Dank der Fürsprache von Ex-Bundesrätin Ruth Dreyfuss, einer Studienkollegin aus Genf, und der Schützenhilfe des Wallisers Pascal Couchepin wurde Jean-Pierre Roth im Januar 2001 von der Landesregierung auf den Chefsessel der Schweizerischen Nationalbank (SNB) gehoben. Spätestens nach der 60-Milliarden-Dollar-Hilfe der SNB an die UBS sind sich die meisten Beobachter einig, dass der Romand für das Land einen «Glücksfall» darstellt. «Er ist fähig, Distanz zu wahren, und lässt sich durch nichts ins Bockshorn jagen», sagt der frühere Spitzendiplomat Franz Blankart, der zusammen mit Roth in der Affäre um die nachrichtenlosen Vermögen an vorderster Front kämpfte. Obschon der Präsident der SNB den Ruf eines fachlich soliden Geldtheoretikers hat, liegt Roths wohl grösster Vorteil darin, sich mit starken Persönlichkeiten zu umgeben, was Souveränität und Selbstvertrauen voraussetzt.

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Neben Führungsqualitäten und Fachkenntnis überzeugt der Sohn eines Postbeamten aus Saxon durch eine ausgeprägte Fähigkeit zu spontaner, menschlicher Nähe. «Es ist nicht möglich, mit Roth kein gutes Verhältnis zu haben», bestätigt einer, der während Jahren eng mit dem Walliser zusammengeabeitet hat.

SEINE MITSTREITER
Mit Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf, die interimistisch das Finanzdossier von Hans-Rudolf Merz übernommen hat, harmoniert der Notenbankchef ausgesprochen gut. Die beiden arbeiten schon länger zusammen, amtete die Bündnerin vor ihrer Wahl in die Landesregierung doch als Vizepräsidentin des SNB-Bankrats. Im Kontrollzentrum der Geldbehörde, im dreiköpfigen Direktorium, scheint die Chemie ebenfalls zu stimmen: Während sich Roths designierter Nachfolger, SNB-Vizepräsident Philipp Hildebrand, als geschliffener Kommunikator in Szene setzt, kümmert sich der Vorsteher des dritten Departements, Thomas Jordan, schwergewichtig ums Tagesgeschäft, das heisst die momentan besonders wichtige Liquiditätsversorgung der Geschäftsbanken. In fachtheoretischen Belangen hält derweil SNB-Chefökonom Ulrich Kohli dem ranghöchsten Währungshüter den Rücken frei. Zu Roths engsten Beratern zählt seit Jahren auch der Monetarist und frühere Berner Uniprofessor Ernst Baltensperger, der heute das Studienzentrum der Nationalbank in Gerzensee BE leitet.

SEINE WIDERSACHER
In der Ära Roth hat sich die Nationalbank geöffnet und den Wandel von einer ehemals doktrinären zu einer viel pragmatischer orientierten Organisation vollzogen. Im Zentrum der Geldpolitik steht heute das Zinsniveau – anstelle der früheren, fürs Publikum nur schwer verdaulichen «Geldmengensteuerung». Damit bietet die Währungsbehörde ihren ehemals notorischen Kritikern, verglichen mit den neunziger Jahren, a priori wesentlich weniger Angriffsfläche. Trotzdem setzt es naturgemäss immer mal wieder Kritik ab – etwa wenn der Chefökonom des Gewerkschaftsbundes, Daniel Lampart, die Notenbankspitze periodisch an ihren konjunkturellen Auftrag erinnert. Ein Genosse, der sich seinerzeit unüberhörbar gegen Roths Nomination ausgesprochen hat, ist Ex-Preisüberwacher Rudolf Strahm. Der Walliser sei «mehr Diplomat als Notenbanker», stichelt der langjährige Nationalrat noch heute. Plakativer formulierte es vor Jahresfrist der frühere Parteipräsident der SPS und heutige «Blick»-Kolumnist Peter Bodenmann: «Die derzeit dümmste Nationalbank Europas.»

INTERNATIONALE KONTAKTE
Dass der Schweizer Notenbankchef auch im Ausland ein hohes Renommée geniesst, belegt seine Wahl zum Präsidenten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) – eine Auszeichnung, die vor ihm bereits dem legendären Fritz Leutwiler (1924–1997) zuteil wurde. Am Sitz der «Zentralbank der Zentralbanken» in Basel, wo sich alle acht Wochen die Chefs der weltweit führenden Währungsbehörden ein Stelldichein geben, bewegt sich Roth nach Einschätzung eines Insiders «wie ein Fisch im Wasser». Besonders guten, ja herzlichen Kontakt unterhält er zum Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), dem Franzosen Jean-Claude Trichet. Auch mit dem Präsidenten der Notenbank von New York und stellvertretenden Vorsitzenden des Federal Open Market Committee, Timothy Geithner, scheint sich Roth bestens zu verstehen. Im Rahmen des Financial Stability Forum, das in diesen Tagen besonders gefordert ist, arbeitet er Hand in Hand mit dem früheren Goldman-Sachs-Strategen Mario Draghi, der heute der italienischen Notenbank vorsteht.

SEINE HOBBYS
An freien Wochenenden zieht sich der «achte Bundesrat» gern in sein Chalet bei Verbier zurück. Dort vergnügt er sich als Bastler und versierter Heimwerker, oder er entspannt sich bei einem Glas Wein und Opernmusik. Roths Gattin ist eine aktive Berggängerin; er selbst betätigt sich im Winter als Skifahrer. In den Sommerferien zieht es das Ehepaar regelmässig in exotische Gefilde: Gemeinsam erforschen sie dann etwa die abgelegenen Galapagos-Inseln oder begeben sich – zusammen mit ein paar Freunden – auf touristisch noch wenig begangene Pfade im boomenden Reich der Mitte.

SEIN PRIVATLEBEN
Roth ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder: Fabien (35), Flavio (23) und Livio (20). Mit seiner Gattin Floriane wohnt er in Muri bei Bern im Schloss der Familie von Ernst. Genauer: in den umgebauten Reitstallungen. Auf demselben Anwesen, nämlich in der vormaligen Orangerie, residierte bis zu seiner Pensionierung der langjährige Bawi-Direktor Franz Blankart, dem sich Roth bis heute verbunden fühlt. Zum privaten Freundeskreis des Notenbankers zählen auch Georges Gagnebin, ehemals Private-Banking-Chef bei der UBS, SNB-Bankrat Alexandre Swoboda, den Roth aus gemeinsamen Zeiten am Genfer Institut des Hautes Etudes Internationales kennt, und sein welscher Amtsvorgänger an der Notenbankspitze, Pierre Languetin.