Nach fast zwei Jahren Grounding findet die Art Basel erstmals wieder physisch statt. Wie fühlt sich das an?

Marc Spiegler: Es ist ein äusserst emotionaler Moment. Ich freue mich sehr darüber, dass die Kunstwelt endlich wieder in physischer Form zusammenkommt und man so viele Galeristen, Sammlerinnen und Kuratoren wieder persönlich treffen kann. Natürlich freue ich mich auch, all die grossartigen Werke auf der Messe zu sehen.

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Marc Spiegler ist seit 2012 Direktor der Art Basel. Nach seinem Politologie- und Journalismusstudium in den USA arbeitete er als Kunstjournalist für Publikationen wie «The Art Newspaper» und «Art & Auction». 

Die Unsicherheit in Bezug auf Reisen ist gross. Wie hat dies diese Messe tangiert?

Wegen des dichten Messekalenders im Herbst, aber auch wegen Reiserestriktionen kommen weniger Galeristinnen und Sammler aus den USA, Lateinamerika und Asien. Aber die Messe bleibt ein globaler Umschlagplatz für erstklassige Kunst mit Galerien aus 33 Ländern. Es nehmen 272 Galerien aus aller Welt teil.

Was wird anders sein?

Das Messelayout ist entsprechend den Covid-19-Regulationen leicht angepasst, mit viel breiteren Gängen, und es werden 20 Prozent weniger Besucherinnen und Besucher eingelassen. Das gibt Gelegenheit, sehr fokussiert auf die Kunst zuzugehen. Vielleicht wird diese Messe weniger ein sozialer Event sein als in früheren Jahren, aber die Sicherheit unserer Gäste, Aussteller und Mitarbeitenden ist unsere höchste Priorität.

Genau diese soziale Komponente hat den Kunsthandel verwundbarer gemacht als andere Wirtschaftszweige.

Der Kunstmarkt hat sich als überraschend resilient erwiesen. Die Galeristen stellten sich, genau wie wir, sehr rasch um, nutzten digitale Kanäle, engagierten sich vermehrt lokal. Wir organisierten Online-Viewing-Rooms. Natürlich gab es letztes Jahr finanzielle Einbussen, aber gleichzeitig konnten Kosten reduziert werden. Jetzt gibt es wieder viel Grund für Optimismus: Der «Art Basel and UBS Global Market Report» besagt, dass 91 Prozent der Galerien mit einer Umsatzsteigerung rechnen und dass bis jetzt 10 Prozent mehr verkauft wurde als im Vorjahr. Die Galerien schafften es, Kunst unter erschwerten Bedingungen weiterzuverkaufen, trotz der Abwesenheit grosser Messen.

Das müsste Ihnen als Direktor der grössten Messe zu denken geben.

Das Gros der Galeristen und Galeristinnen freut sich wieder auf die Messen, denn sie wollen, dass das Publikum ihre Kunst wieder physisch zu Gesicht bekommt.

Trotzdem besagt der Report auch, dass 50 Prozent aller Händler und Händlerinnen ohne Messen gleich profitabel oder sogar etwas profitabler waren als vor der Pandemie. Die Kosten für Standmiete, Versicherung, Reisen und Gästebewirtung sind massiv. Für viele wird der Online-Auftritt künftig wichtiger als Messen.

Profitabilität ist nicht der einzige Massstab, an dem Galerien ihren Erfolg messen. Wenn mit dem Umsatzrückgang gleichzeitig die Kosten reduziert werden, bedeutet das zwar, dass es keine finanziellen Verluste gibt, aber auch, dass man die Künstler und Künstlerinnen nicht im selben Mass unterstützt, wie man es eigentlich wollte. Eine Galerie ist nicht einfach ein Business. Es ist auch ein kulturelles Unternehmen.

«Digitale Tools sind kein Ersatz, sondern ein Zusatzangebot. Letztlich wird man Kunst immer physisch sehen wollen.»

Selbst wenn die Absage der Kunstmessen der Profitabilität der Galerien nicht in dem Masse geschadet hat wie anfänglich befürchtet, so verringert die Abwesenheit von Messen den internationalen Aktivitätsradius von Galerien und den Künstlern und Künstlerinnen massiv. Die meisten Galeristen sagten, ihre Arbeit sei weniger erfreulich und viel härter gewesen ohne die Messen, weil sie «remote», nur noch am Bildschirm gearbeitet haben. Das alles spricht für die Messen.

Wie erfolgreich waren denn die Online-Viewing-Rooms?

Das kann ich im Einzelnen nicht sagen. Sicher aber ist, dass die digitalen Kanäle die Galerien für die Zukunft stärker machen. In der unglaublich schwierigen Zeit haben wir alle wertvolle Fähigkeiten gewonnen, wie man mit Sammlerinnen und Sammlern arbeitet, die physisch nicht anwesend sind. Nun haben wir die digitalen Tools in der Hand. Neben den Online-Viewing-Rooms haben wir bereits für die Art Basel Hongkong die Idee des Show Experience Assistants entwickelt: Assistenten und Assistentinnen können in der Messehalle Sammlerinnen und Sammlern, die nicht angereist sind, beim Entdecken von Kunst helfen.

Wird die Zukunft des Kunstmarkts noch digitaler?

Digitale Tools sind kein Ersatz, sondern ein Zusatzangebot. Letztlich wird man Kunst immer physisch sehen wollen.

Ein ehemaliges Mitglied des Art Basel Executive Committee sagt, der einzige Weg, sich nach der Pandemie wieder aufzubauen, gehe über Innovationen. Wie soll die Art Basel erneuert werden?

Die Art Basel hat mit der Entwicklung neuer Sektoren und Initiativen immer schon Innovationen vorangetrieben. Wie die Galerien auch müssen wir uns ständig fragen, wie wir uns der sich verändernden Umgebung anpassen. In gewisser Weise ist die Kunstmesse bereits mit der Erfindung des Smartphones ein hybrides Modell geworden. Die Galerien verkaufen ja nicht mehr nur während der Messewoche, sondern auch davor und danach. Die Online-Viewing-Rooms haben das jetzt einfach vereinfacht und formalisiert.

«Der Sinn der Kunstmesse liegt darin, ein Gefühl dafür zu bekommen, was in der ganzen Welt passiert.»

Letztes Jahr hat sich James Murdoch substanziell an der MCH Group beteiligt. Wie beeinflusst dies die Art Basel?

Ich sehe es als eine grosse Chance für die Art Basel, so den Zugang zum Netzwerk und Wissen von James Murdoch und Lupa Systems zu haben. Lupa betätigt sich ja international in den Bereichen Kulturarbeit, Technologie, Unterhaltung, Nachhaltigkeit und Online-Medien. Das sind alles Bereiche, die für unser internationales Wachstum wichtig sind.

Wie trägt die Art Basel zur Reduzierung der CO2-Emissionen bei?

Für uns als Unternehmen, das sich auf temporäre Veranstaltungen spezialisiert hat, zu denen Menschen aus der ganzen Welt anreisen, ist das natürlich eine knifflige Frage. Die Art Basel hat eine interne Arbeitsgruppe eingerichtet, die zusammen mit externen Expertinnen und Experten proaktiv nach Strategien zur Verringerung unserer Umweltauswirkungen sucht. Dieses Jahr ist die Art Basel der Gallery Climate Coalition beigetreten, einem Verbund aus Vertretern des kommerziellen Kunstsektors, der zum Ziel hat, branchenspezifische Antworten auf die wachsende Klimakrise zu entwickeln.

Wie sieht Ihre ideale Kunstmesse im Jahr 2030 aus?

Es ist immer noch eine, auf der Galerien und Sammlerinnen und Sammler aus aller Welt zusammenkommen.

Wie bitte? Genau so wie 2015?

Genau so, aber gleichzeitig mit einer starken digitalen Komponente, sodass die Sammlerinnen und Sammler, die nicht auf der Messe sind, sich auch engagieren können. Ich glaube nicht, dass das Rezept in Zukunft darin liegt, die Kunstmesse lokaler zu machen. Nachhaltigkeit ist wichtig. Aber ebenso zentral für die Gesellschaft ist der interkulturelle Austausch. Der Sinn der Kunstmesse liegt darin, ein Gefühl dafür zu bekommen, was in der ganzen Welt passiert.

«Die meisten Galeristen sagten, ihre Arbeit sei weniger erfreulich und viel härter gewesen ohne die Messen.»

Ich finde es zum Beispiel bemerkenswert, dass die Beiruter Galerie Marfa, die direkt in der Zone der grossen Explosion vom vergangenen Jahr liegt, an die Art Basel kommt. Es ist wichtig, Kultur zu verbreiten und dafür Mäzeninnen und Mäzene zu finden. Dazu trägt die Art Basel bei. Wenn Galerien aus dem arabischen Raum ihre Künstler und Künstlerinnen nach Basel bringen, wenn Galeristinnen aus Indien und Japan und westliche Sammler nach Hongkong kommen, hilft das der Verständigung zwischen Ost und West. Das ist heute wichtiger denn je.