Ausgerechnet Donald Trump könnte die seit Jahren stockenden Bemühungen um eine gemeinsame Militärpolitik der EU-Staaten in die Gänge bringen. So jedenfalls lassen sich die ersten Schritte interpretieren, die in der Europäischen Union nach der Wahl des Milliardärs zum neuen US-Präsidenten und dem sich abzeichnenden EU-Austritt Grossbritanniens unternommen wurden.

Denn zuvor waren die europäischen Initiativen in Fragen der Sicherheit eher übersichtlich, wie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker einst mit bissiger Ironie bemerkte: «Wenn ich mir die gemeinsame europäische Verteidigungspolitik anschaue, dann ist ein Hühnerhaufen eine geschlossene Kampfformation dagegen.»

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«Trump-Chance Europas»

Bei ihrem Gipfel Mitte Dezember verabredeten die Staats- und Regierungschefs der EU zumindest erste Massnahmen, damit sich dieser Eindruck in Zukunft ändert. So sollen ein Hauptquartier zur Planung ziviler und militärischer Einsätze und ein gemeinsamer Verteidigungsfonds geschaffen werden. Die Massnahmen waren schon länger geplant, doch Trumps Wahlsieg hat die Europäer mehr denn je zu einer stärkeren Eigeninitiative in Fragen der Sicherheit bewegt. Manche Beobachter wie der EU-Experte und Politologe Werner Weidenfeld sprechen deshalb von einer «Trump-Chance Europas».

Hinzu kommt das Votum der Briten für einen Austritt aus der EU. Die britische Regierung hat bisher auf der Bremse gestanden, weil sie Parallelstrukturen zur Nato befürchtete. Jetzt bestärken Brexit-Befürworter wie Aussenminister Boris Johnson die EU indes darin, mehr für die eigene Sicherheit zu tun.

Was passiert mit der Nato-Bestandspflicht?

Vor allem in den baltischen Staaten ist die Nervosität wegen Trumps Amtsantritt und seiner Annäherung gegenüber Russlands Präsident Wladimir Putin hoch. Die Interview-Äusserungen Trumps, die Nato sei obsolet, hat laut Bundesaussenminister Frank-Walter Steinmeier Besorgnis bei Mitgliedsländern der Militärallianz ausgelöst. Schon während des Wahlkampfs sorgte der Kandidat der Republikaner mit seinen Andeutungen für Irritation, im Angriffsfall nicht automatisch den Bündnisfall der Nato nach Artikel 5 auszurufen. Trumps Aussenminister Rex Tillerson sagte bei seiner Senatsanhörung allerdings, die vereinbarte Nato-Beistandspflicht sei «unantastbar.»

Auch wegen solch unterschiedlicher Signale bleibt abzuwarten, wie schnell sich die EU in der Verteidigungspolitik tatsächlich neu aufstellt. Denn die Vereinbarungen müssen auch finanziell umgesetzt werden. Insbesondere südeuropäische Länder stehen angesichts hoher Schuldenberge und Jugendarbeitslosigkeit womöglich eher auf der Bremse als Staaten in Osteuropa, in denen eine Bedrohung durch Russland allein schon aus geografischen Gründen ein grosses Thema ist.

Reichlich spät

Für manche Experten kommen die Massnahmen der EU so oder so reichlich spät. So seien die Europäer nicht in der Lage, sich gegen Russland zu verteidigen, wenn die USA ihre Sicherheitszusagen für den Kontinent abschwächten, kritisiert etwa Judy Dempsey von dem Forschungsinstitut Carnegie Europe in einem Beitrag für die «Washington Post»: «Trotz aller Lippenbekenntnisse der EU-Staats- und Regierungschefs, Sicherheit, Verteidigung und den Austausch von Geheimdienstinformationen zu stärken, haben sie doch wenig unternommen, um irgendeine dieser Zusagen glaubwürdig zu machen.» Diese Versäumnisse lassen sich Dempsey zufolge auch an den jüngsten Anschlägen in Europa festmachen.

(reuters/ccr)