Lagerhallen auf einem Industrieareal neben einem Bahngleis: Nichts deutet darauf hin, dass im Genfer Stadtteil La Praille auf engem Raum Kunst, Antiquitäten, Edelmetalle, Spitzenweine und andere Werte für 100 Milliarden Franken lagern sollen. Die tatsächliche Summe liegt im Dunklen. Selbst der Präsident der Betreibergesellschaft, David Hiler, kennt sie nach eigenem Bekunden nicht – und legt damit den Finger auf den wunden Punkt. Denn die «Zwischenlager für unverzollte und unversteuerte Waren« stehen vor allem für eines: Diskretion. Und die Gefahr, dass sie zur Steuerhinterziehung, Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung missbraucht werden, ist Behörden weltweit ein Dorn im Auge.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Wieder ins Rampenlicht gerückt wurden die Zollfreilager von den Panama-Papieren. Nach Bekanntwerden der brisanten Dokumente beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft im Frühjahr im Zollfreilager Genf vorübergehend ein Gemälde des 1920 verstorbenen italienischen Malers Amedeo Modigliani, um das ein Raubkunst-Rechtsstreit tobt. Auch geplünderte Antiquitäten aus Italien und der Türkei wurden dort schon sichergestellt. Und es könnten weitere antike Schätze zweifelhafter Herkunft auftauchen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit den Besitzer wechseln, beispielsweise Beutekunst aus Libyen, Syrien oder dem Irak.

Bis 2007 ausländisches Territorium

Ursprünglich eingerichtet, um Handelshemmnisse abzubauen – Waren konnten vorübergehend deponiert werden, ohne dass Einfuhrabgaben und Mehrwertsteuer fällig wurden – galten die Lager bis 2007 als ausländisches Territorium. Der Schweizer Zoll hatte nur sehr beschränkt Zutritt, was die Gebäude zu Grauzonen mit einem erhöhten Risiko für Schmuggel und andere illegale Tätigkeiten machte. Und obwohl die Regeln schrittweise strenger wurden, gibt es weiter Schlupflöcher.

Im Jahr 2014 kam die Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) zu dem Schluss, dass die Kontrolle der Lager durch die Zollbehörde unzureichend ist. Darauf wurden unter anderem die Regeln zur Dokumentation sensibler Waren verschärft. Doch was tun, wenn der angegebene Eigentümer eine Offshore-Firma ist, hinter der sich der wahre Nutzniesser verbirgt? «Bewahrt ein vermögender Deutscher seine Kunst in einem Zollfreilager in der Schweiz auf, ist es für den deutschen Fiskus nahezu unmöglich, an das gelagerte Gut heranzukommen», sagte Thomas Koblenzer, Steueranwalt aus Düsseldorf.

Kampf gegen Geldwäsche

Behörden und Lagerbetreiber sind sich des Reputationsrisikos offenbar bewusst. «Die Schweiz sollte nicht darauf warten, unter Druck zu kommen», sagte Laurent Cremieux, der bei der EFK die Analyse der Zollfreilager leitete. Das könnte durchaus drohen. Die der Industrieländer-Organisation OECD angegliederte Financial Action Task Force (FATF), die sich seit 1989 auf internationaler Ebene dem Kampf gegen die Geldwäsche widmet, statte dem Genfer Zollfreilager dieses Jahr einen Besuch ab und dürfte demnächst ihre Einschätzung veröffentlichen.

Der Genfer Staatsanwalt Claudio Mascotto schlägt vor, Zollfreilager als eine Art Finanzintermediär einzustufen. Dann müssten diese die wirtschaftlich Berechtigten der gelagerten Waren kennen und erfassen. «Sie sollten, wie Banken, dazu verpflichtet werden, jede verdächtige Transaktion zu melden.»

Weiteren Rufschädigungen vorbeugen

Das Zollfreilager Genf geht bei der Kontrolle von sich aus inzwischen weiter als es von Gesetztes wegen müsste, um einer weiteren Rufschädigung vorzubeugen. «Wir wissen, dass Plünderungen in der Vergangenheit geholfen haben, Terrorismus zu finanzieren» sagte Präsident Hiler. «Um zu verhindern, dass so etwas etwa mit der Extremistengruppe Islamischer Staat (IS) wieder passiert, haben wir entschieden, hereinkommende Antiquitäten ab dem 19. September systematisch zu kontrollieren.»

Das 1888 gegründeten Lager gehört mehrheitlich dem Kanton und verfügt in La Praille und am Flughafen Genf insgesamt über knapp 52'000 Quadratmeter Lagerfläche. Der überwiegende Teil davon ist an Dritte vermietet und der Betreiber hat keinen Zugang dazu, wie Hiler betont. Genf ist das grösste von zehn Zollfreilagern in der Schweiz.

Lagerstätte für Kunstinvestments

Allerdings machen nicht ausschliesslich zweifelhafte Gründe die Lager interessant. Denn Kunst, Antiquitäten und andere Sachwerte sind in Zeiten von Negativzinsen, turbulenten Finanzmärkten und politischer Unsicherheit als Wertanlage gefragt - und wollen fachgerecht gelagert sein. Darauf sind Zollfreilager, die im Sog des Kunstbooms ab 2010 weltweit entstanden, spezialisiert. So findet man in Genf beispielsweise drei Millionen Flaschen Spitzenwein, tief unter der Erde gelagert unter optimalen Bedingungen, geborgen von dicken Mauern und elektronisch gesicherten Türen.

Die wirtschaftliche Bedeutung des Zollfreilagers für die Region Genf ist zu einem guten Teil der Kunstszene geschuldet: Die bedeutende Kunstmesse Art Basel und die in Genf angesiedelten Auktionshäuser bauen darauf. Daneben fällt der Geschäftsertrag – im Vorjahr betrug der Umsatz 25 Millionen Franken - praktisch nicht ins Gewicht. Wichtig ist Transparenz Präsident Hiler zufolge auch, weil die Konkurrenz etwa in Singapur, Monaco, Luxemburg und Peking diesbezüglich zum Teil bereits besser aufgestellt ist.

(reuters/me)