Zurich trauert. Der langjährige CEO der grössten Schweizer Versicherung ist tot, Martin Senn soll sich laut Medienberichten das Leben genommen haben. «Die Nachricht vom plötzlichen Tod von Martin Senn hat uns fassungslos gemacht und tief erschüttert», schreibt Zurich in einer Mitteilung. Weiter will sich der Konzern aus Respekt vor den Angehörigen nicht äussern.

Wie kein Zweiter prägte Martin Senn den grössten Schweizer Versicherer. Lange galt der mit 59 Jahren Verstorbene als Star seiner Zunft. Nach wiederholt schlechten Zahlen musste er im Dezember aber seinen Posten als Unternehmenschef nach sechs Jahren räumen.

Mit privaten Einblicken in sein Leben hielt sich Senn gegenüber der Öffentlichkeit zeitlebens zurück. Er galt als bodenständig, leise und unauffällig. Interviews gab er selten. «Martin who?», titelte die «Bilanz» 2011. Doch schon in der Schulzeit wollte es Senn weit bringen. Er sei als Teenager zielstrebig gewesen und stets reif für sein Alter. Das Schicksal liess ihm auch keine andere Wahl: Als er fünfzehn Jahre alt war, starb seine jüngste Schwester bei einem Unfall. Ein Jahr später sein Vater.

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Asien als «Game Changer»

Senn war auf einmal mit seiner Mutter und zwei älteren Schwestern allein. «Das hat mich stark geprägt», sagt er der «Bilanz», «ich wurde von einem mittelmässigen bis schlechten Schüler zum Klassenbesten.» Senn arbeitete sich hoch: Ein Studium absolvierte er nicht, sondern begann als Lehrling beim damaligen Schweizer Bankverein (SBV). Daraus entstand seine internationale Karriere mit Stationen in Basel, New York, Hongkong, Singapur und Tokio.

Im vergangenen Jahr gewährte Senn der staatlichen chinesischen Zeitung «China Daily» ungewohnt persönliche Einblicke in sein Privatleben. Gerade Asien sei für den Schweizer ein «Game Changer» gewesen, die dortige Erfahrung krempelte sein Leben völlig um. Mit 26 Jahren wurde Senn nach einem USA-Abstecher zum Finanzdirektor der Hongkong-Filiale des Bankvereins ernannt und zog 1983 in die damals noch britische Metropole.

Senn lernte seine Frau in Hongkong kennen

Sein Verhältnis zu Geld beschrieb Senn in dem Interview mit der chinesischen Zeitung ebenfalls: «Als ich nach Hongkong kam, fragte mich mein dortiger Chef, was ich während meiner Ausbildung in den Vereinigten Staaten gelernt hätte.» Die Antwort: dass Geld wichtig sei. Der forderte ihn auf, ein Geldstück nahe vor meine Augen zu halten. Alles, was Senn sah, war Geld. Als er das Geldstück etwas entfernter vor seine Augen hielt, konnte er plötzlich viel mehr sehen: die Kollegen, das Büro, die Aussicht aus dem Fenster. Da wurde Senn klar, dass persönliche Beziehungen zentral sind, auch in Geldfragen.

In Hongkong lernte Senn im gleichen Jahr bei einem Geschäftsessen im Südchinesischen Meer auch seine zukünftige Frau kennen, eine Violistin aus Südkorea. «Sie sagte mir, sie sei Koreanerin. Ich fragte sie, Nord oder Süd? Sie dachte, das ist nun aber eine dumme Frage...». Zwei Jahre später heiratete sie ihn. Durch seine Frau lernte Senn auch die ihm unbekannte asiatische Kultur kennen.

Zurich und Senn trennten sich im Dezember

Dies wiederum bestimmte seine geschäftliche Tätigkeit massgeblich: Für die nächsten zwanzig Jahre war Senn für den SBV meist in Asien geschäftlich tätig, später auch für die Credit Suisse, die er 2002 verliess. Senn wechselte zur Swiss Life als Anlagechef, ehe er 2006 bei der Zurich in der gleichen Funktion begann. Durch seine vorsichtige Investmentstrategie wurde Senns Position während der Finanzkrise unumstösslich, er selbst zum Vorbild für andere Manager.

Senn galt als einer, der weniger das Geschäft, sondern die Menschen managte. Kadermitglieder, mit denen Senn eng zusammen gearbeitet hat, lobten ihn stets für seine ruhige, besonnene Art. Es sei toll, einem CEO zu begegnen, der kein typischer Egomane sei. Senn legte auch keinen Wert auf Status. Bei den Mitarbeitern war er deshalb extrem beliebt. Die Meinung aller Angestellten interessierte ihn – auch wenn sie keine Kadermitglieder waren. Immer wieder gab es Mittagessen zum Austausch mit den Angestellten, man war per Du.

Senn von Trennung überrascht

Doch zunehmend bekamm der Versicherer Probleme: Vor einem Jahr gleiste der Konzern ein umfassendes Sparprogramm auf und musste im vergangenen September eine Gewinnwarnung ausgeben. Auch scheiterte die avisierte Übernahme der britischen Versicherungsgruppe RSA. In den ersten neun Monaten 2015 brach der Gewinn des Unternehmens um ein Drittel auf 2,5 Milliarden Dollar ein, meldete Zurich im November. Einen Monat später gab das Management die Trennung vom Konzernchef bekannt.

Senn hinterlässt seine Frau und zwei erwachsene Kinder.