Für einmal zeigte selbst der Überflieger im Chefsessel von Novartis einen Anflug von menschlicher Unzulänglichkeit: «Ich bin im Moment ein bisschen verwirrt», gab Daniel Vasella dem Wirtschaftsmagazin «Businessworld» bei einer Stippvisite in der indischen Businessmetropole Mumbai (Bombay) zu verstehen. «Ist es für uns vorteilhafter, in Indien oder in China zu investieren? Da blicke ich derzeit noch nicht ganz durch.»

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Der smarte Vordenker des Basler Pharmamultis ist mit seinen Zweifeln nicht allein. Was Chefstratege Vasella bei der Evaluation der asiatischen Zukunftsmärkte umtreibt, beschäftigt rund um den Globus Heerscharen von Makroökonomen, Länderanalysten und Prognosefachleuten. Sie alle versuchen zu ergründen, welcher der asiatischen Bevölkerungsriesen – China oder Indien – im Rahmen der globalen Arbeitsteilung langfristig über die besseren Karten verfügt. Und vor allem: Wo und auf welchen Gebieten sich ein Engagement für ausländische Investoren schon heute aufdrängt.

Was die Infrastruktur oder die Durchdringung mit Technologiegütern angeht, scheint China die Nase klar vorne zu haben. Abzulesen ist dieser Entwicklungsvorsprung etwa an der Höhe der Direktinvestitionen: Pumpten ausländische Firmen 2004 über 70 Milliarden US-Dollar ins Reich der Mitte, floss im gleichen Zeitraum gerade einmal ein Zehntel dieser Summe nach Indien. Aber die Inder holen auf. Seit ein, zwei Jahren häufen sich die Indizien dafür, dass die Wirtschaft auf dem Subkontinent – vor kurzem noch als unreformierbar und lethargisch verschrien – auf die Überholspur gewechselt hat. Aufsehen erregte in diesem Zusammenhang eine vor Jahresfrist veröffentlichte Studie der Investment-Bank Goldman Sachs, die der ehemals britischen Kronkolonie, verglichen mit China, mittel- bis langfristig grössere Wachstumschancen einräumt.

Spätestens ab 2010 dürften sich die Akzente zu Gunsten von Indien verschieben, vorab aus demografischen Gründen: Während China von seiner über Jahrzehnte hinweg propagierten Ein-Kind-Politik gebremst wird und die Bevölkerung im Reich der Mitte deswegen zusehends vergreist, leben auf dem indischen Subkontinent mehr als 500 Millionen Menschen, die unter 25 Jahre alt sind – ein schier unerschöpfliches Reservoir an leistungsfähigen und hoch motivierten Arbeitskräften. Laut den Hochrechnungen von Goldman Sachs wird Indien im Zuge einer stürmischen Aufholjagd traditionsreiche Industrienationen wie Grossbritannien oder Japan überrunden und bis spätestens im Jahr 2040 hinter den USA und China zur weltweit drittgrössten Wirtschaftsmacht aufgestiegen sein. Ins gleiche Horn stossen die Ökonomen der Deutschen Bank, die ebenfalls davon ausgehen, dass die Volksrepublik ihr rasantes Expansionstempo nicht mehr lange wird durchhalten können. Stattdessen werde sich Indien mit einem trendmässigen Wachstum des realen Bruttoinlandprodukts (BIP) von 5,5 Prozent pro Jahr im Zeitraum von 2006 bis 2020 dynamischer entwickeln als jede andere Volkswirtschaft.

In den alten Industrieländern löst der Drive der asiatischen Bevölkerungsgiganten längst nicht mehr nur Bewunderung aus. Wird China von westlichen Kommentatoren als «globale Werkbank» bezeichnet, so hat die Demokratie am Ganges das Potenzial, sich zum führenden Wissensstandort der Welt zu entwickeln. Und was das Beunruhigende daran ist: Zielstrebig bewegen sich indische Dienstleistungsexporteure und Kontrakt-Forschungsunternehmen die Wertschöpfungskette hinauf und bilden so für die etablierten Anbieter im Westen eine immer ernster zu nehmende Konkurrenz.

Business-Process-Outsourcing (kurz: BPO) lautet seit geraumer Zeit das Mantra vieler multinationaler Konzerne – übersetzt: das Verschieben von Geschäftsprozessen, die nicht zur Kernaktivität einer Unternehmung gehören, an kostengünstigere Standorte, zum Beispiel nach Osteuropa oder eben nach Indien. Was mit dem Aufbau so genannter Call-Center und mit dem computergestützten Erfassen von medizinischen Diagnosen und Patientendossiers begann, hat sich längst zu einer hoch kompetitiven Industrie mit zusehends differenzierteren, wertschöpfungsintensiven Angeboten entwickelt.

Während Novartis-Chef Vasella noch darüber rätselt, welcher Standort – Indien oder China – sich für das Kerngeschäft eines global agierenden Pharmakonzerns auf die Dauer als vorteilhafter erweist, hat er sich auf dem Gebiet der Nachahmerprodukte bereits entschieden: In Kalwe, einer Industriezone vor den Toren Mumbais, liess er unlängst für vergleichsweise bescheidene 13 Millionen US-Dollar eine hochmoderne Generikafabrik hochziehen, die selbst die Hygiene- und Sicherheitsstandards der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zu erfüllen vermag.

Mit dem neuen Werk, das über eine Jahreskapazität von einer Milliarde Tabletten und Kapseln verfügt und im Herbst 2005 kommerziell in Betrieb geht, setzt die Novartis-Tochter Sandoz auf Indien als weltweiten Produktionshub. «Der Generikamarkt verändert sich sehr schnell», sagt Werkleiter Ashok Agarwal. Deshalb sei es «gut möglich, dass aus der Zentrale schon bald der Entscheid kommt, die Fabrik zu erweitern». Unter solchen Voraussetzungen ist es beruhigend zu wissen, dass sich der Basler Pillenmulti gleich neben der brandneuen Fabrikationsstätte im Süden Mumbais eine Landreserve von sechseinhalb Hektaren gesichert hat.

Im Geschäft mit pharmazeutischen Wirkstoffkopien zählt jeder Rappen. Für Indien sprechen diesbezüglich nicht nur die tiefen Löhne bei hohem Ausbildungsstand der Chemiker und Chemieingenieure. Von erheblichem Vorteil ist auch, dass sich beinahe das gesamte Equipment einer Fabrik in der benötigten Qualität vor Ort beschaffen lässt. Ein Reaktorkessel zum Beispiel ist in Indien, verglichen mit Europa, für einen Bruchteil der Kosten zu haben (siehe Nebenartikel «Erwin Schillinger: Indische Chemiker kopieren alles»). Kein Wunder, nehmen indische Generikahersteller wie Cipla, Ranbaxy oder Dr. Reddy’s längst die Heimmärkte von Big Pharma ins Visier und machen den etablierten Konzernen das Leben mit perfekt nachgebauten Molekülen zusehends schwer. Glaubt man den Vorhersagen der britischen Consultingfirma Global Insight, dann wird das Label «Made in India» den globalen Markt für Nachahmermedikamente in wenigen Jahren bereits zu einem Drittel dominieren.

Um ihrerseits von den vorteilhaften Standortfaktoren zu profitieren, sourcen immer mehr globale Pharmakonzerne Teile ihrer Produktion nach Indien aus und überlegen sich ernsthaft, ob es sich nicht schon heute rechnet, bestimmte Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten dorthin zu verschieben, wo in Zukunft die Musik spielen wird. Seit Januar 2005 gilt in Indien ein neues Patentrecht, das den Medikamentenmarkt (mit einem aktuellen Volumen von geschätzten neun Milliarden US-Dollar) mit den WTO-Normen in Einklang bringen soll. Vorausgesetzt, die neuen Gesetze beginnen zu greifen, dürfte es in diesem Sektor der indischen Wirtschaft zu einem gewaltigen Entwicklungsschub kommen. Die Voraussetzungen dafür sind gegeben: Mit 74 State-of-the-Art-Fabriken verfügt Indien hinter den Vereinigten Staaten schon heute über die höchste Konzentration an Produktionsstätten, die von der FDA geprüft und anerkannt sind.

Doch nicht nur in Bezug auf die kosteneffiziente Massenproduktion bereits erprobter Wirkstoffe gilt der asiatische Elefant als weltweit führend. Auch in der Königsdisziplin, der Erforschung und Entwicklung neuer Wirksubstanzen, dürfte dem Land im Rahmen der globalen Arbeitsteilung in absehbarer Zeit eine tragende Rolle zukommen. Das Know-how dazu ist in Indien zweifellos vorhanden. Selbst bei der Herstellung komplexer Moleküle, wie man sie in gentechnisch veränderten Organismen findet, wird künftig mit den Indern zu rechnen sein. Waren im Jahr 2000 erst eine Hand voll Labors auf diesem zukunftsträchtigen Feld aktiv, soll es laut einer Untersuchung von Ernst & Young inzwischen bereits 160 indische Biotechfirmen geben. Die grössten und erfolgreichsten unter ihnen – Firmen wie Biocon, Panacea oder Wipro – verbuchen dreistellige Dollarmillionenumsätze und wagen sich selbst an komplexe Aufgaben wie die Entwicklung neuer Impfstoffe oder die in Europa umstrittene Stammzellenforschung heran.

Indische Pharmaunternehmen seien «in Bezug auf die Durchführung klinischer Tests für die Zulassung von Biogenerika gut positioniert», heisst es dazu in einer Länderstudie der UBS. Kurz: Nicht wenige Experten taxieren die Wettbewerbsfähigkeit Indiens auf medizinisch-pharmazeutischem Gebiet als so hoch, dass sie nicht überrascht wären, den Boom in der Software-Industrie schon bald dahinter verblassen zu sehen.

Dass das Milliardenvolk am Ganges, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen, nach wie vor zu den ärmsten Nationen der Erde zählt und das öffentliche Gesundheitswesen in weiten Teilen des Landes im Argen liegt, ist hinlänglich bekannt. Weit weniger in den Köpfen präsent ist die Tatsache, dass sich auf dem Subkontinent in den letzten Jahren ein Netzwerk an medizinischen Einrichtungen ausgebreitet hat, die höchsten Qualitätsansprüchen zu genügen vermögen. «Die Infrastruktur in indischen Privatkliniken ist erstklassig, der Ausbildungsstand der Belegschaft ist hoch, und die leitenden Ärzte verfügen oftmals über mehr Erfahrung als ihre Kollegen in den USA oder in Europa», erklärt Ramakanta Panda, leitender Arzt am Asian Heart Institute in Mumbai. «Das Einzige, an dem es derzeit noch mangelt, ist das Bewusstsein ausländischer Patienten, dass die Qualität hier in Indien ausgesprochen hoch ist.»

Im Nahen Osten und in weiten Teilen Ostafrikas, wo sich die Zahl erstklassiger Spitäler an einer Hand abzählen lässt, haben sich die Vorzüge der indischen Spitzenmedizin längst herumgesprochen. Seit Jahren jetten denn auch Patienten aus diesen Weltgegenden nach Indien, wenn es um ambulante Eingriffe wie Zahnbehandlungen oder Augenoperationen geht. In Metropolen wie Delhi, Bangalore oder Hyderabad sind solche Routineoperationen rund zehnmal billiger zu haben. Daneben kommen in letzter Zeit immer mehr Patienten zum Ersetzen von Gelenken oder für Herzoperationen ins Land – auch vermehrt aus Industrieländern wie Grossbritannien und den USA, wo für bestimmte Operationen lange Wartelisten bestehen und weite Bevölkerungskreise von den Vorzügen einer Krankenversicherung ausgeschlossen sind.

Verglichen mit den Spitaltouristen aus den Golfstaaten und aus Ostafrika, befinden sich die angelsächsischen Patienten derzeit zwar noch in der Minderheit. «Das wird sich ändern», glaubt Ramakanta Panda, der mit einem Kaskadeneffekt rechnet, wenn im Westen erst einmal die Mund-zu-Mund-Propaganda zu spielen beginnt. «Wir erwarten, dass in fünf Jahren bereits ein Drittel unserer Patienten aus dem Ausland stammen wird.»

Auch auf dem Binnenmarkt ortet der indische Herzchirurg, der sein anspruchsvolles Handwerk in den Vereinigten Staaten gelernt hat, noch ein gewaltiges Wachstumspotenzial. Im vergangenen Jahr wurden landesweit bereits mehr als 80 000 Herzoperationen durchgeführt (Bypässe, Herzklappenersatz, Schrittmacher), womit Indien in absoluten Zahlen hinter den USA und Japan den dritten Platz belegt. Im Gegensatz zur verbreiteten Auffassung nehmen die Qualität und mit ihr die Überlebenschancen bei Herzoperationen mit der Anzahl durchgeführter Eingriffe nicht etwa ab, sondern zu: Am Asian Heart Institute in Mumbai, wo Doktor Panda im Schnitt fünf bis sechs Bypass-Operationen pro Tag durchführt, verstarben im vergangenen Jahr sechs Promille der Patienten, während es an amerikanischen Herzkliniken im Schnitt viermal so viele sind.

Stellt sich die ketzerische Frage: Sind indische Ärzte ihren Kollegen im Westen gar überlegen? «Das hohe Qualitätsniveau hat mit der grossen Konkurrenz an unseren Hochschulen zu tun», sagt Chefchirurg Panda. «Um Medizin studieren zu können, muss einer besser sein als 98 Prozent seiner Studienkollegen.»

Auch bei der postoperativen Nachbetreuung müssen sich die Privatspitäler auf dem Subkontinent nicht vor ihren westlichen Vorbildern verstecken. Einfühlsamer Service und menschliche Wärme sind im Kulturkreis Mahatma Gandhis noch fester Bestandteil des Pflegeprogramms. Auf eine rasche Genesung der Patienten wirkt sich solch personalintensive Betreuung zweifellos positiv aus. Vom Preisgefälle ganz zu schweigen: Kommt eine Bypass-Operation mit zehntätigem Klinikaufenthalt am Asian Heart Institute auf 7000 US-Dollar zu stehen, kostet die vergleichbare Dienstleistung an einer westlichen Herzklinik das Vier- bis Fünffache. Und indische High-End-Spitäler gehen bereits dazu über, ihr Angebot noch attraktiver zu gestalten, etwa durch Kombination mit einer postoperativen Erholungswoche in Goa oder Südindien. Sämtliche Flug- und Hotelspesen eingeschlossen, liegt ein solches Package, verglichen mit den Tarifen hiesiger Krankenhäuser, noch allemal im Discountbereich.

Welch gewaltiges Entwicklungspotenzial im Gesundheitstourismus nach Indien steckt, ist auch dem Reisekonzern Kuoni nicht verborgen geblieben. Konkrete Angebote befinden sich gegenwärtig in der Abklärungsphase und dürften, wenn nicht alles täuscht, demnächst auf den Markt kommen. Neben chirurgischen Eingriffen, die vorderhand hauptsächlich für bestimmte Bevölkerungsgruppen aus dem angelsächsischen Raum attraktiv erscheinen, stehen dabei auch «weichere» Spielarten wie Schönheitsoperationen und spezielle Wellnessangebote – Stichworte: Yoga und Ayurveda – im Vordergrund. Laut inoffiziellen Schätzungen begaben sich letztes Jahr knapp 200 000 Ausländer zur Behandlung auf den Subkontinent, eine Zahl, die sich bei jährlichen Wachstumsraten zwischen 20 und 30 Prozent innert Kürze multiplizieren könnte. Laut der Unternehmensberatungsfirma McKinsey lässt sich das Potenzial für den Medizintourismus nach Indien auf zwei bis drei Milliarden US-Dollar beziffern.

Im Geschäft mit medizinischen Dienstleistungen wie Labortests und Ferndiagnosen, die keine physische Präsenz der Patienten erfordern, zählt die aufstrebende Wirtschaftsnation Indien schon heute zur Weltspitze. So hat sich etwa die Firma Quintiles, die zum gleichnamigen Kontrakt-Forschungskonzern mit Sitz in North Carolina gehört, vor zweieinhalb Jahren auf die Online-Analyse von Elektrokardiogrammen verlegt. Mit durchschlagendem Erfolg: Im sechsten Stock eines Bürogebäudes in Mumbai arbeiten heute rund 100 Quintiles-Mitarbeiter – davon 45 Ärzte – in drei Schichten rund um die Uhr. Am Computerbildschirm analysieren sie die Kardiogramme amerikanischer Herzpatienten, die via Telefonleitung auf dem Quintiles-Server eintreffen. Gegenwärtig werden 16 000 EKG pro Monat anhand von Parametern wie Intervalllänge und Amplitudenabstand von indischen Kardiologen analysiert, was gegenüber 2004 einer Verdoppelung des Arbeitsvolumens entspricht.

«Vermutlich werden wir unsere Kapazität in diesem Jahr erneut verdoppeln können», freut sich Dhiraj Narula, medizinischer Direktor des Offshore-Betriebs. «Wir sind weltweit das einzige Labor, das rund um die Uhr von Herzspezialisten besetzt ist. Unser Wettbewerbsvorteil ist die hohe Zuverlässigkeit. Ausserdem arbeiten wir wesentlich günstiger.» Gegenwärtig verdient ein Kardiologe bei Quintiles umgerechnet 1000 US-Dollar im Monat, mehr als in jedem staatlichen Krankenhaus oder wenn er frei praktizieren würde.

Auf dem indischen Subkontinent gibt es über 200 «medical schools», die pro Jahr 25 000 erstklassig ausgebildete Ärzte entlassen (zum Vergleich: In den USA kommen jährlich 11 000 frisch diplomierte Mediziner auf den Markt). Über den Nachschub an geeignetem Fachpersonal braucht sich Dhiraj Narula somit keine Sorgen zu machen: «Wir haben Zugang zu mehr menschlichem Talent zu geringeren Kosten als jede andere Nation», postuliert er selbstbewusst. «Wir sind viermal zahlreicher als die Amerikaner. Also gibt es auch viermal mehr intelligente Inder.»

Früher hätten indische Hochschulabgänger alles darangesetzt, über Beziehungen einen Job bei einer staatlichen Bank zu ergattern, wo sie dann oftmals ein Leben lang hängen geblieben seien, erklärt der Direktor von Quintiles. Heute eröffneten sich für Hochschulabsolventen zahlreiche andere Möglichkeiten. Über das hohe Qualitätsniveau indischer Privatkliniken lässt auch er keine Zweifel aufkommen: «Mindestens 50 Spitäler verfügen über den nötigen Standard, um an internationalen Patientenstudien teilzunehmen», versichert Dhiraj Narula. Deshalb zögen auch auf diesem Gebiet immer mehr Global Players eine Verlagerung in Erwägung: «In Zukunft werden die Pharmakonzerne einen Grossteil ihrer klinischen Studien der Phasen II und III in Indien durchführen lassen», prophezeit er.

Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will sich in Bezug auf diesen sensiblen Entscheid zwar noch etwas Bedenkzeit gönnen. Die statistische Auswertung seiner klinischen Tests hat der Multi – neben Basel und zwei weiteren Konzernstandorten – derweil schon heute in einem Bürogebäude im Zentrum von Mumbai konzentriert. 50 diplomierte Statistiker sind hier mit der Aufbereitung und Präsentation der entsprechenden Patientendaten beschäftigt. Des Weiteren arbeiten rund 60 Konzerninformatiker in der indischen Businessmetropole. «Indien soll zum Software-Entwicklungszentrum ausgebaut werden», verrät der IT-Verantwortliche des Konzerns, Peter Borowski. «Die Leute hier sind sehr kommunikativ, sehr gut ausgebildet und in beliebiger Zahl verfügbar.»

Als Novartis vor einigen Monaten in verschiedenen indischen Städten eine Stellenanzeige geschaltet habe, seien landesweit 13 000 Bewerbungen eingegangen, berichtet er fasziniert und macht damit die Dimensionen des südasiatischen Talentpools fassbar. Schliesslich sei es ein indischer Mathematiker gewesen, der als erster die Null verwendet habe, erklärt der Informatikchef von Novartis. «Ohne diese Entdeckung wäre die Digitalisierung nicht möglich geworden.»