Die Bergwelt auf 1920 Meter über Meer in Lü im Val Müstair ist rau, ursprünglich, steinig. Passend zu dieser Umgebung steht dort seit 2012 ein Ferienhaus mit 154 Quadratmetern Wohnfläche, einem Bergkristall gleich – nur spiegelt kein Quarz das Licht der Umgebung, sondern thront hier ein dicker Betonbaukörper am sonnigen Steilhang am Rande des Bergdorfs. Das markante Wohngebäude ist das Werk der Zürcher Architektin Carole Iselin, die damit 2015 die Auszeichnung «Best architects 15 winners» in der Kategorie Wohnungsbau/Einfamilienhäuser davontrug. Das Objekt hatte Iselin für den 2021 verstorbenen Fitness-Guru Werner Kieser und dessen Ehefrau Gabriela geschaffen.

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Liegenschaften, die aus der Masse der gleichförmigen Bauten hervorstechen, sorgen durch ihre eigenständige und manchmal auch eigenwillige Architektur weitherum für Aufsehen. Im Gleichschritt mit der Individualisierung der Gesellschaft wächst auch bei Immobilien der Wunsch nach massgeschneiderten Lösungen.

Riehen, vor den Toren von Basel. Wer in die wohlhabende Vorortsgemeinde zieht, will im Grünen wohnen, ohne auf die Vorteile der Stadt zu verzichten. Bekannt ist das Dorf an der Grenze zu Deutschland durch die Fondation Beyeler, wo die Besuchenden moderne, zeitgenössische Kunst und Architektur finden. Ansonsten prägen gleichförmige Reihen- und Einfamilienhäuser das Ortsbild sowie vereinzelt Villen mit Umschwung – alltägliche Bauten, nicht spektakulär, wie man sie in vielen Gemeinden der Schweiz antrifft. Anders das Haus an der Morystrasse 42a. Es steht leicht erhöht an einer natürlichen Geländekante, einsehbar nur von der darunter liegenden Rainallee.

Objekte für Architekturliebhaber sind gesucht

Wie eine Schublade ist ein Teil des Erdgeschosses nach aussen ausgefahren, gibt den Blick frei auf einen mit Holz ausgekleideten, durch das Haus selbst geschützten Sitzplatz. Von dort geniessen die Bewohner eine unverbaubare Aussicht über die Stadt bis in den Jura und die Vogesen sowie den direkten Zugang in den fast 1400 Quadratmeter grossen Garten. Die Fenster des Wohngebäudes stechen wegen ihrer ungewohnten, achteckigen Form ins Auge. Im Innern des 2007 fertiggestellten 6-Zimmer-Hauses dominieren ebenfalls Holzelemente. Das Objekt ist einzigartig und besticht durch eine unverwechselbare Architektur. Der bekannte Name dahinter: Herzog & de Meuron. «Wir haben sehr viele Anfragen zu diesem Objekt erhalten – und dies, ohne dass wir den Namen de Meuron überhaupt publiziert haben», sagt Thomas Schneeberger, Standortleiter Nordwest-Schweiz beim Immobilienberatungsunternehmen Smeyers, das für die Vermarktung der Liegenschaft verantwortlich ist. Als Grund für das hohe Interesse nennt der Immobilienexperte die besondere Lage mit Weitblick, das grosszügige Grundstück – und natürlich die aussergewöhnliche Gestaltung des Hauses. «Für die breite Masse ist diese Liegenschaft wahrscheinlich etwas zu verwinkelt und verspielt», erklärt er. Architekturaffine Menschen aber, die auf der Suche nach einem einzigartigen Domizil sind und ihre Individualität auch öffentlich zeigen möchten, kommen in Riehen voll auf ihre Kosten. «Wir haben festgestellt, dass sich immer mehr Leute mit Ästhetik auseinandersetzen und bewusst solche Häuser suchen», so Schneeberger.

Diesen Eindruck bestätigt auch David Hauptmann, Gründer und Geschäftsführer des Luxusimmobilienmaklers Nobilis Estate. «Das Bewusstsein für das Aussergewöhnliche steigt, sodass ästhetisch anspruchsvolle Bauwerke zunehmend gesucht werden», hat er festgestellt. Diese Entwicklung sei durch die Pandemie nochmals verstärkt worden. «Viele Menschen haben sich auf jene Qualitäten besonnen, die ihr Leben tatsächlich ausmachen und bereichern», begründet Hauptmann.

Moderne Architektur trifft regionalen Stil

Aussergewöhnlich ist auch der «Monolith» in Santa Maria, Val Müstair. Das Objekt vereint zahlreiche Eigenschaften, die ein Architektenhaus per Definition idealerweise ausmachen – sei dies in der anspruchsvollen und kompromisslosen Gestaltung, der bewussten Verwendung von hochwertigen Materialien wie Beton, Holz, Glas oder Stahl oder ganz allgemein in der Verbindung von moderner Architektur mit dem regionalen Stil. «Das Objekt berücksichtigt die modernen Maximen nach Funktionalität und Sachlichkeit und geht gleichzeitig auf die charakteristische Bauweise der Engadinerhäuser ein», erklärt Hauptmann. Als Beispiel nennt er die Fensterflächen, die keine durchgehenden Bänder bilden, sondern einzelne, meist quadratische Öffnungen mit den ortstypisch tiefen, schräg eingeschnittenen Leibungen. Dasselbe gilt für den Baukörper, der nicht streng orthogonal ist, sondern verschiedene Abschrägungen und Winkel aufweist. «Der Monolith nimmt damit Formen der alten Engadinerhäuser auf, die oft pragmatisch auf Grundstücksgrenzen, Nachbarhäuser und die Topografie reagieren», weiss der Immobilienexperte. Und doch, ein solches Wohnobjekt ist nicht jedermanns Sache – sei es als Zweit- oder Erstwohnsitz. Angesprochen sind Personen, die sich durch die Eigenart der modernen Architektur nicht abschrecken lassen. Und davon gibt es gemäss Hauptmann viele: «In Anbetracht der Rahmenbedingungen des Marktes können wir uns über mangelndes Interesse an der Immobilie nicht beklagen.» Neben dem ästhetischen Anspruch und dem individuellen Geschmack der Bauherrschaft sind es zum Teil auch äussere Einflüsse, die dazu führen, dass statt eines Standard- oder Fertighauses ein auffälliges Architektenhaus geplant wird. «Heutige Anforderungen an einen energetisch zeitgemässen Bau animieren Käufer und Architekten durchaus, auch konstruktiv etwas zu schaffen, das sich nachhaltig und prägnant präsentiert», weiss Anja Beck, Managing Partner bei Engel & Völkers Zug.

Massarbeit erhöht die Kosten

Hinzu kommen die besonderen Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner, in der Regel solvente Kunden, die Qualität mit ihrem individuellen Geschmack verbinden möchten: «Zu denken ist an grosse, beheizte und gut belüftete Garagenflächen für die Oldtimer-Sammlung oder einen Wohn-Ess-Bereich mit Gastro-Küchen-Erlebnis», nennt Beck zwei Beispiele. Die Umsetzung solcher Ideen benötigt in der Regel mehr Zeit und Mittel für die entsprechende Planung. «Die Abweichung vom Standard erfordert mehr Planungsaufwand, eine längere Bauphase und führt schlussendlich zu höheren Kosten als bei einem Standard- oder Fertighaus», so Beck.

Tatsächlich schlagen sich die zusätzliche Planungsarbeit – aber auch ausgewählte Materialien und Funktionalitäten – auf das Budget nieder. Gegenüber einem in der Grösse vergleichbaren Objekt spricht man von zusätzlichen Kosten in der Höhe von 20 bis 30 Prozent der Bausumme – je nach Ausführung gegen oben offen. Am Ende berechnet sich der Preis eines Architektenhauses nämlich grösstenteils aus den Wünschen und der Aufgabenstellung der Bauherrschaft. Diese erhält im Gegenzug ein Domizil nach Mass, das nicht nur genau den eigenen Vorstellungen entspricht, sondern häufig auch eine höhere Wertbeständigkeit aufweist.

«Ich bin fest davon überzeugt, dass es sich langfristig rechnet, architektonisch anspruchsvolle Liegenschaften zu erwerben. Einzigartigkeit und hohe Qualität zahlen sich auf lange Sicht aus», ist David Hauptmann von Nobilis Estate überzeugt. Architektenhäuser seien hochwertige Unikate, was sich positiv auf den Werterhalt auswirke. Gemäss Hauptmann lohnt sich ein Architektenhaus auch im Hinblick auf einen Wiederverkauf. «Liegenschaften sind aber nicht nur Renditeobjekte, sondern auch Kulturgut, Lebensmittelpunkt und Sehnsuchtsort.»

Architektinnen

Dass man auch heute noch hauptsächlich von Architektenhäusern spricht und damit die weiblichen Schafferinnen miteinschliesst, hängt unter anderem daran, dass die Branche nach wie vor stark von den Männern geprägt ist. Der Anteil an Frauen, welche die renommierteste, internationale Architekturauszeichnung, den Pritzker-Preis, erhalten haben, liegt bei unter 10 Prozent. Auch in der Schweiz gibt es weniger bekannte Architektinnen als bekannte Architekten. Der praktizierende weibliche Anteil liegt bei rund 25 Prozent, obwohl bei Studierenden und Doktoranden mit rund 45 Prozent noch beinahe ein Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern herrscht. Die Gründe hierfür reichen von der schwierigen Vereinbarkeit mit einer Familie über Vorurteile oder Diskriminierung bis zu männlich dominierten Managements. Zwar beginnt sich die Situation zu verbessern, es gibt allerdings noch viel zu tun.

Immobilien mit Liebhaberwerten

Der Name und das Renommee des Architekten oder der Architektin können dabei einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Wertentwicklung der Immobilie haben. Denn oftmals werden deren Bauten mit Kunst verglichen, wo der Ruhm der Kunstschaffenden einen massgeblichen Einfluss auf den Preis hat. Auf der anderen Seite sollte die Bauherrschaft nicht vergessen, dass der Interessentenkreis dadurch auch stark eingeengt werden kann – besonders wenn ausgefallene Wünsche und Ideen umgesetzt werden. Bei einem allfälligen Weiterverkauf des Objektes dürfte dies die Suche nach einem zahlungswilligen Nachfolger entsprechend verlängern. Noch wichtiger als der Nimbus der Erbauer ist für den Immobilienverkauf allerdings – wie bei anderen Liegenschaften auch – die Lage. «Doch wenn Lage, Grösse, Qualität und Blick einen in der Regel gehobenen Verkaufspreis stützen, ist der bekannte Name des Architekten für lokale Käufer sicher ein Pluspunkt», ist Engel-&-Völkers-Expertin Anja Beck überzeugt.