Der Anruf von BILANZ CARS, ob ich einmal so richtig schnell fahren wolle, kam überraschend. Warum?, fragte ich zurück. Weil du das kannst, lautete die Antwort, und weil wir möchten, dass du es im neuen Carrera S Cabrio tust, mit offenem Dach. Um unseren Lesern anschliessend zu berichten, wie es sich anfühlt, und zwar mit allen Konsequenzen. Prima, dachte ich, endlich einmal rasen für einen guten Zweck, und sagte zu.
Es war schon länger her, dass ich den Club 300 aufgesucht hatte. Das Schweizer Strassennetz fällt für solche Übungen kategorisch weg. Tempo 120 ist eine Herausforderung der ganz anderen Art, doch ich möchte als Gastarbeiter keinen Ärger bekommen. Früher, als wir noch in Hamburg lebten und ich C5 fuhr, mahnte meine Frau gelegentlich vom Beifahrersitz: «Fahr langsamer!» Inzwischen wohnen wir im Kanton Bern, meine Assimilation ist weiter vorangeschritten, deshalb lautet die Parole ab Weil am Rhein: «Gib etwas mehr Gas!»
Ich hatte Zuspruch. Der Test-Porsche stand mit vollem Tank beim Importeur in Zug, wo ich mit der Bahn eintraf. Das geeignete Terrain für meine Speed-Orgie war schnell gefunden – die A 81 nördlich von Schaffhausen, im Vollgas-Reservat Deutschland. Nur dort rast es sich noch ungeniert, zumindest etappenweise. Doch ich fuhr erst mal nach Hause und ging Gassi mit dem Hund, um mich mental vorzubereiten. Vor einer Beschleunigung, die ohne technische Hilfsmittel niemals erreichbar wäre, ist es sinnvoll und lehrreich, den eigenen Körper auf dessen gottgegebene Geschwindigkeit hin zu ergründen. Nur so viel: Mein Vierbeiner ist deutlich schneller als ich. Zugegeben, es sind etwa 20 Prozent Windhund drin. Dieses Wissen ist heilsam – läuternde Demut. Der Mensch ist von Natur aus eine lahme Spezies!
Länger, breiter, muskulöser
Derweil wartete vor dem Haus der Porsche. Es handelte sich um einen Carrera S, also das aktuell stärkste Modell mit 3,8 Litern Hubraum und 400 PS. Verglichen mit seinem Vorgänger, ist das komplett neu konstruierte Auto 6,5 Zentimeter breiter (nun 181 cm) und 5,5 länger (449 cm). Auch der Radstand wuchs um 10 auf nunmehr 245 Zentimeter. Das Ganze sieht insgesamt geduckter, muskulöser aus. Der Stoffdach-Elfer kommt im April auf den Schweizer Markt, und Porsche verlangt für die S-Version mindestens 153 000 Franken. Inklusive Optionen, wie 20-Zoll-Felgen (Fr. 1490.–), Lederausstattung (Fr. 6490.–) oder der vierzehnfach elektrisch verstellbaren Sportsitze (Fr. 3150.–), brachte es mein Testwagen auf 187 340 Franken. Auf keinen Fall verzichten sollte man auf die 3630 Franken teure Brüll-Taste, die sich in unterkühltem Technodeutsch Sportabgasanlage nennt: Der Auspuffsound geht direkt ins Rückenmark und kann Lamborghini Konkurrenz machen.
Als verkehrstechnisch günstige Tatzeit wählte ich einen Montagmittag bei trockener Witterung; der Bordcomputer wies freundliche 14 Grad aus. Trotzdem zog ich eine Windjacke und eine Daunenweste an, packte Handschuhe, das Käppi mit Kinnriemen und den Lawinenwarner ein. Schliesslich würde ich den Naturgewalten nahezu ungeschützt ausgeliefert sein und gar Gefahr laufen, von einer Windbö aus dem Auto gelupft zu werden, wie mein Nachbar besorgt vermutete. Zur Abfahrt waren Schaulustige erschienen und winkten mir nach. Kurz vor dem Freeway drückte ich den Knopf für das elektrische Verdeck – es öffnet sich auch während der Fahrt bis zu 50 km/h. Nun zog es ein wenig, doch nach dem Ausfahren eines raffiniert integrierten Windschotts wehte nur noch ein angenehmes Lüftchen. Die Rücksitze waren zwar überspannt, doch sitzen möchte dort hinten ohnehin niemand. Umso besser fühlt man sich vorne. Den tempomatisierten Bummel-Transfer zur Grenze – 120 km/h entsprechen im Porsche gefühlten 50 – nutzte ich zum System-Check-up. Der Bordcomputer des neuen Elfer bietet eine Fülle prüfbarer Parameter und Informationen, samt G-Force-Anzeige, Reifendruckkontrolle oder Kompassrose. Also zielte ich nach Nord-nordost und erfreute mich am hervorragenden Klang des Bose-Surround-Systems.
Schon die ersten Kilometer zeigten: Der offene 911 ist gegenwärtig das vielleicht beste Cabriolet der Welt. Es ist für mich das qualitativ hochwertigste; kein anderes Oben-ohne-Auto ist besser verarbeitet. Sicher, es gibt grössere Luxussänften, doch deren Achsen ächzen unter dem Gewicht von zwei oder mehr Tonnen. Der Elfer bringt dagegen bloss 1485 Kilogramm auf die Waage, und dieser Wert ist gut. Schliesslich braucht es eine gewisse Erdverbundenheit, um derart viel Kraft auf den Asphalt zu bringen und der Besatzung dabei erst noch ein wohliges Gefühl von Laufruhe zu vermitteln. So sportlich-straff der neue 911 abgestimmt ist, so komfortabel ist er auch. Und wenn es sich wie beim Testwagen um ein PDK-Modell handelt (Porsche Doppelkupplungsgetriebe), muss man nicht einmal selber die Gänge wechseln. Ich tat es trotzdem per Lenkrad-Tasten und wurde zum ersten Mal von diesem Auto enttäuscht: Zum Hochschalten will ein wulstiger Knopf nach vorne Richtung Armaturenbrett gedrückt werden – und umgekehrt zum Fahrer hingezogen beim Herunterschalten. Das widerspricht technischer Logik und ist etwa so, als würde man von einem Linkshänder verlangen, rechts zu schreiben. Gewöhnung kommt, aber ungern.
Fehlertoleranz null
Vor Schaffhausen gab es eine letzte Geduldsprobe in Form gängelnder Sechziger-Zonen, dann war die Grenze passiert. Ich setzte mein Käppi auf, holte tief Luft, zog die Gurten ein wenig nach, drehte «Riders on the Storm» von den Doors auf volle Lautstärke und gab gnadenlos Gas. Der Porsche begann sofort, die Strasse aufzusaugen. Seine Beschleunigung ab 100 km/h aufwärts war zwar wenig rekordverdächtig, hörte sich aber sensationell an – und hörte bei 170 Sachen, die im sechsten Gang mit 4000 Touren passiert wurden, auch nicht auf. 220 Stundenkilometer gab es bei gleicher Untersetzung und 5000 Umdrehungen pro Minute, weiter ging es ungerührt auf 240 Stundenkilometer bei 5750 Umdrehungen pro Minute. Die Doors waren da bereits deutlich leiser geworden, während das Grundrauschen in der Kabine stetig zunahm. Sicher hätte das Elfer-Cabrio sein Tempo scheinbar mühelos weiterbeschleunigt, wären am Horizont nicht einige Hindernisse aufgetaucht, die mich frühzeitig verzögern liessen. Dies brachte eine neue Erkenntnis: Die Porsche-Bremsanlage ist auch beim neuen Cabriolet sensationell, verzögert jederzeit verlässlich und linear. Entwarnung kann auch für meinen Nachbarn gegeben werden. Nichts fliegt weg. Das Windschott hält problemlos, und selbst ein hinter die Sonnenblende geklemmtes Parkticket bleibt an seinem Platz.
Meine Aufgabe war noch nicht erfüllt. Als die Bahn wieder frei war, nahm ich einen erneuten Anlauf und erhöhte das Tempo. Über 250 km/h liess es die Lenkung zwar nicht an Präzision mangeln, doch fühlte sie sich immer leichter an. Alles andere wurde dagegen immer enger. Die Fahrbahn zog sich zu einem schmalen Streifen zusammen, das Sichtfeld verengte sich. Übliche Begleiterscheinungen bei diesem Tempo, das volle Aufmerksamkeit erfordert. Ungeübten Fahrern schlägt jetzt das Herz bis zum Hals, das Lenkrad zu verreissen, wäre fatal. Schon oberhalb von 200 km/h gibt es kaum Platz für Fehler. Rechnet man drei Sekunden für einen Blick zum Tacho, sind bereits 165 Meter zurückgelegt. Unterdessen jagte ich mit 260 Sachen davon. In diesem Aggregatszustand verhinderten lang gezogene Kurvenwechsel weitere Speed-Exzesse. Das Rauschen hatte sich bereits zu einem kräftigen Sturm gesteigert. Von den Doors war jetzt kaum noch etwas zu vernehmen.
Bei 265 Stundenkilometern oberhalb von 6200 Touren brach ich die Übung ab. Wann, so hatte ich mich bei meinem konzentrierten Tiefflug gefragt, fährt man je so schnell? Zur Entbindung des ersten Kindes vielleicht. Oder auf der Flucht. Beides traf auf mich nicht zu, und die Erkenntnis, lieber Leser, ist ernüchternd: Mehr als 200 ist zwar ein angenehmes Reisetempo, bei den vollen Gassen heutzutage aber kaum noch realisierbar. Mit offenem Dach macht das erst recht keinen Spass, nicht einmal in einem nagelneuen Porsche. Geschlossen ist es etwas völlig anderes, weil man sich im Auto so sicher fühlt wie in Abrahams Schoss. Sein Softtop ist ein mit Stoff geschickt kaschiertes Hardtop und damit sturmfrei. Trotzdem hätte ich den Club 300 verfehlt. Das 911 Carrera S Cabriolet läuft mit PDK maximal 299, auch wenn der Tacho dann mit über 300 etwas anderes suggeriert.
Erst auf Schweizer Boden stellte sich wieder die Lust am offenen Fahren ein. Bei Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn gibt es im siebten Gang 2000 Touren, und bloss ein sanftes Säuseln dringt zur Besatzung vor. Zwar hatte ich noch eine Weile das Grundrauschen aus Deutschland im Ohr, sonst aber war alles perfekt. Merke: Man kann im offenen Porsche Cabriolet auf Schweizer Strassen sogar freisprechend telefonieren, so gut ist der aerodynamische Feinschliff. Manchmal muss man erst in die Ferne schweifen, um das Naheliegende zu schätzen.