BILANZ: Herr Arora, einen Topjob bei Google zu bekommen, ist nicht leicht – Sie selbst mussten 16 Vorstellungsgespräche führen.

Nikesh Arora: Ja. Sogar die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page wollten mich sprechen. Ich bekam einen Anruf: Treffpunkt am Dienstag um 14 Uhr im British Museum.

Und was passierte dann?

Ich war etwas früher da, ging in den Museumsladen, blätterte in diversen Führern und las etwas über den Rosetta-Stein – das ist der berühmte ägyptische Stein, mit dessen Hilfe die Hieroglyphen entschlüsselt wurden. Das war mein Glück. Brin und Page haben mich prompt danach gefragt.

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Sie sind seit Ende 2004 Google-Europa-chef. Was sind Ihre grössten Herausforderungen?

Wir sind ein Unternehmen, das fast zu schnell wächst. Die grösste Herausforderung ist, die richtigen Mitarbeiter zu finden. Sie müssen in der Lage sein, unsere Produkte an die lokalen Märkte anzupassen. Fachliche Qualifikation ist wichtig, aber auch die Fähigkeit, mit den Kunden zu kommunizieren.

Wie viele Lücken müssen Sie noch füllen?

Derzeit haben wir in Europa schon mehr als 800 Mitarbeiter, das schliesst auch unsere Zentrale in Dublin ein. Allein dort wollen wir 600 neue Arbeitsplätze schaffen. Wir sind wählerisch: Wir wollen die Besten, die Intelligentesten, die Begabtesten.

Wo sehen Sie künftiges Wachstum?

Viele Unternehmen in Europa betrachten das Web immer noch als Ort der Präsentation von Informationen, aber es ist längst ein riesiges Distributionsnetzwerk. Das wird noch viel zu wenig erkannt. Das Internet ist auch das erste Medium, das es Unternehmen ermöglicht, auf breiter Ebene mit den Kunden Kontakt zu halten.

Und was hat Google damit zu tun?

Viele Unternehmen versuchen, ihre Produkte zu perfektionieren, bevor sie auf den Markt kommen. Wir machen es anders. Wir verlassen uns auf das Feedback der Nutzer, um Verbesserungen vorzunehmen. So war es auch bei unserem Kartografieprogramm Google Earth: Die Leute beschwerten sich, und wir änderten es.

Das heisst, Google holt sich viele Ideen vom Markt und von den Kunden?

Das ist nur ein Faktor. Wir erlauben unseren Mitarbeitern auch, einen Teil ihrer Arbeitszeit in eigene Ideen zu stecken. Die Intelligenz der Belegschaft, unsere flachen Hierarchien, unsere unkonventionelle Unternehmenskultur – all das fördert Innovation. Wir wollen gegen Regeln verstossen.

Wird es nicht schwieriger, diese Start-up- Kultur zu erhalten, je grösser Sie werden?

Stimmt, je schneller wir wachsen, desto schwieriger wird es. Wir brauchen Struktur und wollen unkonventionell sein. Das ist ein Balanceakt. Kleine Teams sind wichtig. Und obwohl es gut ist, börsenkotiert zu sein, wollen wir nicht, dass die Finanzmärkte uns die Richtung diktieren. Es wäre falsch, immer nur an die nächsten Quartalsergebnisse zu denken.

Das Wachstum schafft noch andere Konflikte. Wie verträgt es sich etwa mit Ihrem Unternehmensmotto, «Tue nichts Böses», dass Google in China Selbstzensur betreibt?

Diese Entscheidung ist uns sehr schwer gefallen. Die Frage war: Ist es besser, gar keine Informationen zur Verfügung zu stellen oder auf einen kleinen Prozentsatz zu verzichten? Denn in China wurde unser Informationsangebot schon immer zensiert – nicht durch uns, sondern durch ein staatliches System von Zugangsfiltern. Es war so schwierig, durch diese Firewall zu kommen, dass es den chinesischen Nutzern manchmal nicht gelang, überhaupt irgendetwas abzurufen. Deshalb gaben wir nach. Anders als andere Suchmaschinen, die in China tätig sind, teilen wir unseren Nutzern dort aber jeweils mit, dass sie eine bestimmte Information nicht abrufen können, weil sie der Zensur unterliegt. Wir sind also ehrlicher als andere.

Warum haben Sie dies gemacht? Ist der chinesische Markt so wichtig?

China ist für uns als Werbemarkt nicht relevant. Die Umsätze sind zu gering. 61 Prozent unserer Erträge stammen aus den USA, 15 Prozent aus Grossbritannien. China fällt nicht ins Gewicht, und das dürfte auch in zehn Jahren noch so sein.

Umso unverständlicher ist Ihr Verhalten.

Überhaupt nicht. Wir halten uns nur an die jeweils geltende nationale Rechtslage.

Über 90 Prozent der Google-Erlöse stammen derzeit aus Werbung. Wie wird sich das Geschäft weiterentwickeln?

Ich sehe hier ein enormes Wachstumspotenzial. Konsumenten verbringen heute im Schnitt ein Drittel der Zeit, die sie für die Medien aufwenden, im Internet. Aber erst rund sechs Prozent der Werbung entfallen auf den Online-Bereich. Wenn die Menschen künftig noch mehr Zeit im Web verbringen – und das ist der Trend –, dann wächst auch die Werbung im Internet.

Warum sollten immer mehr Menschen immer mehr Zeit im Internet verbringen?

1996 haben ein paar Millionen Menschen das Internet genutzt, zehn Jahre später sind es über eine Milliarde. Die Informationsfülle ist enorm, und sie steigt ständig, parallel dazu wächst der Trend neuer Online-Angebote wie Blogs oder Musik.

Wie wird Google davon profitieren?

Die Informationsflut macht vieles unübersichtlich, daher hat Google so gute Zukunftsaussichten. Gestern kam meine achtjährige Tochter zu mir und fragte: Warum hat ein Oktagon acht Seiten, und warum ist Oktober der zehnte Kalendermonat? Früher hätte ich in einer Enzyklopädie nachgeschaut. Bei Google hatten wir im Handumdrehen die Antwort: Der Oktober war der achte Monat im römischen Kalender.