Strand bei Cabourg: Sand und Meer beflügeln die Touristen, so wie Marcel Proust vor 100 Jahren.

Ein brandneues Hotel am Meer, ausgestattet mit modernstem Komfort – sogar Strom gab es dort, private Bäder für die Gäste und Zentralheizung. Damit konnte 1907 kaum ein anderes Hotel in Frankreich aufwarten. Aufenthalte im schicken normannischen Seebad Trouville gehörten zu Prousts Leben, seit er im Alter von elf Jahren Asthma bekam. Doch der Luxus, den dieses neue «Grand Hôtel» versprach, war sogar für Pariser Verhältnisse unerhört.

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Unverzüglich reiste Proust nach Cabourg. Im Gepäck hatte er ein Manuskript, kaum mehr als eine Skizze. Es war der Keim seines literarischen Grossprojekts, dem er die nächsten Jahre widmen sollte. Als Sohn vermögender Eltern war er auf die zeitraubenden Mühen des Broterwerbs nicht angewiesen. Proust nahm im vierten Stock des nagelneuen Hotels in Cabourg drei Zimmer. Im mittleren schlief er, die beiden anderen waren eine Schutzzone.

Weil er die Sonne verabscheute, verliess der Schriftsteller selten vor dem frühen Abend seine Zimmer. Dann ass er einen Fisch und ging ins Kasino. Dazu musste man seinerzeit nicht einmal das Haus verlassen, da diese beiden Mittelpunkte des örtlichen gesellschaftlichen Lebens miteinander verbunden waren.

Proust traf Freunde und beobachtete Aristokraten in der Sommerfrische. Sobald er nach Mitternacht ins Zimmer zurückkehrte, schrieb er alles auf – angereichert durch den neuesten Klatsch aus der Hauptstadt, den er Briefen seiner Freunde aus Paris entnahm.

Bis 1914 kam Proust jedes Jahr wieder, spielte in den Abendstunden Tennis und vollendete sein siebenbändiges Werk «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit». Balbec – der Schauplatz des epochalen Romans – ist die literarische Entsprechung Cabourgs und heute der Name eines Literaturfestivals, das in ungeraden Jahren hier und im nahe gelegenen, von Proust ebenfalls geschätzten Trouville stattfindet.

Mit grosser Leidenschaft gedenken die Einwohner Cabourgs ihres berühmten Gasts. Anlässlich der Festivitäten verhüllen sie die Ortsschilder und ersetzen sie durch solche mit dem Schriftzug «Balbec».

Damit die Zeit zwischen zwei Festivals nicht zu lang wird, lädt die Proust-Gesellschaft wöchentlich zu Vorträgen rund um ihren Lieblingsliteraten ein. In diesem Jahr finden am 22. und 23. September erstmals die «Journées Musicales de Marcel Proust» statt, eine Reihe von Konzerten und Vorträgen zum Thema «Proust und das Meer». Schauplatz ist natürlich das «Grand Hôtel».

Klar, seit jenen frühen Tagen hat sich einiges verändert in der Normandie. Aber nicht so viel, dass Prousts Sommeridylle unter der Wucht der Zeit begraben worden wäre. Mit 4000 Einwohnern ist Cabourg beschaulich geblieben. Und noch immer ist es angelegt wie ein Amphitheater, in dem alle Wege auf das Kasino und das «Grand Hôtel» zulaufen.

Prousts Lieblingshotel selbst wurde 2011 renoviert und kann sich seither wieder ähnlichen Glanzes rühmen wie das Haus, das den Schriftsteller seinerzeit so beeindruckt hatte.

Gleich vor dem Haus verläuft die Promenade, die heute nach Proust benannt ist. Bei Ebbe vergrössert sich der Strand dahinter aufgrund der extremen Gezeitenunterschiede ins annähernd Unendliche. Das Meer ist dann kaum mehr zu erkennen.

Das Zimmer, in dem der Schriftsteller sieben Sommer lang schrieb und schlief, ist als Nummer 414 des «Grand Hôtel» bis heute buchbar. Das Bett stammt zwar aus dem frühen 20. Jahrhundert, aber nicht aus dem ursprünglichen Hotel. Der Schreibtisch ist ebenfalls ein Stück aus der Epoche, es ist jedoch nicht jener, an dem Proust um Worte rang. Im Bücherschrank stehen die Werke unsterblicher französischer Schriftsteller: Stendhal, Balzac – und Marcel Proust.

Am 22. und 23. September finden die «Journées Musicales de Marcel Proust» statt.