Wenn der blaue Opel Blitz, Baujahr 1950, über die Strassen von Sylt brummt, wissen Eingeweihte: Da wird sich jemand freuen! Willy Trautmann und seine Tochter Svenja liefern nämlich gerade einen ihrer Strandkörbe aus. Ein Bild von einem Sonnensitz, von Hand geflochten und stabil bis in alle Ewigkeit. Natürlich kutschieren sie die Wertarbeit nicht nur zu Terrassenbesitzern und Restaurantbetreibern der Nordseeinsel, sondern lassen sie – per Schiff und mit modernster Logistik – bis zu ihren Kunden nach Kanada und Australien bringen. Auch das Londoner Nobelkaufhaus Harrods hat «Sylt-Strandkörbe» in die ausgesuchte Liste der Lieferanten aufgenommen – ein Ritterschlag! «Erst kürzlich haben wir einen Korb sogar nach Aserbaidschan am Kaspischen Meer ausgeliefert», schmunzelt Willy Trautmann. Man sieht ihm die Freude über die weltweite Beliebtheit seiner Ausnahmestücke an.

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Pro Jahr stehen auch rund 50 Schweizer Privatadressen auf Trautmanns Kundenliste. Die sind begeistert von den handgemachten Inselschönheiten der Nordseeküste. Seit es eine direkte Flugverbindung von Zürich nach Sylt gibt, hat sich das Westküstenmodell, das ursprünglich für den Strand entworfen wurde, auch im Alpenraum herumgesprochen. Wer das schmale Eiland mit der exklusiven Aura und den vielen riedgedeckten Häusern einmal in sein Herz geschlossen hat, kommt immer wieder in den Norden Deutschlands – trotz oder wegen der Promidichte am Strand. Bei den legendären Partys, die hier gefeiert werden, sind Strandkörbe made in Sylt unverzichtbare Accessoires.

Strandkorbflechter in dritter Generation. Nachdem Ende des 19. Jahrhunderts Wilhelm Bartelsmann in Rostock den Strandkorb im Auftrag der an Rheuma erkrankten Elfriede von Maltzahn erfunden hatte, breitete sich der geflochtene Sitz von der deutschen Ostsee- bis hin zur Nordseeküste aus. Die eigentliche Geschichte des Sylt-Strandkorbs beginnt während der Notzeit: Der Zweite Weltkrieg ist gerade vorüber, da fängt der ehemalige Soldat Paul Schardt an, auf Sylt eine Korbflechterei aufzubauen. Die Wirren jener Tage haben ihn von Bayern auf die nordfriesische Insel verschlagen.

Paul Schardt kann an den Erfolg des neuartigen Sitzmöbels, das so schön vor Wind und Wetter schützt, anknüpfen. Er entwickelt eine besondere Variante, die sich nach hinten kippen lässt, während das urprüngliche Modell starr und rundlich in der Ausführung ist. Möglich macht das ein neuartiger Beschlag, den er patentieren lässt.

Stiefsohn Willy Trautmann steigt in den siebziger Jahren nach einer abgeschlossenen Schreinerlehre in den Familienbetrieb ein. Die dritte Generation – Tochter Svenja (29) und Sohn Benjamin (22) – ist auch schon an Bord. Ebenso weitere 16 Mitarbeiter, die sommers wie winters im Süden von Sylt in vielen verschiedenen Schritten den Sonnenplatz entstehen lassen.

Zum Beispiel Cemil Mogar, genannt Jimmy. Der gebürtige Kurde hält der norddeutschen Manufaktur schon seit 31 Jahren die Treue. Er ist mit weiteren drei Korbflechtern dafür verantwortlich, dass der Korpus des Stuhls diese ganz besondere Optik erhält. Etwa einen halben Tag braucht er zum Flechten des PVC-Materials. Es ersetzt schon seit Jahren das ursprüngliche Peddigrohr, aus dem die Strandkörbe früher gefertigt wurden. Nach etwa zehn Jahren fängt der Naturstoff aus der Rattanpalme nämlich an, brüchig zu werden. Deshalb trotzen nun bieg- und flechtbare Kunststoffbänder Wind und Regen. Vorzugsweise in Weiss, das sich so schön mit den blau-weissen Blockstreifen der Polsterung zur Sommerfrische verbindet.

Apropos Blockstreifen: Die gibt es heutzutage in einer verwirrend grossen Farbenauswahl. Das klassische Muster findet sich nach wie vor auf den Stoffen, mit denen die gepolsterte Sitzfläche, die Innenwände des Korbes, die Kissen und die herausziehbaren Fussstützen bezogen sind. Aber auch Blümchen- oder maritime Designs kommen beim Strandkorb-affinen Publikum gut an. Wer sich ins Stoffkontor der Sylter Manufaktur begibt, darf sich durch 200 verschiedene wetterfeste Markisenstoffe hindurchwühlen.

Bevor sie allerdings zum Einsatz kommen, muss zunächst der Schreiner Rahmen- und Kleinteile aus Holz anfertigen. In der Taucherei werden die Markisenstoffe lasiert und witterungsfest imprägniert. Nach dem Trocknen macht sich dann der Korbflechter ans Werk. Ungefähr 500 Meter Kunststoffbänder verbraucht er, bevor der Korb entsteht. Nach dem Zuschneiden der Markisenstoffe sowie dem Polstern und Beziehen der Sitzflächen, Fussrasten und Seitenteile kann der Stuhl zusammengesetzt werden.

Preisdruck aus Fernost. Die ganze Prozedur dauert etwa acht bis zehn Stunden und erklärt den hohen Preis des Garten- und Terrassenmöbels, das eigentlich für den Strand erfunden wurde und bis heute die Nord- und die Ostsee säumt.

Mittlerweile boomen die Sommersitze weltweit. Fleissige Hände in Fernost flechten deshalb die Strandkörbe im Akkord. Aber deren Qualität lasse zu wünschen übrig und die Haltbarkeit ebenso, glaubt Willy Trautmann, der seinen handgemachten Westküstenmodellen mit eingesticktem Sylt-Logo ein Leben von 25 Jahren und mehr attestiert. Und das, obwohl sie das ganze Jahr über draussen stehen.

Was die Werkstatt von Trautmann ebenso einzigartig macht: «Manchmal erfüllen wir für Kunden auch Extrawünsche. Das können die Massenfabrikationen nicht», sagt der Nordfriese und erzählt von extrabreiten Massen, wärmenden Sitzheizungen oder eingebauten Lautsprechern, die beim Sich-Hineinsetzen mit Möwengeschrei und Nordseerauschen aufwarten.