, über Jahrhunderte des Glaubens tradiert – Erinnerung an eine Zeit, als die Kirche eine eigene Macht unabhängig von aller weltlichen Autorität war.
Wem der Sinn nach dem Trubel der Welt steht, ist in diesen «exterritorialen» Festungen fehl am Platz. Und doch fühlen sich immer mehr urbane Trendsetter in Klöstern geborgen und ziehen sich für einige Tage oder Wochen von Leistungsdruck und den Anforderungen der modernen Existenz hinter Klostermauern zurück. Erfolgen hinterherzujagen und materielle Bedürfnisse zu befriedigen – das allein genügt uns nicht. Es muss auch Raum für Reflexion und Meditation bleiben. Wir sehnen uns nach der gelegentlichen Rückkehr zu den elementaren Dingen des Lebens – selbst wenn es nur darum geht, uns wieder daran zu erinnern, was wirklich wesentlich ist.
Es hat lange gedauert, bis wir nach der Euphorie über die fernöstlichen Meditationslehren entdeckten, dass es auch vor unserer Haustür uralte Vorbilder gibt für die Suche nach dem Selbst. Eine bewährte Methode, den eigenen Willen zu entdecken und intensiv zu schulen, wird seit zweitausend Jahren in den Klöstern gelebt und erprobt. Einige Tage des Schweigens und das bescheidene Leben der Klosterleute können bei manchem Gast entscheidende Veränderungen anregen – egal welcher Konfession er oder sie angehört. So begreifen viele Menschen die Klöster wieder als ungewöhnliche Orte der Tiefe, die in den Gedanken Spuren hinterlassen.
Die Mönche und Nonnen nehmen ihrerseits die Herausforderung an, öffnen die einst undurchlässigen Pforten für den Tourismus, organisieren Konzerte und Kurse, bieten Gespräche oder auch die hohe Schule der Exerzitien an. Die marktwirtschaftliche Ausrichtung vieler Orden kommt – zumindest in den deutschsprachigen Ländern – für viele Klostervorsteher allerdings nicht ganz freiwillig: Die meisten Klöster leiden an massivem Mitgliederschwund und akutem Mangel an Nachwuchs. Dadurch reichen die Einnahmen, die in erster Linie durch Eigenleistungen der Mönche und Nonnen erbracht werden (Seelsorge, Pfarr- und Schulämter, soziale Tätigkeiten), nicht mehr. Auch sind die Zeiten endgültig vorbei, als sich die Klöster aus eigener Landwirtschaft autark versorgen konnten.
Selbst im Schweizer Vorzeigebetrieb Kloster Einsiedeln, das einst für 200 Mönche gebaut wurde, leben heute nur noch deren 95. Die Anlage ist laut Insidern unternutzt, aber im Gegensatz zu den meisten anderen Klöstern mit hohen Spendeneinnahmen gesegnet.
Um die weniger bedeutenden und hoffnungslos überalterten Klöster vor der Schliessung zu bewahren (acht von fünfzehn Kapuzinerklöstern in der Schweiz machten in den letzten Jahren dicht), tut Vermarktung Not. Zumal der Abbau von längst überholten Klerikerattitüden durchaus im höheren Sinn liegt: Zeitgemäss denkende Klosterleute sehen in der Begegnung zwischen Mönch und Tourist eine Chance, die Kluft zwischen Religion und säkulärer Weltanschauung zu schliessen.
Wie schon bei den Wellnesshotels in den Neunzigerjahren hat Österreich nun auch im «Zukunftsmarkt Klosterferien» die Pionierrolle übernommen. Vor einem Jahr haben sich 18 österreichische Klöster und Stifte unter der Dachorganisation Klösterreich zusammengeschlossen. Sehr erfolgreich und mit riesigem Medienecho. Geschäftsführer Hermann Paschinger: «Je cooler die Zeiten und je technisierter die Welt, desto grösser die Sehnsucht nach einer Gegenbewegung.» Klösterreich-Besuchern soll nicht nur das kulturelle Erbe vor Augen geführt, sondern auch gezeigt werden, was Gustav Mahler so formulierte: «Tradition ist nicht das Hüten der Asche, sondern das Schüren des Feuers.»
Grundsätzlich wird zwischen zwei total verschiedenen Angeboten für Klosterferien unterschieden: Wer absolute Ruhe sucht und sich am klösterlichen Leben für einige Tage oder Wochen beteiligen will, bucht «Kloster auf Zeit» (in manchen Klöstern auch «Ora-et-Labora-Woche» oder «Mitleben im Kloster» genannt). Dieser geistige Aktivurlaub ermöglicht Interessierten, eine beschränkte Zeit als Mönch oder Nonne zu leben, das heisst im Kloster mitzubeten und mitzuarbeiten. Der Gastpater wird in diesen Tagen seine geistliche Begleitung anbieten. Wichtig ist die Bereitschaft, auch die äussere Lebenspraxis der Gemeinschaft zu akzeptieren, auch wenn etwa frühes Aufstehen oder bescheidene Mahlzeiten zu Beginn schwer fallen können. Praktisch alle Klöster in der Schweiz und in ganz Europa bieten Interessierten diese Kennenlernmöglichkeit auf persönliche Anfrage an.
Wer sich jedoch nicht dem Ordensleben unterordnen, sondern einfach dem Trubel des Alltags entfliehen und hinter dicken Klostermauern zur Ruhe kommen will, quartiert sich besser im separaten Gästehaus auf dem Klostergelände ein, wo man in meist modern ausgestatteten Zimmern wohnt und in manchen Fällen sogar ein breites Aktivitätenprogramm inklusive Hallenbad und Sauna vorfindet. Bedingungen an den Gast werden keine gestellt, jeder kann hier – auch als Paar – privat übernachten und ohne religiöse Verpflichtungen und Rücksichten auf die katholische Moral je nach persönlichem Gemütszustand durchfeiern oder eine Zeit der Stille erleben.
Drahtzieher für einen touristischen Klosterverbund in der Schweiz ist Klaus Korner, Präsident des Verkehrsvereins Einsiedeln. Die Finanzierung ist gesichert, die Hauptstossrichtung sieht der visionäre Marketingmann im Aufbau eines Klosternetzwerks, das touristische Angebote in Klöstern fördert und diese Angebote dann professionell nach aussen bekannt macht. Vorbild ist das erfolgreich gestartete österreichische Klösterreich. Sollte Korner es schaffen, wie unsere östlichen Nachbarn eine neue Art von Hotelkette zu etablieren, hätte diese der weltlichen Konkurrenz einiges voraus: Ruhe, Zeit und Raum – die neuen Luxusgüter, die heutzutage höchst rar und deshalb gesucht sind. Dazu kommen die repräsentativen Gebäude sowie landschaftliche Traumlagen, über welche die meisten unserer 62 Frauen- und 55 Männerklöster verfügen.
Das Echo in der Schweizer Klosterwelt ist jedenfalls enorm. Selbst Georg Holzherr, Abt im Kloster Einsiedeln, zeigt sich «grundsätzlich offen für neue Wege». Auch die Klöster Disentis und Engelberg, die bisher nur Gäste empfangen haben, die einmal Kloster auf Zeit ausprobieren wollten und dabei die Kutte überziehen mussten, werden voraussichtlich dem geplanten Klosterverbund beitreten. Projektinitiant Klaus Korner geht davon aus, dass Anfang nächsten Jahres konkrete Angebote stehen. «Vorher müssen wir die Bedürfnisse unserer Zielgruppen genauer abklären und auch noch etwas Überzeugungsarbeit bei einzelnen Klöstern leisten.»
Unterkunft im Sinne eines Hotels bietet schon lange das Dominikanerinnenkloster Bethanien in Sankt Niklausen am Vierwaldstättersee. Das Anfang der Siebzigerjahre erbaute Haus wurde als offener Ort der Begegnung konzipiert – Klosterflügel und Gästetrakt treffen sich windmühlenförmig in einem Zentrum mit Eingangshalle und Meditationsraum. Das Gästehaus ist die einzige Einnahmequelle der Schwestern, Besucher sind daher gern gesehen und werden rührend umsorgt.
Auch im Benediktinerkloster Beinwil, dem Wahrzeichen am Passwang im solothurnischen Schwarzbubenland, ist eine Teilnahme am klösterlichen Leben keine Voraussetzung. Auf der Grundlage des Evangeliums und der Regel Benedikts werden Menschen aller Konfessionen beherbergt.
Unterkunft für Gäste auf Zeit bieten auf spezielle Anfrage das Benediktinerkloster Mariastein, die Benediktinerabtei Fischingen, die Zisterzienserinnenabtei St.Katharina in Eschenbach, die Abbaye de Hautrive in Posieux im Kanton Freiburg, das Augustiner-Chorherrenkloster Abbaye de Saint-Maurice im Wallis sowie das von der Unesco in die Liste der bedeutendsten Kulturdenkmäler der Menschheit aufgenommene Benediktinerinnenkloster St. Johannes Baptist in Müstair.
Zahlreiche ehemalige Klöster in der Schweiz werden heute als Tagungszentren und kulturelle Begegnungssätten genutzt. Ideal für Manager, die sich mit einigen Arbeitskollegen an einen stillen Ort zurückziehen wollen, sind der Convento Santa Maria in Bigorio bei Lugano (ältestes Kapuzinerkloster der Schweiz) sowie das ehemalige Salesianerkloster in Morges, das heute Centre de Congrès la Langeraie heisst und als Dreisternhotel geführt wird.
Bemerkenswert sorgfältig renoviert wurde das frühere Kapuzinerkloster in Dornach. Als Ort der Stille und Andacht will das Kloster heute in bewusst einfachen Verhältnissen «Raum schaffen zum Aufatmen, um Distanz zu gewinnen, sich von Sorgen und Nöten lösen zu können und um sich selbst zu finden».
Die grösste Dichte an spektakulär schönen Klöstern findet sich in Italien und Frankreich. In beiden Ländern spielt das Gästehaus im Kloster traditionsgemäss oft eine wichtige Rolle, insbesondere für die Benediktiner ist die Gastfreundschaft eine religiöse Pflicht: «Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus; denn er wird sagen: ‹Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen.›»
Stellvertretend für die unzähligen Klöster in Italien und Frankreich seien hier die bekanntesten erwähnt, die alle auch Gäste auf Zeit beherbergen: die kunstgeschichtlich einmalige Zisterzienserkartause von Pavia, die Benediktinerabtei von Praglia (bei Padua), die Olivetanerabtei San Miniato al Monte in Florenz, die auf allen Frankreich-Kalendern abgebildete Zisterzienserabtei Sénanque in Gordes, die romanische Benediktinerabtei Ganagobie (ebenfalls in der Provence), die Abtei Cîteaux bei Dijon (Burgund), die auf der Insel St-Honorat vor Cannes gelegene Abbaye de Saint-Honorat sowie die spektakulär auf dem Mont-Saint-Michel (Bretagne) gelegene Communauté-de-l’Abbaye.
Zwischen Florenz und Beinwil ist den allermeisten Klöstern eines gemeinsam: Sie liegen an den landschaflich feinsten Plätzen ihrer Region. «Gott ist zwar überall», soll der heilige Antonius gesagt haben, «aber es wird auch schon einen Plan geben, weshalb Wunder an dem einen Ort geschehen und an dem anderen nicht.»
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