Zuweilen fällt es schwer, von Hand einen Brief zu schreiben. Bei manchem Anlass reicht es einfach nicht, eine SMS, eine Mail oder den Laserausdruck eines Word-Dokuments zu schicken. Wer will schon einen Liebesbrief in 12-Punkt-Helvetica bekommen, das Lob vom Chef als Powerpoint-Präsentation oder die Geburtstagswünsche per SMS? Geht nicht. Kann man nicht machen. Hat keinen Stil.

Da muss man zu Papier und Stift greifen – und nach den ersten Zeilen wird klar: Geht auch nicht. Kein Mensch kann das lesen, selbst für den Verfasser wird der Inhalt kryptisch, und gestalterisch ist das Ganze ein Armutszeugnis. Unleserlich, hingekrakelt, die Buchstaben undeutlich. Für den Empfänger bleibt das Geschriebene ein Rätsel. Weder die Liebesschwüre noch das Lob kommen an, die Geburtstagswünsche kann man allenfalls erahnen.

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«Das ist auch kein Wunder», sagt Andreas Schenk. «Schreiben ist Übungssache wie eine Sprache auch. Die Schrift verkümmert, wenn man sie nicht jeden Tag trainiert.» Schenk lebt vom und vor allem für das schöne Schreiben. Er arbeitet in seinem Atelier für Kalligrafie am Rheinsprung in Basel inmitten von Papier, Schreibfedern und Tintenfässern und beobachtet von seinem Scriptorium aus, wie die älteste Kommunikationstechnik langsam verschwindet: die Handschrift.

Die Qualität der Handschrift ist in den letzten Jahrzehnten in den Keller gerutscht. Seitdem der Poschtizettel per iPhone, Blackberry oder Evernote.com gemacht wird, ist auch die letzte Bastion der Handschriftlichkeit gefallen. Schuld am Niedergang der Schrift trägt auch untaugliches Schreibgerät: «Mit dem Kugelschreiber», sagt Schenk, «versaut man sich automatisch die Schrift.» Während die Feder eines Füllers auf dem Papier Widerstand findet und kontrolliert dahingleitet, schiesst die Spitze des Kulis förmlich über den Bogen. «Füller und Kugelschreiber verhalten sich zueinander wie Schlittschuhlaufen zu Eisrutschen mit einem Müllsack an den Füssen», sagt Andreas Schenk.

Wer besser schreiben möchte, braucht Selbsterkenntnis und Werkzeug, das wirklich etwas taugt. Das richtige Papier, ein guter Füller und die passende Tinte sind eine gute Basis. Im Kommunikationswerkzeug aus der Zeit der Schreibstuben und Kontore stecken technisches Wissen, handwerkliche Meisterschaft und ein tiefer Sinn für Qualität. Neben den Herstellern der Millionen von industriell gefertigten Billigschreibern, die in Veston- und Handtaschen herumgetragen werden, gibt es noch knapp zwei Dutzend Unternehmen weltweit, die qualitativ hochwertige, von Hand hergestellte Schreibgeräte in kleinen Stückzahlen produzieren. Nur wenige gehören nicht zu den grossen Luxuskonzernen und sind noch in Familienbesitz. So etwa Elmo & Montegrappa in Bassano del Grappa, knapp 100 Kilometer nordwestlich von Venedig.

Insignien der Macht. Neben dem Werk liegt hinter einem Schmiedeisentor am Ende einer langen geraden Auffahrt jene Villa, in der Ernest Hemingway während des Ersten Weltkriegs einquartiert war und Teile seines Romans «In einem anderen Land» schrieb. Wenn er neue Stifte brauchte, stieg er die Treppe zum Haupteingang von Elmo & Montegrappa hoch. Heute bedienen sich eher Mächtige und Vermögende der Schreibgeräte aus dem Hause Montegrappa. Der russische Staatspräsident Medwedew kauft die Schreiber im Wochentakt. Fidel Castro benutzt sie, Nicolas Sarkozy besitzt einen, und Boris Jelzin unterschrieb seine Regierungsübergabe an Wladimir Putin mit einem Montegrappa-Füller und überreichte ihn seinem Nachfolger mit den pathetischen Worten: «Mit diesem Stift übergebe ich dir die Macht.» «Danach stieg der Umsatz in Russland natürlich stark an», sagt Giuseppe Aquila, CEO von Montegrappa.

Das Unternehmen stellt Schreiber der Luxusklasse her. Die Einsteigermodelle kosten um einige hundert Franken, weit über tausend die besonders schönen Stücke, mehrere tausend Franken die Limited Editions, die als Sammlerstücke gehandelt werden. Der neuste Trend bei den edlen Schreibgeräten sind Bespoke-Anfertigungen. Das sind Einzelexemplare, die komplett nach den Wünschen des Kunden und ausschliesslich für ihn entworfen und gebaut werden. Wer so eines möchte, muss im Minimum einige zehntausend Franken ausgeben. «Nach oben gibt es keine Grenze», sagt Aquila.

Selbst der Preis eines normalen Montegrappa-Füllers lässt sich nachvollziehen, wenn man Giuseppe Aquila durch die hohen und hellen Räume der hundertjährigen Fabrik folgt. Mehr als 60 Menschen arbeiten hier und stellen die Schreibgeräte mit viel Handarbeit, teuren Materialien und einem Gespür für Qualität her. Der Luxus beginnt beim Material, aus dem das Gehäuse der Schreibgeräte fabriziert wird. Es handelt sich um Zelluloid, das zehnmal so teuer wie das Acryl der industriellen Konkurrenz und schwierig zu verarbeiten ist. Es wird in knapp zwei Zentimeter dicken Stangen geliefert, die wie Zuckerstangen von der Chilbi aussehen: bunt und schillernd. «Damit unsere Stifte so glitzern, wie ich es möchte, benutzen wir Zelluloid», sagt Aquila.

Es herzustellen, dauert ein Jahr, ein weiteres liegt es mindestens noch in Bassano zum Trocknen im Wärmeschrank, damit der Feuchtigkeitsgehalt unter zwei Prozent sinkt. Andernfalls würde es schrumpfen – inakzeptabel für Aquila. Die Zelluloid-Rohlinge werden einzeln und von Hand in eine CNC-Maschine eingespannt, die dann die Gehäuse fräst, anschliessend werden sie herausgenommen und in andere Maschinen eingelegt. Allein beim Polieren müssen sie drei Arbeitsgänge durchlaufen. Mehrere Dutzend Mal wird jeder Teil des Stifts in die Hand genommen. Die Spitze des Füllers, auf welche die Feder aufgesteckt wird, wird aus Ebonit gefräst, anschliessend unter ein Mikroskop zur Qualitätsprüfung gelegt. «Knapp 40 Prozent müssen wir wegwerfen, weil sie unseren Ansprüchen nicht gerecht werden», sagt Aquila. Jedes Schreibgerät wird von Hand montiert und noch einmal einer Qualitätsprüfung unterzogen.

Peu à peu schöner. Die Familie Aquila war bis ins Jahr 2000 Besitzer von Montegrappa, bevor der Luxuskonzern Richemont anklopfte und ein Angebot machte, das die Familie nicht ausschlagen wollte. Zuerst unter den Fittichen von Cartier, dann unter dem Dach von Montblanc, brachte die Nobelschreibgerätemarke dem Konzern allerdings keine Fortüne. Der ehemalige Richemont-Chef Norbert Platt, der den Kauf eingefädelt hatte, fragte bei einem Abendessen, ob die Familie nicht doch wieder einsteigen wolle. Die Kompetenz war vorhanden: Giuseppe Aquila hatte in der Zwischenzeit mit Tibaldi eine neue Schreibgerätemarke im Luxussegment aufgebaut, die Sondermodelle für Bentley herstellt. Sein Vater ist Besitzer eines Füllerunternehmens in Süditalien, und die ganze Familie ist seit drei Generationen mit der Produktion von Schreibgeräten beschäftigt. Richemont behielt zehn Prozent der Anteile, den Rest teilte sich die Familie Aquila, die noch den ehemaligen Formel-1-Fahrer Jean Alesi als Investor gewinnen konnte. «Ich bin fest davon überzeugt, dass es einen ständig wachsenden Mark für edle Schreibgeräte gibt», sagt Aquila. «Ab einem gewissen Alter und ab einer gewissen Position wollen Menschen wieder von Hand schreiben.»

Selbst mit einem teuren Stift in der Hand löst der Gedanke an die eigene Schrift bei den meisten Unbehagen aus. «Von Hand zu schreiben, ist gut», sagt Andreas Schenk. «Man muss es wieder lernen.» Der erste Schritt ist Selbsterkenntnis. Wer schöner schreiben will, sollte eine ganze Papierseite beschreiben und dann die Details im Schriftbild einkringeln, die das eigene Empfinden stören: die nur noch als Rudimente vorhandenen Buchstaben, die hässlichen Schnörkel, die verkrakelten Haken. «Klassische Problemfälle sind die N, M und U, die kaum noch voneinander zu unterscheiden sind», sagt Schriftexperte Schenk. Oft sind die A zu breit, und die I verschwinden komplett. In der Theorie ist der Makel leicht zu beheben. Man versucht die Buchstaben, die einem nicht gefallen, anders zu schreiben, sucht eine Handschrift, die einem zusagt, und kopiert einzelne Buchstaben. Peu à peu wird die Schrift erneuert. Und plötzlich macht es wieder Spass, statt in die Tastatur zu hacken, zum Füller zu greifen – vielleicht sogar für einen Liebesbrief.