Der Trend zum Elektrovelo kennt kein Bremsen. Was aber die Ästhetik der Modelle anbelangt, kommt selten jemand ins Schwärmen. Wer auf Stil Wert legt, freut sich über die Renaissance des Stadtvelos, das mehr als nur ein Transportmittel sein will. In gewissen Fällen kann man gar vom Fahrrad als Mode-Accessoire sprechen.

Der Retro-Look bei den Zweirädern ist dieser Tage besonders auffällig. Schnörkelloses Design, Ledersattel und geschickt versteckte Technik: Das Vintage-Bike zeigt seine fidele Individualität ganz unverhohlen. «Viele unserer Kunden legen grossen Wert auf ihren Kleidungsstil», sagt Nils Schaub, Gründer des auf Vintage-Velos spezialisierten Geschäfts Single Speed Bicycles in Basel. «Sie sind zwischen 20 und 40 Jahre alt und arbeiten überwiegend in den Bereichen Werbung, Grafik, Kunst und Architektur. Aber wir haben auch Versicherungsvertreter als Kunden. Was alle gemeinsam haben, ist ein Flair für den klassischen Stil und die Liebe zur soliden Handarbeit. Vor allem wollen sie aber als Individualisten gesehen werden.»

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Schweizer Marken für Kenner
Die Vintage-Szene wird von Marken aus England (zum Beispiel Pashley) und Deutschland (Retrovelo) dominiert. Doch auch in der Schweiz gibt es mehrere Hersteller, die als Geheimtipp unter Kennern einen hervorragenden Ruf geniessen. Single Speed Bicycles verkauft unter der eigenen Marke Vintage Cycles die Modelle Sportster, Roadster und Single Speed. Die nüchtern wirkenden Zweiräder sind ganz im Stil der 1930er Jahre gehalten.

Der Zürcher Konkurrent Zweiradgeber setzt auf vier verschiedene Modelle, die ebenfalls in der eigenen Werkstatt gebaut werden: Max und Moritz für Herren, Marlene und Martha für Damen. Und in St. Gallen baut Ibex, eine Schwesterfirma von Cresta, mehrere Modelle – Easy, Sunny Day und Lazy Day –, die das Herz von Vintage-Fans höher schlagen lassen. Westschweizer Freunde des Retrostils kommen um eine Reise über die Saane nicht herum.

«Vintage-Velos finden immer mehr Anhänger, aber nicht jedes Modell kann voll überzeugen», meint Nils Schaub. «Der Grund, dass wir unsere eigenen Produkte entwickelt haben, war der Mangel an guten Alternativen. Ein Stilbruch, den man oft sieht, ist das Verwässern des Retro-Charakters mit viel zu auffälligen modernen Elementen. Für uns ist es unabdingbar, die Technik möglichst diskret zu halten.»

Ein LED-Licht mit Batterie mag weniger schweisstreibend sein, passt aber nicht zum Stil dieser Velos. Kein Wunder also, dass der in den Zwischenkriegsjahren in England erfundene, in die Radachse integrierte Dynamo immer beliebter wird. Das System ist viel effizienter als das gängige, vom Pneu angetriebene Modell und entwickelt genauso genügend Strom für das für die Sicherheit nötige helle Licht.

Die Essenz des Vintage-Stils ist die Einfachheit, die Beschränkung auf das Wesentliche, ganz im Kontrast zu den Sportfahrrädern mit ihrer farbigen Modernität. «Der Trend zur Einfachheit hat seinen Ursprung bei den Velokurieren, die ihre Fahrräder auf das nackte Minimum strippten», sagt Miro Kondres, Inhaber von Zweiradgeber. Gute Beispiele dazu sind die Single-Speed-Räder mit nur einem Gang oder die Fixies mit ihrer starren Übersetzung. «Diese Geradlinigkeit hat das Design tief greifend beeinflusst.»

«Viele Städter, die sich ohne weiteres ein Auto leisten können, kommen darauf, dass das in Zürich oder Basel nicht viel bringt», sagt Kondres. Diese Leute setzen vielmehr auf den öffentlichen Verkehr und halten sich ihre Optionen mit Carsharing à la Mobility offen. «Und sie entdecken das Velo neu als Transportmittel. Diese Stadtbewohner gönnen sich ein Modell mit bester Präsentation.» Nicht selten kauften sie sich für jeden Einsatzbereich ein Velo: eines für die Überlandfahrt, ein Mountainbike und ein Stadtvelo. Besonders für die Stadtfahrten stehen Eleganz und Praxisnutzen ganz oben auf der Checkliste.

Kleider machen Leute
Die stilvollen Fahrräder mit ihrem Look aus den Goldenen Zwanzigern kosten mehr als ein Normalvelo. Ob als Citybike oder als Renner: Das Vintage-Fahrrad will vor allem als Modeausdruck verstanden sein. Entsprechend liegt es dem Eigner am Herzen, den Look mit stilgerechten Accessoires zu komplettieren. Und die Auswahl ist riesig. Die Tweedstoffe von Nigel Cabourn und Vestons von Buttero oder vom japanischen Label Pedaled vereinen mit ihrem dem vorgebeugten Velofahrer angepassten Schnitt Eleganz und Nützlichkeit. Die längeren Ärmel decken die Handgelenke, und die lockere Schulterpassung verhindert die Rückenspannung beim Vorlehnen zur Lenkstange. Es muss auch niemand aufs Helmtragen verzichten: Die Berner Marke Ribcap verkleidet den Kopfschutz mit einer Art verstärkter Haubenkappe.

Der klassische Velofahrerstil findet übrigens immer mehr Nachahmer und wird dadurch auch erschwinglicher. Zwei gute Beispiele sind die Linien Commuter von Levi’s und Brick Lane Bikes von H&M. Es gilt jedoch auch, Zurückhaltung zu üben. Wer es mit Verführungen wie Lederhandschuhen (Chiba), Schuhen (Marresi) oder Tricots (Café du Cycliste) übertreibt, läuft nämlich Gefahr, etwas verkleidet zu wirken.

Die zweite augenfällige Entwicklung bei den Fahrrädern für die Stadt setzt ebenfalls auf einfache, klare Linien, in Kombination mit einem jugendlichen Geist, der sich auch in starken Farben äussert. Ein bunter Pneu und farblich passende Felgen haben Signalwirkung und helfen dem Besitzer, sich von der grauen Masse der übrigen Velofahrer abzuheben.

Die Freiburger Marke Scott Sports (einst Scott USA) zielt genau auf diese Marktlücke. «Wir waren bisher auf Hochleistungsvelos für Strassenrennen und auf Mountainbikes spezialisiert», erklärt Marketingleiter Reto Aeschbacher. «Aber dann haben wir gemerkt, dass unser Zielpublikum auch ein Modell für die Stadt wollte. Wir haben auf einen urbanen, jungen Stil gesetzt, mit simplen Linien und starken Farben.» Natürlich können auch diese Modelle mit Schutzblechen und Gepäckträgern versehen werden, aber sie sind doch viel leichter und graziler in ihrer nackten Form. Bei Regen und Schnee ist der Kunde dann gut beraten, auf Tram und Bus auszuweichen.

Ohne Ölen ins Büro
Zwar dreht sich vieles ums Design, aber die Technik sollte nicht ausser Acht gelassen werden. Eine der wichtigsten Innovationen ist der Ersatz der Kette durch einen Zahnriemen aus kohlefaserverstärktem Kunststoff. Dieser braucht keine Pflege und widersteht Angriffen von Nässe oder Streusalz problemlos. Vor allem aber kommt der Zahnriemen ohne Öl aus, was ein Kaufkriterium für den Geschäftsmann sein kann, der ohne Flecken auf dem Hosenbein das Büro erreichen will.

Diese Technik verträgt sich allerdings nicht mit dem gängigen Umwerfer. Lebt man nicht in einer ebenen Stadt und will man sich nicht mit einem einzigen Gang begnügen, dann bleibt einem nur die Wahl einer Nabenschaltung, die das Schaltwerk in der Radachse versteckt. Das ergibt eine optisch saubere Lösung, die auch den Retromodellen gut steht.

Moderne Fahrräder verfügen schon recht häufig über Scheibenbremsen. Sie finden mit ihren überlegenen Eigenschaften bei Nässe oder Schnee mehr und mehr Zuspruch. Scheibenbremsen brauchten aber auch Pflege, warnt Miro Kondres. Eine weitere moderne Innovation ist die automatische Gangschaltung, die entweder elektronisch gesteuert werden kann (NuVinci, TranzX) oder rein mechanisch (SRAM).

Ob im Retrostil oder rassig modern: Die neuen Stadtvelos finden viele Freunde. Und es gibt sie in schier unendlich vielen Variationen. Die auf Individualisierung spezialisierte Firma Ibex in St. Gallen bietet mehr als 2,5 Millionen Kombinationen, wie man sein Traumvelo zusammenstellen kann. Interessenten sollten also viel Sitzfleisch mitbringen, bevor sie sich hinter dem Computerbildschirm zur Konfiguration niederlassen. Einfacher ist es, in die schicke Veloboutique zu gehen und sich vor Ort von den angebotenen Modellen verführen zu lassen.