In der Schwüle des senegalesischen Novembers kreist das Flugzeug über den Zuckerrohrfeldern, 8200 Hektaren von mit Lehm zusammengeklebten grünen Quadraten. Jean-Claude Mimran – der Wert der gleichnamigen Unternehmensgruppe wird in der BILANZ-Liste der 300 Reichsten auf gegen zwei Milliarden Franken geschätzt – lehnt sich gegen das Fenster und blickt auf seine Ländereien: «Sehen Sie dieses Band, das den Lac de Guiers mit Senegal verbindet? Diesen Kanal habe ich bauen lassen. Da unten habe ich gegen 800 Millionen Franken investiert.»

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Ist es die Magie des Schwarzen Kontinents, die den Milliardär zugänglich macht? Jedenfalls liess der seit 18 Jahren in Gstaad wohnhafte französische Industrielle seine legendäre Zurückhaltung in den Schweizer Bergen zurück, um uns vom afrikanischen Zucker naschen zu lassen. Sein Vater, Jacques Mimran, baute in Senegal Anfang der 1970er Jahre die Zuckerfabrik Compagnie Sucrière Sénégalaise (CSS) auf. Manch ein Beobachter schüttelte den Kopf und sah das Vermögen, das Mimran in die salzigen Böden an der mauretanischen Grenze investierte, als verloren an. Andere höhnten, Mimran werde nichts als «Salzrohr» ernten. «Mein Vater war ein Abenteurer», sagt Sohn Jean-Claude. Doch kaum war die Fabrik 1975 fertig gestellt, starb er. «Unser gesamtes Geld steckte damals im Zuckerrohr. Wenn wir nicht weitergemacht hätten, wären wir in Unterhosen dagestanden.»

Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Als sephardischer Jude, der in ärmlichen Verhältnissen in Algerien geboren wurde und eine Korsin heiratete, arbeitete sich Jacques Mimran aus dem Nichts zum Zuckerfabrikanten und später zum Reeder hoch. Im Krieg wurde sein frisch erarbeitetes Vermögen konfisziert, und er wurde gefangen genommen. Nach seiner Rückkehr stand er mit leeren Händen da. Es blieb ihm sein Beziehungsnetz, das er auf den Schlachtfeldern, in Afrika und in den Ministerien geknüpft hatte. Jacques war zwar Algerienfranzose, entschied sich jedoch für die Schweiz als seine neue Wahlheimat.

Tausend Meter unter uns tauchen am Rande der Plantage die staubigen Hütten von Richard-Toll auf. Seit sich die Familie Mimran dort niederliess, hat sich das ehemalige 2000-Seelen-Dorf zu einer Stadt mit 60 000 Einwohnern entwickelt. «Richard-Toll konnte ich nur dank meinem Vater zu dieser Grösse aufbauen», sagt Jean-Claude Mimran. Der 1945 geborene Mimran, Vater von fünf Kindern aus zwei Ehen, hat nach der Matura nicht studiert, sondern arbeitete lieber im Familienimperium. Mit 18 Jahren trat er in die der Mimran-Gruppe gehörende Compagnie havraise des magasins publics et généraux ein. Danach baute er für den Vater eine Sägerei auf und arbeitete in einer dem Patriarchen gehörenden Schreinerei. Nach dem Militärdienst in Frankreich brach er nach Afrika auf. Vom 22. Altersjahr an arbeitete an der Seite seines Vaters. Heute führt er mit seinen Brüdern die Geschäfte.

«Mein Erfolg bestand darin, nicht das gesamte Kapital verbraten zu haben.» Seine Devise: den Schwarzen Kontinent begrünen, das verwünschte Afrika lieben, dort arbeiten und investieren, ein bisschen zocken und sehr fest an den Erfolg glauben.

Unser Flugzeug landet. Willkommen beim Zuckerkönig von Gstaad, der zehn Prozent des Volumens der senegalesischen Wirtschaft bestreitet!

Riesige Flammen verschlingen die Zuckerrohrblüten mit lautem Knistern. Am nächsten Morgen werden nur noch die mit Zuckerwasser getränkten Stiele übrig sein, um von den Buschmessern der Arbeiter geschnitten zu werden. Mit einem hinter der kubanischen Zigarre versteckten Lächeln betrachtet der in eine Leinenhose gekleidete Patron das Feuer, das den Horizont rot erleuchten lässt. «Das Land gehört dem, der es bearbeitet», sagt er und bückt sich nach einer Erdscholle, die so kompakt ist, dass man sich fragt, wie es den Pflanzen überhaupt gelingt, sich einen Weg durch die Erde zu bahnen. «Hier haben wir bis 1987 Geld verloren. Danach erzielten wir jährlich bis zu 50 Millionen Franken Gewinn. Die Abwertung des CFA-Franc haben wir jedoch zu spüren bekommen, zumal ich den Zuckerpreis nicht angehoben habe.» Dennoch werden ihm dieses Jahr ungefähr 15 Millionen Franken verbleiben, und dies bei einem Umsatz von 104 Millionen.

Ein Erfolg für eine Industrie, die nur für den senegalesischen Binnenmarkt produziert. Die Zuckermühle und die Raffinerie erzeugen 90 000 Tonnen Zucker pro Jahr, was zwei Drittel des Inlandverbrauchs deckt. Als die CSS 1987 auf Druck eines ehemaligen senegalesischen Finanzministers und späteren Währungsfonds-Direktors ihre Monopolstellung verliert, öffnet sich der Markt. Doch das Unternehmen wahrt seinen Vorsprung auf die Konkurrenz: Diese wird nämlich mit einem zusätzlich zur Mehrwertsteuer erhobenen Einfuhrzoll von 20 Prozent belastet. «Na und?», fragt Jean-Claude Mimran. «Ich verkaufe meinen Zucker um die Hälfte billiger als die europäischen Zuckerlieferanten in ihrem Land. Und dann beklagen diese sich, dass sie nicht nach Senegal exportieren können. Sie führen den Schutz des senegalesischen Konsumenten ins Feld, möchten aber mein Unternehmen bekämpfen. Und an den europäischen Verbraucher, denken sie an den auch?»

Der Zucker, Waffe im Nord-Süd-Konflikt, der zahlreiche Produzenten aus Drittweltländern im Sperrfeuer wettbewerbsfeindlicher Praktiken zu Grunde gerichtet hat. Ein europäischer Hersteller erhält einen garantierten Preis ab Werk, einen Tarifschutz, der die Preise auf gegen das Dreifache des Weltmarktpreises steigen lässt, und zudem eine Exportprämie in Höhe von 80 Prozent des Preises, zu dem der Zucker von einem Unternehmen wie der CSS verkauft wird. So werden die von Europa produzierten Überschüsse in der restlichen Welt verschleudert – trotz den dort errichteten Zollschutzmassnahmen.

Für die armen Länder, die vom bitteren Zucker des Westens überschwemmt werden, ist keine Rettung in Sicht. Der Milliardär aus Gstaad – wie paradox – ist einer jener Drittweltproduzenten. «Was die Schweiz betrifft, bin ich für Landwirtschaftssubventionen. Dieser Schutz sollte jedoch nicht dazu missbraucht werden, Überschüsse zu Schleuderpreisen zu exportieren. Herrschte Wettbewerb auf dem Zuckermarkt, würde der Weltmarktpreis die Kosten spiegeln. Aber davon sind wir weit entfernt. Ich fordere gerechte Spielregeln für alle. Hier spricht der Mensch in mir.»

Der Mensch und Kämpfer, der weiss, dass er zwar vom Glück begünstigt wurde, dieses aber auch seinem Kampfgeist zu verdanken hat. Mimran streicht über seine Havanna und zählt weitere Ungerechtigkeiten des Handels auf, so wie andere einen guten Witz erzählen. «Kaufen Sie in der Schweiz Rohrohrzucker? Das ist unsinnig! Die Europäer importieren ihn im Rahmen von Abkommen zu Vorzugspreisen. Ein kleiner Teil dieses Zuckers wird zum doppelten Preis an Konsumenten verkauft, denen man weismacht, dass er gesünder sei. Der Rest wird von Herstellern, die dafür eine Prämie kassieren, raffiniert und schliesslich zu Tiefstpreisen wieder an die Dritte Welt verkauft.»

Der Glut in den Zuckerrohrfeldern entsteigt der Duft von Kandiszucker. Schweissperlen glänzen auf den Gesichtern der Arbeiter. Mimran ist Ikonoklast und verhöhnt alles politisch Korrekte, Klischees sind ihm ein Graus. Aber er liebt auch schöne Autos; er besitzt deren 15 und hat 1981 das Lamborghini-Werk übernommen, um es sechs Jahre später an Chrysler zu verkaufen. Oder Segeln; Mimran verbringt jedes Jahr zwei Monate auf seiner «unanständig teuren» Yacht auf dem Mittelmeer. Eine seiner Passionen ist auch das Sammeln von Bildern. Soeben hat er eine Kollektion von Impressionisten und Postimpressionisten verkauft, um sich «etwas Moderneres» zu kaufen. Er redet nicht gerne über Geld, pflegt aber einen lockeren Umgang damit: «Geld ist zum Ausgeben da, ich leiste mir damit meine Spielsachen. Doch es sollte höchstens fünf Prozent des Glücks ausmachen. Aus meinem Mund hört sich das vielleicht überheblich an, aber das denke ich wirklich.»

Frühmorgens erwacht die Plantage, der Patron schläft noch. Mit umgehängtem Buschmesser und Feldflasche strömen die Arbeiter auf die am Vorabend abgebrannten Felder, um die vom Russ geschwärzten Zuckerrohrhalme zu schneiden. CSS beschäftigt zur Erntezeit 5200 Personen, davon 2400 ständige Mitarbeiter. Dies in einem Land, das zwar zehn Millionen Einwohner zählt, in dem jedoch gerade mal 130 000 Personen in den Bereichen Industrie, Dienstleistungen und Verwaltung beschäftigt sind. Die Genugtuung des Patrons ist verständlich. «Natürlich sind in unserer Unternehmensgruppe Dienstleistungen wie im Bankgeschäft viel lukrativer als die Industrieaktivitäten. Aber es ist so viel dankbarer, hier zu sein. Selbst wenn man mir das Fünfzehnfache des Konzerngewinns anböte, würde ich mein Unternehmen nie verkaufen.»

Zwischen Sonnenaufgang und Mittag schneidet ein Mann etwa drei Tonnen Zuckerrohr – sechs Tage die Woche, während einer Erntezeit von sieben Monaten. Der vom senegalesischen Staat festgelegte Lohn beträgt 300 Franken im Monat. In der Mehrheit Analphabeten, versuchen diese Männer, im Zuckerrohr ein Auskommen für ihre zahlreichen Ehefrauen und Scharen von Kindern zu finden, die ihrerseits eines Tages als Zuckerrohrschneider für «Mimeran», wie sie ihn nennen, arbeiten werden. Mit dem Kauf von zehn Schneidmaschinen könnte dieser 1800 Arbeiter einsparen. Doch Jean-Claude Mimran gesteht, dass ihn nicht nur die soziale Rolle von CSS von der Automatisierung abhält. Im Augenblick sei die Einsparung zu gering. «Ohne paternalistisch zu sein, versuche ich das Schicksal der Menschen zu verbessern. Wir haben ein Ambulatorium, eine Schule und eine Fussballmannschaft geschaffen, wir helfen den Rentnern beim Reisanbau und vergeben Mikrokredite an das Personal.» Mimran hat auch den See gezähmt und den Einwohnern von Richard-Toll auf diese Weise 3000 Hektaren bewässertes Land und Trinkwasser geschenkt.

Schlag 21.30 Uhr sagt Gérard Dabilly, Generaldirektor von CSS: «Ich schaue mich in der Fabrik um. Um die Arbeit zu überwachen und damit mich die Jungs sehen. Und weil die Nacht etwas Poetisches hat.» In brütender Hitze spuckt, stottert, vibriert und quietscht die Anlage der Zuckerfabrik in einem Gewirr von rostigen Leitungen und launischen Maschinen. Gérard Dabilly fühlt sich in dieser russigen Welt in seinem Element – hier ein Händedruck, da eine Umarmung. Er sagt: «Zunächst habe ich die sozialen Bedingungen der Arbeiter verbessert, mit den Spitälern Preisermässigungen ausgehandelt, die Schulden der Kranken getilgt. Kurz, ich habe mich in ihre Lage versetzt.» Seit seiner Rückkehr aus Vietnam, wo er eine Fabrik leitete, gehört Dabilly zu jenen Ernüchterten, denen das Nomadentum jegliche Angst und Hoffnung geraubt hat, nicht aber das Mitgefühl. «Was Mimran über meine Arbeit denkt? Ich habe nicht die geringste Ahnung. Was ihn interessiert, sind Zahlen. Die Nullen. Und was den Rest betrifft, so vertraut er mir.»

Ein Hausangestellter kündigt das Mittagessen an, zubereitet von einem Schweizer Koch, der Mimran auf allen seinen Reisen begleitet und immer einen Tag früher anreist. Mimran nimmt die Enttäuschten und die Nostalgiker des kolonialen Frankreich, Haudegen, dichtende Techniker und die Anhänger des Schwarzen Kontinents auf; doch der Mann aus Gstaad weiss genau, welche seiner zahlreichen Identitäten ihm am besten steht. «Eigentlich bin ich ein korsischer Jude. Nett zu den Netten. Böse zu den Bösen. Aber im Innersten bin ich ein freier Mann. Das gibt mir den Mut, keine Eingeständnisse zu machen.»

Jean-Claude Mimran unterhält eine enge Beziehung zum senegalesischen Staatspräsidenten Abdoulaye Wade: «Der Präsident spricht mit mir oft über die Wirtschaft. Er unterstützt mich auch im Kampf gegen den Zuckerschmuggel.» Ganz in der Nähe der Zuckerrohrplantage bieten Frauen am Strassenrand Säcke voll mauretanischen Zuckers zu Schleuderpreisen feil. Die Zollbehörden sehen das nicht so eng; die durch den Fluss gebildete Grenze ist fliessend. Widersprüchliches Afrika: Die Einwohner der Stadt Richard-Toll leben von der Compagnie Sucrière und kaufen geschmuggelten Zucker. «Dem Elend ist nur durch die Schaffung von Arbeitsplätzen beizukommen», fährt Mimran fort. «Aus diesem Grund setze ich mich hier ein. 800 Millionen Menschen leben mit weniger als einem Dollar pro Tag, doch jede europäische Kuh kostet tagtäglich zwei Dollar an Subventionen.»

Der Patron steht auf und lädt zum Bade im mit blauen Mosaiksteinen ausgekleideten Pool. In Kürze wird der Tag von den Nachtschatten abgelöst. «Ich werde nie müde, die afrikanische Nacht zu betrachten. Haben Sie die Sterne gesehen?»