BILANZ: Mr. Davis, in den Veröffentlichungen Ihrer Firma weisen Sie stets darauf hin, dass über zwei Milliarden Dollar Vermögen der eigenen Familie in den Davis-Fonds stecken. Ein Marketing-Gag?

Christopher C. Davis: Keineswegs. Wir fordern ja seit langem, dass Manager zumindest mit einem Teil ihres Kapitals in ihren eigenen Fonds investiert sein sollten.

Weil der Koch die Suppe auslöffeln muss, die er selber angerichtet hat?

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Richtig, und genau das ist selbst in den Vereinigten Staaten eher unüblich – leider! Fondsmanager und Anleger sollten aber ein identisches Interesse haben: dauerhaft eine überdurchschnittliche Rendite einzufahren.

Wieso sollte die zusätzliche Sorge um das eigene Geld der Leistung bei der Geldverwaltung, die ja auch immer intellektuelle Übung in Stoizismus ist, förderlich sein?

Weil man sich besonders anstrengt, wenn nicht nur die eigene Reputation auf dem Spiel steht, sondern auch das eigene Vermögen. Es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass Fonds, bei denen grössere Anteile von den Managern selbst gehalten werden, weniger Fluktuation, geringere Risiken und gute langfristige Gewinne aufweisen.

Warren Buffett denkt ähnlich. Ob es sein könne, fragte er neulich, dass die Manager, deren Fonds ihren Namen tragen, härter daran arbeiteten, aus ihnen Gewinner zu machen? «Wenn ihre Namen an der Tür stehen, haben sie ein persönliches Interesse daran, besonders vorsichtig mit dem anvertrauten Kapital umzugehen.»

(Lacht.) Dem habe ich nichts hinzuzufügen! Aber im Ernst: Vielleicht recherchiert man noch etwas genauer, noch ein bisschen tiefer als ohnehin schon. Man hat eben nicht die Möglichkeit, darauf zu setzen, dass man bei ausbleibendem Erfolg mit einer schönen Abfindung vor die Tür gesetzt wird und anschliessend irgendwo anders wieder anheuern kann. Die Botschaft an die Kunden ist klar: Wir sitzen im selben Boot.

War das bei Davis Advisors immer so?

Ja. Wobei wir bei aller fiskalischen Disziplin und bei allem persönlichen Engagement einige Male auch ein gewisses Quäntchen Glück gehabt haben. Mein Grossvater Shelby Cullom Davis, der Ende der vierziger Jahre mit einem Investment von 100 000 Dollar angefangen und dem wunderbaren Effekt kumulierter Rendite vertraut hatte, wurde 1969 von der Nixon-Regierung zum Botschafter in der Schweiz ernannt. Da er sich angesichts des Amtes nicht mehr in der Lage sah, sein Vermögen aktiv zu verwalten, liquidierte er einen grossen Teil des Familienportefeuilles.

Ein günstiger Zeitpunkt.

(Lacht.) Ja, in der Tat. 1972 bis 1974 waren schreckliche Jahre für Anleger. Es war eine grauenhafte Zeit: Die Aktienkurse fielen Tag für Tag. Als mein Grossvater 1974 wieder in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, konnte er zu absoluten Niedrigkursen wieder einsteigen. In den folgenden Jahren verdienten er, mein Vater und die Kunden der inzwischen gegründeten Davis Advisors ausserordentlich viel Geld.

Wann sind Sie in das Fondsgeschäft eingestiegen?

Nach meinem Philosophiestudium in Schottland arbeitete ich zunächst als Wertpapieranalyst, 1989 begann ich bei Davis Advisors. Davis war damals noch eine sehr kleine Firma, die nicht einmal eine Milliarde Dollar managte. Es war gar nicht so selbstverständlich, dass zunächst ich und dann später auch mein Bruder Andrew in die Firma eingestiegen sind.

Was unterscheidet Davis von anderen Fondsgesellschaften?

Nun, Fidelity und Templeton beispielsweise bieten ungeheuer viele Fonds an. Wir wollten immer nur eine kleine Zahl von Fonds verantworten, die wir aber mit grösster Sorgfalt pflegen.

Will heissen?

Wir suchen gute Aktien. Das ist nicht so einfach, wie viele Menschen glauben. Es gibt viele grossartige Unternehmen, aber nicht alle sind eine grossartige Geldanlage. Denken Sie an Wal-Mart. Das ist ein fantastisches Unternehmen, aber nur ein bescheidenes Investment. Deshalb verwenden wir die meiste Zeit darauf herauszufinden, wie viel wir für ein Unternehmen zahlen wollen, wie viel es wert ist.

Haben Sie eine Faustregel?

Wir schätzen Firmen, die um zehn bis zwanzig Prozent im Jahr wachsen. Dafür zahlen wir das Zehn- bis Fünfzehnfache des Gewinns.

Auf welche Kriterien achten Sie besonders?

Sie wissen vielleicht, dass wir nicht allzu häufig umschichten. Bevor wir investieren, führen wir im Vorfeld eine genaue Recherche über ein Unternehmen durch, das wir dann durchschnittlich fünf Jahre lang halten. Unternehmen, die solide und langfristig aussichtsreich sind, vielleicht aus der Sicht der Medien etwas langweilig, aber das ist uns egal.

Wie unterscheiden Sie zwischen Themen, die Investment-Chancen bergen, und solchen, die uninteressant sind?

Wir konzentrieren uns auf die Fundamente des Geschäfts und lassen uns nicht von dem Hype beeindrucken, der in irgendeiner Branche gerade entsteht. Wussten Sie, dass die von den Unternehmen der Luftfahrtbranche erzielten Gewinne seit Kitty Hawk alles in allem bei null
liegen?

Das hätten sich die Gebrüder Wright sicher nicht träumen lassen!

Und erst recht nicht die Börsianer! Merke: Das direkte Investment muss nicht immer der profitabelste Weg sein. Hin und wieder ist es besser, ein Unternehmen aus einer anderen Branche herauszufischen, das massgeblich von der Entwicklung profitiert.

Hat Sie diese Philosophie vor fünf Jahren auch davor bewahrt, in Internetaktien zu investieren?

Ja, obwohl wir damals gerade von Seiten der Kunden enorm unter Druck gesetzt wurden. Eine für uns durchaus schwierige Zeit, wie Sie sich vorstellen können. Unsere Überlegung war aber folgende: Natürlich war uns allen bewusst, dass das Internet einen enormen Trend darstellt. Direkte Investitionen sind aber häufig spekulativer Natur und risikoreich. Für uns stand im Mittelpunkt, indirekt in diesen Trend zu investieren, in eine Firma wie American Express. Da man im Internet nicht bar bezahlen kann, gibt es eine riesige Anzahl von Transaktionen, die über die Kreditkarte abgewickelt werden müssen.

Heutzutage spricht fast jeder vom Wachstumsmarkt China. Scheuen Sie auch hier vor direkten Investitionen zurück?

Ja, weil sie uns ebenfalls sehr gefährlich erscheinen. Wir investieren lieber in Unternehmen wie die American International Group (AIG), die 1919 in Shanghai gegründet wurde und mit mittlerweile über 30 000 Fachleuten in China Versicherungen vertreibt.

Auch trotz den jüngsten Skandalen um den inzwischen entlassenen Chief Executive Hank Greenberg?

Ja, die Geschichten um angebliche Manipulation von Geschäftsabschlüssen bei AIG waren zwar sehr schlagzeilenträchtig und haben sich kurzfristig auch negativ auf den Kurs ausgewirkt. Aber sie waren keineswegs mit Dingen wie bei WorldCom oder Enron zu vergleichen. Das Unternehmen ist unserer Ansicht nach wirklich aussergewöhnlich gut aufgestellt, und der Kurs hat sich inzwischen ja auch schon wieder erholt.

Mit anderen Worten: Wetterfest sollten Ihre Favoriten sein.

Ganz sicher, wir analysieren insbesondere auch die Widerstandskraft, die ein Unternehmen während konjunkturschwacher Zyklen aufweisen kann. Wir haben eine besondere Vorliebe für Finanzdienstleistungs- und Versicherungsunternehmen wie etwa AIG oder auch Berkshire Hathaway sowie für globale Unternehmen wie Heineken oder Julius Bär, die wir zu günstigen Preisen erwerben können und die sowohl während konjunkturstarker als auch der unumgänglichen konjunkturschwachen Wirtschaftszyklen Beständigkeit beweisen können.

Apropos konjunkturschwache Wirtschaftszyklen: Geraucht wird immer, auch in der Krise …

(Lacht.) Sie spielen auf unsere Investition in Altria an. Wissen Sie, das vergangene Jahr hat wieder einmal gezeigt, dass Kontroversen oft gute Kaufgelegenheiten schaffen. Das haben wir bei Unternehmen wie Tyco sowie natürlich bei Altria und Philip Morris festgestellt.

Wie lange verwenden Sie auf die Recherche, ehe Sie zuschlagen?

Das lässt sich pauschal natürlich nicht beantworten, vermutlich aber länger als andere. Nehmen Sie etwa Costco: Wir sind stolz darauf, der grösste Aktionär dieser wirklich erstklassigen Einzelhandelskette zu sein. Aber um den geeigneten Zeitpunkt zum Investieren herauszufinden, mussten wir die Ereignisse und Kurse des Unternehmens fast fünf Jahre lang beobachten, bevor Costco ein enttäuschendes Quartal verzeichnete, in dem die Aktie um zehn bis zwölf Punkte fiel und wir am selben Tag die Mittel bereit hatten, um einsteigen zu können.

Die Hälfte Ihrer Anlagegelder ist in Finanzwerte wie American Express, HSBC, JP Morgan Chase und Citigroup investiert.

Ja, weil diese über das beste Produkt der Welt verfügen: Geld. Geld wird nie überflüssig, jeder will es haben, es überschreitet jede Grenze. Die Leute eröffnen Bankkonten, ein Depot, kaufen Versicherungen. Ständig und überall.

Die Vorliebe für Finanzaktien teilen Sie ja mit Ihrem Grossvater Shelby Cullom Davis.

Das ist richtig. Finanzaktien werden von den Börsianern oft als Papiere einer homogenen Branche wahrgenommen. Tatsächlich aber gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Titeln. Diese Branche wird nicht gerade als glamourös empfunden, aber jeder von uns ist dort Kunde. Und in der Regel sind die Aktien der betreffenden Unternehmen relativ günstig zu haben.

Fürchten Sie nicht, dass die starke Gewichtung von Finanzwerten Ihre Fonds anfällig macht für Änderungen beim Zinsniveau?

Nein, kurzfristig betrachtet tendieren Finanzaktien natürlich dazu, auf Zinsänderungen zu reagieren.

Was manche davon abhält, in diese Papiere zu investieren.

In Wahrheit aber stellen sich die wirtschaftlichen Auswirkungen der Zinsen auf Finanzaktien von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich dar. Der Sachversicherer Progressive etwa verdient bei höheren Zinsen mehr Geld, sofern die anderen Rahmenbedingungen gleich bleiben. Warum? Weil das Unternehmen die Versicherungsbeiträge seiner Kunden besser verzinst anlegen kann. Auch einige US-Regionalbanken würden bei einem höheren Zinsniveau heute mehr verdienen, denn sie verfügen über hohe Einlagenvolumina mit sehr geringen Kosten. Für uns war nach dem letzten Zinsschock im Jahr 1998 interessant, dass sowohl die Aktien mit der besten als auch jene mit der schlechtesten Performance in unserem Portfolio Werte aus der Finanzbranche waren.

Als grösster Einzelaktionär bei der Schweizer Privatbank Julius Bär muss Ihnen die jüngste Neuordnung der Stimmrechtsanteile einigen Stoff zum Nachdenken gegeben haben. Ihre Einschätzung?

Wir haben die Reform von Anfang an begrüsst. Für uns ist das Investment eine passive Beteiligung, an der sich in absehbarer Zeit nichts ändern soll. Die Anteile liegen in den diversen Fonds, insgesamt gesehen ist unser Engagement bei Bär aber relativ klein.

Was ist sonst für Sie in Europa momentan interessant?

Irgendwie scheinen wir immer wieder auf niederländische und schweizerische Unternehmen zurückzukommen. Sie liegen uns von der Mentalität her wohl nahe.

Warum das?

(Lacht.) Nun, ich kann mich erinnern, wie ich schon als Kind mit meiner Familie oft in der Schweiz zu Besuch war. Ich habe mich dort immer ausgesprochen wohl gefühlt. Aber im Ernst: Als Investoren haben wir das Gefühl, dass beide Staaten traditionell über eine starke unternehmerisch geprägte Kultur verfügen bei gleichzeitiger internationaler Ausrichtung – und sich daraus hervorragende Investitionsmöglichkeiten ergeben.

Sie haben einmal gesagt, dass ein guter Investor in sechs von zehn Fällen richtig liegen muss. Wie gehen Sie mit Fehlern um?

Wir haben da eine schöne Tradition: Wenn wir einen Missgriff getan haben, kaufen wir eine physische Aktie und hängen sie hübsch eingerahmt an die Wand. Darunter steht, eingraviert auf einer kleinen Tafel, was wir aus dem Fehler gelernt haben. Wir nennen dies unsere persönliche «Art-Collection».

Haben Sie ein Beispiel für Ihre «Kunst»?

Die Papiere von Waste Management mussten wir sogar zweimal aufhängen. Wir fanden das Müllgeschäft des Unternehmens fantastisch. Müll gibt es immer, egal, was die Konjunktur macht. Wir haben die Aktie zu einem guten Preis gekauft, und sie stieg – bis aufflog, dass das Management betrogen hatte. Das hätten wir erkennen müssen: Lektion Nummer eins.

Und Nummer zwei?

Die Aktie fiel, und wir hielten an ihr fest. Doch unsere Kunden drängten uns, und wir verkauften auf dem Tiefpunkt. Die Lehre daraus: Auch wenn es unsere Kunden schmerzt, müssen wir an Aktien festhalten, von denen wir überzeugt sind. Dieser Fehler soll nie wieder passieren. Aber wir werden neue machen.

Eine Frage zum Schluss: Ist es für Sie als Fondsmanager nicht ausgesprochen schwierig, sich nicht nur mit Index und Konkurrenz messen zu müssen, sondern auch mit den langen Schatten Ihres Vaters und Ihres Grossvaters, die als geniale Geldvermehrer eingeschätzt werden?

Sehen Sie, ich habe den beiden schon als Kind über die Schulter schauen können, wenn sie über ihrer Anlagestrategie gebrütet haben. Diese Erfahrung – und natürlich ihr Rat – wiegt jeden zusätzlichen Druck auf, den ich am Anfang vielleicht verspürt haben mag. Nach so vielen Jahren in der Verantwortung aber habe ich mich, so viel darf ich wohl behaupten, längst freigeschwommen.