Was macht eigentlich ein Kunstwerk, damit man es wieder und wieder betrachtet? Es zielt – im Gegensatz zu Werbung und Journalismus – nicht auf eindeutige Messages ab. Und so gönnt uns denn auch Andro Wekua, ein 29-jähriger, in Zürich lebender Künstler, mit seinen beunruhigenden Szenerien auf Papier und Leinwand oder mit rätselhaften Skulpturen keine klaren Botschaften.

Auch dem Kunstbetrieb lässt er keine Ruhe. Vor wenigen Jahren waren Wekuas improvisiert wirkende Blätter in Gruppenausstellungen in Zürich und Basel mit regionaler Ausstrahlung an die Wände gepinnt. Heute besitzen Sammler wie der Werbemogul Charles Saatchi in London und das Sammlerpaar Don und Mera Rubell in Miami Beach grossteilige Konvolute von Collagen und Malerei des jungen Georgiers. Im Frühjahr hatte er seine erste Soloshow in New York, und zwar in der renommierten Barbara Gladstone Gallery im Meatpacking District. Vor der Tür stehen seine ersten zwei Museumsausstellungen – in Winterthur, anlässlich der Verleihung des Manor-Preises, und in Rotterdam.

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Immer wieder beschwört Wekua in seinen Collagen mit Landschaften, Einfamilienhäusern, hübsch eingerichteten Schlafzimmern und jungen Frauen einen Zipfel heile Welt. Doch diese wirkt, in ortlose Räume gesetzt, meist für immer verloren. Die Gesichter, mit Farbstift ausgelöscht, dann wieder mit Papier collagenartig überklebt, entziehen sich dem Betrachter. Die Farben sind gedeckt und dumpf. Hier führt die Melancholie Regie. Förmlich an die Nieren geht die Figur eines Buben mit verschmiertem Gesicht und Händen. «Wie heisst du mein Kind?» (2004) ist die in Wachs gegossene Verlorenheit. Auf einem grossen schwarzen Kubus stehend, spielt die Skulptur auch mit der Ikonografie von Malewitschs berühmtem schwarzem Quadrat.

Schweizer Kuratoren erkannten rasch die emotionale Kraft – ein rarer Wert in der heutigen Kunst. Schnell kam Wekua ins dicht gewobene Netz schweizerischer Kunstförderung, gewann Preise und Stipendien. Gianni Jetzer, Leiter der Kunsthalle St. Gallen und ab Herbst Direktor des Swiss Institute in New York, publizierte Arbeiten von Wekua in seinem Kunstheft «Miuze» und richtete ihm 2004 eine Soloshow ein. Er stellte ihn – für den Tritt aufs Sprungbrett für eine internationale Karriere unerlässlich – im Kunstmagazin «Flash Art» vor. Seither kann Wekuas Galerist Peter Kilchmann die Entwicklung als «erfreulich» bezeichnen. Die Teilnahme an der letztjährigen Prag Biennale und derzeit an der Berlin Biennale sowie die Ausstellung bei der einflussreichen Rubell Collection hätten, so Kilchmann, die Glaubwürdigkeit gesteigert. Die Preise für vergleichbare Werke haben sich in den letzten drei Jahren verdoppelt. Papierarbeiten sind ab 1500 Franken, grosse Installationen für rund 100 000 Franken zu haben.

Wekua hat eine eigene Theorie für seinen internationalen Durchbruch: «Wenn ein Künstler eine Arbeit macht, die in eine Lücke eindringt, dann findet der Markt ihn – und nicht umgekehrt», sagt er. «Eher muss er aufpassen, dass er vom Markt nicht aufgesogen wird.»
Es gehört zu den Besonderheiten des Kunstbetriebs, dass der Markt ein Werk nicht immer aus denselben Gründen umarmt wie Kuratoren und Kritiker. Letztere schätzen Wekua als Meister der Suggestion und der cleveren, subtilen Gesten. Sammler dürften sich, im Sog des Interesses an der Kunst aus dem Osten, mindestens so sehr für seine Herkunft aus dem Osten begeistern.

Der Georgier wuchs hinter dem Eisernen Vorhang auf und erlebte den Umbruch der Sowjetunion. Seine Heimatstadt Sochumi war einst Sommerparadies mit Hotels und Cafés, bevor sie zwischen 1992 und 1994 in einem grausamen Bürgerkrieg mit Massakern an der Zivilbevölkerung versank. Nach mehreren abrupten Ortswechseln musste er mit 17 ausser Landes fliehen.

Zweifellos wächst Wekuas Kunst auf einem ganz andern geistigen Humus als die westeuropäische oder amerikanische. Sie ist weder fröhlich-glänzende Lifestyle-Dekoration noch hermetische Kopfkunst. Sein Werk trifft einen Nerv: Die westliche Neugier auf den einst hinter den Eisernen Vorhang gesperrten Osten ist gross, die Osterweiterung in der Kunst längst im Gang. Nach der letzten Art Basel beschwor das amerikanische Hochglanzmagazin «Art & Auction» eine Kunst, die sich aus dem Trauma des Kommunismus und der Postsowjetzeit nähre. «Ein 30-jähriges Leben hat dort genügend Erfahrungen, um einen Dostojewski-Roman zu füllen», wurde der tonangebende Sammler Don Rubell zitiert. «Oft wirkt die Arbeit eines jungen Künstlers aus dem Osten reifer als die der westlichen Kollegen.» Im Bericht wurde Wekua in einem Atemzug mit Künstlerstars wie Wilhelm Sasnal, Pawel Althamer und Monika Sosnowska genannt.

Die einstige Leichtigkeit des Ferienparadieses am Schwarzen Meer, eine gestohlene Kindheit, eine fühlbare Ortlosigkeit und die Ikonografie der Sowjetunion bilden Wekuas mentalen Steinbruch. Zusammen mit Bildern von Versprechungen des friedlicheren Westens, Konsumträumen und Illusionen verbinden sie sich zum wekuaschen Kosmos. In der verwaschen-vergilbten Ästhetik und den sich überlagernden Sedimenten seiner Malerei reüssieren die Werke auf dem Westmarkt.

Wekua selbst huscht indes das abgeklärte Lächeln eines Weisen übers Gesicht, wenn es um vermeintliche biografische Bezüge geht. «Mich interessiert nicht das Persönliche. Mich interessiert, wie sich die Erinnerung formt.»

Vielleicht, räumt er ein, bestätigen seine Bilder eher, was in westlichen Köpfen vom Osten herumgeistere. «Es gibt viele Fehlinterpretationen», sagt Wekua. «Aber das stört mich nicht. Denn was die richtige ist, weiss ich selber nicht.»

ArtTalk

Die Art Basel, die Mutter aller Kunstmessen, öffnet wieder ihre Tore. Sie umfasst 297 Galerien sowie Nebenmessen wie «Liste», «VoltaShow» und «Bâle Latina», die Messe für lateinamerikanische Kunst.
Vernissage: 13. Juni. Bis 18. Juni. www.artbasel.com