Eine Präsidentenwahl in den USA ist an sich schon kompliziert, denn statt einer einzigen, landesweiten Abstimmung werden die Urnengänge in jedem Bundesstaat getrennt abgehalten und gewertet. Auf dieser Grundlage werden 538 Wahlleute bestimmt - Sieger ist, wer mindestens 270 von deren Stimmen erhält. Das System zwingt die Kandidaten zu einem taktischen Wahlkampf: Einige Staaten sind für sie so sicher und müssen nicht gross umworben werden. In anderen - den «Swing States» - wird die Wahl entschieden. Dort geben die Kandidaten vor allem im Endspurt alles.

In diesem Jahr ist es angesichts der starken Polarisierung besonders schwierig, verlässliche Prognosen zu erstellen. Wahlforscher beklagen die ungewöhnlich hohe Zahl unentschlossener Wähler, was die Vorhersagen erschwere. Die Statistik-Website FiveThirtyEight machte am Samstag 13 Prozent der US-Bürger aus, die sich noch nicht entschieden hätten oder für einen dritten Kandidaten stimmen wollten. Dieser Anteil lag vor vier Jahren bei nur drei Prozent.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

«Must-wins» gewinnen, «Firewalls» niederbrennen

Als Folge werden in diesem Jahr ungewöhnlich viele Staaten von den Experten als Swing States eingestuft. Nate Silver, Chefredakteur von FiveThirtyEight, sprach von «mindestens einem Dutzend Staaten, in dem der Ausgang noch unsicher ist».

Um sich einen Überblick zu verschaffen, werden verschiedene Modelle angewandt. Nach einem der geläufigsten muss der Republikaner Donald Trump in vier Swing States zwingend gewinnen. Seine «Must-wins» sind Florida (29 Wahlleute), Ohio (18), North Carolina (15) und Iowa (6). Mit ihnen hat er zwar noch nicht gewonnen, so die Analysen. Aber ohne sie kann er kein Präsident werden.

Umgekehrt muss Hillary Clinton den Planspielen zufolge ihre Führung in sechs der Swing States Staaten verteidigen, um ins Weisse Haus einzuziehen - sie bilden ihre «Firewall», die «Brandschutzwand». Das Magazin «Vox» listete Ende vergangener Woche Pennsylvania (20 Wahlleute), Michigan (16), Virginia (13), Wisconsin (10), Colorado (9) und New Hampshire (4) auf. Jeder gewonnene Staat darüber hinaus wäre für die Demokratin demnach Ergebniskosmetik.

Die «Tipping Points» kippen

Am Wochenende lag Trump den Umfragen zufolge in Ohio und Iowa vorn, in Florida und North Carolina bestand faktisch ein Patt. Der Geschäftsmann hätte damit seine Pflichtstaaten zwar nicht sicher, aber in Reichweite. Clintons Brandschutzmauer bröckelte zwar nach einigen Erhebungen zumindest in New Hampshire. Allerdings lag die ehemalige Aussenministerin dafür in Nevada (sechs Wahlleute) unerwartet gleichauf mit dem Republikaner. Zusammengenommen erklärt diese Darstellung, warum der Demokratin zwar die grösseren Wahlchancen eingeräumt werden, ihr Sieg allerdings nicht als sicher gilt.

Um die Bedeutung der einzelnen Staaten noch besser zu erfassen, berechnet FiveThirtyEight zusätzlich deren «Tipping Point Chance», die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bundesstaat im Wahlkolleg die entscheidenden Stimmen liefert. An der Spitze steht dabei mit Abstand Florida (knapp 19 Prozent) gefolgt von Pennsylvania, Michigan und North Carolina (je etwa elf Prozent). In der Wahlnacht werden das die Staaten sein, deren Ergebnisse mit der größten Spannung erwartet werden.

Bitte warten: «Too Close To Call»

Wie die Wahl in den einzelnen Staaten verläuft, hängt jedoch auch von vielen, zum Teil regionalen Faktoren zusammen. Einer Analyse von CNN zufolge verliert Clinton in North Carolina und Florida mit ziemlicher Sicherheit, wenn Afroamerikaner der Wahl in unerwartet grosser Zahl fernblieben. Sollten die Hispanics zu Hause bleiben, könnte das Trump in Arizona, Colorado, Florida, Nevada und New Mexico zum Sieg verhelfen.

Dass ausgerechnet in Florida und North Carolina das Ergebnis nicht absehbar ist, könnte auf eine lange Wahlnacht hindeuten. Dann würden die US-Fernsehsender das Ergebnis in einigen der wichtigsten Staaten auf Stunden hinaus mit «Too Close To Call» angeben müssen - noch keine Vorhersage möglich.

(reuters/ccr)

Wie das US-Wahlsystem funktioniert, sehen Sie im Video: