Vor 50 Jahren schreckten Krawalle bei einem Rolling Stones-Konzert in Zürich die bürgerliche Gesellschaft auf. Als Auftakt der 68er Revolte gelten die Ereignisse heute. Einer, der dabei war, sieht das anders.

Unendlich cool stiegen die bösesten Buben der damaligen Musikszene vor genau 50 Jahren in Zürich aus dem Flugzeug: Sonnenbrillen, Zottelmäntel, Schlafzimmerblick. Die Rolling Stones kaspern vor den Kameras lässig herum. «LSD ist gut», sagt Mick Jagger. Es ist Flowerpower-Zeit. Kreischende Mädchen, die in Ohnmacht fallen? «Sie sollen tun, was ihnen gefällt», sagt Jagger. Yeah.

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Alles kurz und klein geschlagen

Doch an diesem 14. April 1967 ist in Zürich nichts mit Flowerpower - der Konzertabend vor mehr als 10'000 Zuschauern im Hallenstadion endet mit Wasserwerfern und knüppelnden Polizisten. «Vandalen», «Tumulte mit gravierenden Formen» - so empört sich die bürgerliche Presse sofort. Die Konzertbesucher hätten alles kurz und klein geschlagen.

Das Konzert gilt als Vorbote der 68er Revolution: der Abend, an dem der Aufstand der Jugend gegen die ihr so spiessig erscheinende Gesellschaft begann. «Alles Quatsch», sagt Max Lässer, Jahrgang 1950, im Gespräch. Er muss es wissen, er war dabei.

Musik war kaum zu hören

21.45 Uhr, die Halle ist voll. Auf alten Aufnahmen sind ein paar ältere Semester zu sehen, adrett gekleidet, die sich erschreckt die behandschuhten Finger in die Ohren stecken. Die jüngeren sind aber aus dem Häuschen. Die neuartige Beat-Musik, und das im beschaulichen Zürich! Niemanden hält es auf den Klappstühlen. Die Jugend rockt entrückt in Anzug und Kostüm. Einige schütteln begeistert die schon verwegen langen Haare. Und alle kreischen.

«Man hat ja kaum etwas gehört», sagt Lässer. «Die hatten im Stadion eine Anlage, mit der man heute höchstens 200 Menschen beschallen würde.» Man habe gerade mal gehört, was gespielt wurde, «Lady Jane» etwa. Aber die Musik, meint Lässer, war zweitrangig. «Die Energie, das war entscheidend. So etwas hatte man ja noch nie erlebt.»

Nach den Berichten der damaligen bürgerlichen Chronisten entlud sich diese Energie in Randale. «Das Konzert ist zu Ende. Die Schlacht bricht aus», sagt ein Radioreporter zwei Tage später martialisch in einer Reportage für Radio Beromünster, bevor er Krach-Geräusche einspielt. «Was Sie jetzt hören, das sind Sitzplätze, die kraftvoll in ihre Bestandteile zerlegt werden.»

Max Lässer: Krawall wurde herbeigeredet

Bei Max Lässer klingt das anders: «Da waren ein paar Radaubrüder am Werk, keine Menge mit Zerstörungswut. Vielleicht haben sie Frust abgelassen, weil man ja kaum etwas gehört hatte.» Niemand, der dabei war, habe das als grossen Krawall empfunden. Die Berichterstattung sei völlig übertrieben gewesen. Dass dieses Konzert als Auftakt der Jugendrevolte hochstilisiert wird, wundert ihn. «Wir hatten absolut nichts mit Politik im Sinn», betont er.

Lässer feierte mit seinen Freunden vielmehr «das Ende der Schlagersängerei». «Die Schlagersänger waren ja oft Marionetten», sagt er. «Die Stones, die Beatles, das war der Auftakt der Autorenmusik.» Für Lässer selbst war die Zeit ein Erweckungserlebnis. «Damals hat die Musik mich angefixt. Ich habe gemerkt: das könnte mein Leben sein.» Lässer wird als einer der besten Schweizer Gitarristen gefeiert und tourt noch heute mit seiner Überland-Band. Er widmet sich inzwischen der Schweizer Musik, neu interpretiert.

Damals 20, heute 268 Franken Eintritt

Dennoch: Dass Jugendliche die Holzklappstühle mutwillig zerstören, wie auf einem alten Foto zu sehen ist, empört das bürgerliche Establishment. «Hochdruckschläuche» - also Wasserwerfer - seien nötig gewesen, um die Menge im Zaum zu halten, berichtete die «NZZ». Auch Politiker beklagen anschliessend den Verfall der Sitten.

Mick Jagger und Co. kamen in ihrer langen Karriere noch öfter nach Zürich, aber Lässer ist nie wieder in einem Stones-Konzert gewesen. «Sie können spielen, aber bitte, in den Clubs gab es Besseres», sagt er. Mit den 20 Franken, die er damals für das Ticket zahlte, wäre er auch nicht weit gekommen. 2014 kosteten die Stones-Konzert-Karten in Zürich im Durchschnitt 268 Franken.

(reuters/ccr)

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