In Frankreich bröckelt der Rückhalt: Präsident Emmanuel Macron steht knapp ein Jahr nach seinem Wahltriumph an einem kritischen Punkt. Sinkende Umfragewerte und Streiks kratzen am Gewinner-Image des 40-Jährigen. Dabei hat er das Land bislang so rasant verändert wie kaum einer seiner Vorgänger seit der Amtszeit von Charles de Gaulle (1959-1969), der als Verfassungsreformer und Gründer der Fünften Republik in die Geschichtsbücher einging.

Das von Kritikern wegen hoher Arbeitslosigkeit und niedriger Wachstumsraten schon als «kranker Mann Europas» abgestempelte Frankreich hat sich unter Macron wieder gefangen: Ökonom Alex Gill vom Forschungsinstitut IHS Markit spricht von einer «Renaissance der französischen Wirtschaft», die 2017 um 2,0 Prozent zulegte - und damit so stark wie seit 2011 nicht mehr. Doch der Widerstand gegen Veränderungen formiere sich, warnt der Direktor des Deutsch-Französischen Instituts, Frank Baasner: «Es wird schwieriger für Macron. An Mut mangelt es ihm aber nicht.»

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Überfällige Reformen

Die Gewerkschaften suchen seit Anfang April mit Streikwellen die Machtprobe mit dem Staatschef, der die marode Eisenbahngesellschaft SNCF für den Wettbewerb öffnen will: «Ein Reizthema mit hohem Symbolwert», so Baasner. Macron will bis Anfang Juli das Gesetz durchbringen, das der staatlichen SNCF schrittweise das Monopol im Passagierverkehr auf der Schiene nehmen soll. Die Gewerkschaften fürchten einen sozialen Kahlschlag und am Ende eine Privatisierung - so wie es bei der France Telecom der Fall war, die mittlerweile Orange heisst.

In einem Interview mit dem Sender TF machte der Präsident jüngst klar, dass er «das Haus» Frankreich wieder in Ordnung bringen wolle. Der jüngste französische Staatschef seit Napoleon wähnt sich dabei auf einer historischen Mission. Macron will «seit 30 Jahren überfällige Reformen» anpacken - trotz wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Er will im Rahmen von Arbeitsmarktreformen auch den bislang eher verpönten Weg einer Lehre als Start ins Berufsleben attraktiver machen. Zudem hat Macron eine Umgestaltung des etwas angestaubten Abiturs («bac») auf den Weg gebracht - mit einem Wahlbereich ähnlich dem deutschen Leistungsfachsystem. Ein erweitertes Fächerangebot soll es zudem ermöglichen, den Blick der Schüler stärker auf Zukunftsthemen zu richten - etwa Informationstechnologien und die Digitalwirtschaft.

«Reformprogramm schafft Optimismus»

Die Firmen in Frankreich suchen händeringend nach Fachkräften. Die bereits voriges Jahr eingeleiteten Arbeitsmarktreformen Macrons haben mit dazu geführt, dass sich die Laune in vielen Chefetagen gebessert hat: «Die Stimmung in den französischen Unternehmen und bei den Konsumenten ist ausserordentlich gut. Der Optimismus ist wohl zum Teil auf das Reformprogramm selbst zurückzuführen», so führende deutsche Wirtschaftsforscher um den Ifo-Experten Timo Wollmershäuser in ihrem jüngsten Gutachten für die Bundesregierung.

Kein Wunder, dass Lob gerade aus dem mit der Agenda 2010 reform-erprobten Deutschland kommt, während in Frankreich einer Umfrage zufolge mittlerweile nur noch 42 Prozent mit der Amtsführung Macrons zufrieden sind.

Er habe mit den im September 2017 erlassenen Arbeitsmarkt-Verordnungen deutlich gemacht, dass Reformen auch gegen soziale Proteste machbar seien, so Anna Imhof vom Centrum für Europäische Politik (CEP) in Freiburg. Neueinstellungen würden attraktiver. Zugleich schaffe die Reform mehr Flexibilität: «Zentrale Bereiche wie Löhne, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen können durch Betriebsvereinbarungen geregelt werden.» Die Reformmedizin wirkt allmählich. Zweistellige Werte bei der Arbeitslosenquote sind mittlerweile Geschichte: Sie fiel zuletzt auf 8,9 Prozent.

Arbeitslosenversicherung à la Hartz IV

Nun will Macron auch das System der Arbeitslosenversicherung umkrempeln: Es soll mehr Anreize geben, sich auf Arbeitssuche zu begeben oder den Gang in die Selbstständigkeit zu wagen. Auch wenn die deutschen Hartz-IV-Reformen in Teilen Pate für das Pariser Modell standen, gibt es doch Unterschiede: «Während in Deutschland die Selbstverwaltung der Bundesagentur für Arbeit gestärkt wurde, geht es in Frankreich darum, den staatlichen Einfluss auf die von den Sozialpartnern verwaltete Arbeitslosenversicherung zu erhöhen», erläutert Imhof.

Macron hat sich in seinem Reformeifer nicht nur mit den Eisenbahnern angelegt. Er hat es auch gewagt, die Axt an der Bürokratie anzulegen. Bereits im Sommer 2017 strich er die Mittel für Ministerien einmalig um insgesamt 4,5 Milliarden Euro zusammen. In den kommenden Jahren soll die Zahl der Staatsbediensteten um etwa 120'000 sinken.

Mit solchen Vorhaben bewegt sich der Präsident laut der Frankreich-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Claire Demesmay, auf dünnem Eis, zumal sich bei einem Grossteil der Franzosen der Aufschwung noch nicht bemerkbar mache: «Macrons Reformeifer ist nicht populär. Immer mehr Bürger befürchten, dass die Reformen auf Kosten des sozialen Zusammenhalts gehen.»

Für den Linken-Politiker Jean-Luc Melenchon ist der frühere Rothschild-Banker ohnehin ein «Präsident der Reichen». Der Stern des in Paris spöttisch mit dem antiken Göttervater verglichenen Hausherren im Elysee-Palast sinke rapide: «Jupiter ist vom Himmel gefallen», ätzte Melenchon jüngst auf Twitter.

(reuters/ccr)