Von Prof. Dr. med. Oswald Oelz Chefarzt für Innere Medizin am Triemli-Spital in Zürich und leidenschaftlicher Extrembergsteiger

Temperamentlos spiele der Pianist Alfred Brendel, so meinte ich früher, langweilig seien seine Interpretationen der mozartschen Klavierkonzerte. Leute, die mehr von Musik verstehen als ich – und dafür muss man nicht sehr viel verstehen –, nannten mich schon damals zu Recht einen Banausen. Am 15. Juni spielte der 71-jährige Brendel in der Zürcher Tonhalle Mozart, Schubert und Brahms. Er war jung, vital und gleichzeitig verklärt und, wie die NZZ schrieb, «mehr denn je das herausragende Konzertereignis». Dieser vergeistigten und vulkanischen Interpretation wurden Standing Ovations zuteil, ich durfte meine unreflektierte Einschätzung korrigieren. Das Grösste dabei: «Brendel trat hinter seine Interpretation zurück, es blieb der Nachhall des Klangs von Mozart, Schubert, Brahms.» Er tritt also zurück, nicht er ist wichtig, sondern das Werk, so wie beim alten Bach (mit 65 war man damals schon sehr alt), der nur noch vor den Thron seines Gottes treten wollte, oder wie bei Beethoven, der, wie Thomas Mann meint, mit dem zweiten Satz von Opus 111 einfach alles gesagt hat.

Altern ist also für Künstler kein Problem, sondern Steigerung, Verklärung. In Gottfried Benns vielschichtigem Essay zu diesem Thema zitiert er den östlichen Meister Hokusai: «Alles, was ich vor dem 73. Lebensjahr geschaffen habe, ist nicht der Rede wert. Gegen das Alter von 73 Jahren ungefähr habe ich etwas von der wahren Natur der Tiere, der Kräuter, der Fische und Insekten begriffen. Folglich werde ich mit 80 Jahren nochmals Fortschritte gemacht haben, mit 90 das Geheimnis der Dinge durchschauen, und mit 110 wird alles von mir, sei es auch nur ein Strich oder ein Punkt, lebendig sein.» Die verklärten Künstler werden verklärter, die Erleuchteten erleuchteter, selbst Peter von Matts Texte werden neuerdings auch für Nichtgermanisten verständlich.

Wie anders scheinen da Manager zu altern: Die Gierigen werden gieriger, die an der Macht Klebenden klebriger, und die Erschöpften brennen endgültig aus. Sie ruinieren noch Konzerne, bevor sie zur Reparatur von Lokomotiven nach Tansania reisen, und vernichten Altersguthaben vor dem Rückzug auf die Pferderanch. Aber zumindest gibt es für sie noch die Kontrolle des Marktes, der Presse und der Aktionärsversammlung, die den Spuk gelegentlich beenden. Und sie haben ja im Allgemeinen nur Geld vernichtet und nicht Leben wie die Weltbeweger, die Fundamentalisten, die Politiker.

George Bernard Shaw hält fest, dass alte Männer gefährlich seien, da ihnen – wahrscheinlich dachte er an Politiker – die Zukunft gänzlich gleich sei. Die Welt lässt geschehen, dass Robert Mugabe ein ehemals paradiesisches Land in bitterste Not treibt, sie beobachtet tatenlos das mörderische Duell der alten Betonköpfe Sharon und Arafat. Sie scheinen aller Kontrolle entronnen wie der römische Papst, der institutionalisiert immer Recht hat und Diskriminierung und Intoleranz zum System erhoben hat. Altersweisheit vermag man also bei alternden Weltenlenkern nicht auszumachen; die Garstigen werden garstiger und nehmen Volk und Hofstaat in den Untergang mit wie weiland gewisse orientalische Potentaten, die Frauen, Gesinde, Minister und auch ihre Leibärzte mit ins Grab nahmen – wenigstens hier etwas ausgleichende Gerechtigkeit.

Gewiss werden nicht alle Intellektuellen weiser, auch die künstlerische Produktivität hat ihre Brüche. Auch brennen nicht alle Manager aus und sind nicht alle alten Politiker erstarrt; man denke an Nelson Mandela oder Richard von Weizsäcker. Auch brennen alternde Kreative nicht ewig; Hemingway setzte nach der Flasche sein doppelläufiges Gewehr an, andere Weise nur noch die Flasche. Trotzdem aber finden in der Kunst die Dinge irgendwann ihren Platz. Erinnern Sie sich an das Ende des «Amadeus»-Filmes? Der mittelmässige Salieri fährt zu den Klängen des zweiten Satzes von Mozarts Klavierkonzert Nr. 20 im Rollstuhl durch die Irrenanstalt und grüsst die Mittelmässigkeit – er ist gelandet. Van Gogh endete im Wahnsinn, verkaufte zu Lebzeiten nie ein Bild und residiert heute im Olymp. Wollen wir hoffen, dass auch die Scheusale der Politik dort braten, wo sie hingehören. Aber eigentlich ist das dann viel zu spät. Wir sollten viel früher den Verrücktesten das Handwerk legen und die Verklärten zum Zuge kommen lassen. Ich fordere: Brendel for President!
Partner-Inhalte