Neuseelands Südinsel sollte man mit der Fähre ankreuzen. Nur so kommt man in den Genuss der atemberaubenden Landschaft. Wie ein mehrfach belichtetes Negativ schieben sich die Berge der Marlborough Sounds im Abendlicht übereinander. Mit zunehmender Nähe und Finsternis werden sie zu bedrohlichen Echsen, die mit ihren bewaldeten Flanken schwer in die Fjorde sinken. Am Hafen von Picton wartet bei einbrechender Dunkelheit Georg Fromm. Er fährt die Besucher ins dreissig Minuten entfernte Blenheim, ins Gästehaus seiner Fromm Winery.

Am andern Morgen wachen wir mitten in den Reben auf. Der Himmel ist weit und blau wie fast immer im neuseeländischen Sommer. Ein heftiger Wind rüttelt an den Rebstöcken. Der Boden ist ausgetrocknet, seit Monaten hat es nicht mehr geregnet. Die Weinberge müssen bewässert werden. Georg Fromm befindet sich schon in der benachbarten Winery. Das schlichte Gebäude zeugt vom Gespür für gute Architektur. Georg probiert mit seinem Winemaker Hätsch Kalberer, einem gebürtigen Melser, die Pinot noir des Jahrgangs 2000. Das Jahr hat elegante, subtile Weine hervorgebracht. Sie ruhen noch in den Barriques.

Georg Fromm muss die Zeit in Marlborough, dem grössten Weinanbaugebiet der Insel, nutzen. Sechs Wochen nur beträgt sein Aufenthalt. Dann geht es wieder nach Hause, zurück nach Malans in die Bündner Herrschaft. Zusammen mit seiner Frau Ruth bewirtschaftet er dort das vier Hektar grosse Familienweingut. Fromm gehört zu den Winzern, die auf beiden Seiten der Erdkugel Wein erzeugen. Diese sind so rar wie die Mauritius-Briefmarke.

Begonnen hat Fromms Neuseelandabenteuer Anfang der Neunzigerjahre. Auf den Spuren eines ausgewanderten Vorfahren bereiste die Familie damals das Land und kam in Kontakt mit neuseeländischen Weinerzeugern, die ihr eine Zusammenarbeit anboten. Vom Trip heimgekehrt, bedachten sie das Angebot, suchten fürs heimische Weingut einen Verweser und verabschiedeten sich.

Drei Jahre widmete die Familie in Blenheim dem Aufbau des Weinguts. Dann zog es Georg und die beiden Buben Fromm wieder heimwärts – Ruth Fromm und Tochter Piera mussten sich dem Verdikt der Männer beugen. Heute fliegen die Eltern abwechslungsweise in ihre zweite Heimat. Georg meist vor der Ernte, wenn die letzten Weichen für einen neuen Jahrgang gestellt werden. Beide sehen sich aber nach dem Schulabschluss ihrer Kinder wieder für längere Zeit in Neuseeland.

Fromms Weingut trägt den Namen «La Strada», leicht auszusprechen in jeder Sprache und ein Lebensmotto seiner Gründer. Neue Wege ging die Familie denn auch mit ihren Kiwi-Weinen. Marlborough war damals zur Hauptsache ein Weissweingebiet. Dem knackig-frischen, fruchtbetonten Sauvignon blanc verdankte die Neuseeländer Weinwirtschaft ihren Aufstieg. Fromm freilich setzte weniger auf weisse als auf rote Rebsorten. Er pflanzte Syrah, Malbec, Merlot, Cabernet Sauvignon und vor allem Pinot noir, diese exzentrische Diva unter den Rotweinsorten. Den Umgang mit ihr war er sich von Malans her gewohnt. Warum sollen in Marlborough mit seinem fantastischen Klima nicht auch aromatische, gut strukturierte Rotweine mit frischer Frucht, saftiger Säure und reifen Gerbstoffen erzeugt werden können, fragte er sich.

2500 Stunden beträgt in Blenheim die durchschnittliche Sonnenscheindauer pro Jahr. Willkommene 120 Tage die Reifezeit für den Pinot noir. Beides sind Werte, von denen man in der Bündner Herrschaft nur träumen kann. Und schliesslich kühlt es auch im Sommer nachtsüber empfindlich ab. Die Traubenbeeren danken es mit konzentrierterer Aromatik.

Die La-Strada-Weine machten rasch Furore. Die beiden Pinot noir – der robuste, kräftig strukturierte, lagerbedürftige Wein vom steinigen Fromm Vineyard und das duftige, verspielte, zugänglichere Gewächs vom lehmigeren Clayvin Vineyard – gehören zur Elite dieser mittlerweile in Neuseeland hoch im Kurs stehenden Königssorte.

Der Erfolg ist erklärbar: Georg Fromm kam mit solider Winzerausbildung und Erfahrung nach Neuseeland. Er pflegte die Rebberge wie ein Gärtner und nicht im auf Massenproduktion angelegten Weinfarming-Stil seiner neuseeländischen Kollegen. Strenger Winterschnitt, sorgfältige Laubarbeiten und kompromisslose Ertragsbegrenzung schufen die Voraussetzung für Topweine. Was Fromm in Neuseeland an rebbaulichem Wissen weitergeben konnte, erhielt er in Form von kellertechnischem Know-how zurück. Die neuseeländischen Weintechniker sind mit allen Wassern der modernen Önologie gewaschen. Georg, so bodenständig wie neugierig, sog begierig auf, was in sein klassisch-burgundisches Konzept des Weinmachens passte.

Noch heute spielt in Neuseeland schnell in der ersten Liga, wer einen gewissenhaften Rebbau betreibt. Diese Erfahrung teilt auch der Zürcher Winzer Hans Herzog. Als er Ende 1999 mit seiner Frau Therese die Schweiz Richtung Neuseeland verliess, trauerte eine grosse Fangemeinde: Die beiden hatten den Wülflinger «Taggenberg», Restaurant wie Weingut, zu einer hervorragenden Gourmetadresse gemacht. Neuseeland mit seiner grandiosen Natur und dem weniger reglementierten Leben übte aber immer eine starke Faszination aus – seit 1982 hatte das Paar das Land regelmässig bereist, und stets war auch das Auswandern ein Thema. Nun haben die Herzogs ihren Emigrationsplan realisiert. Nicht weniger als sieben Container wurden an Weihnachten 1999 auf ihrem 1996 erworbenen Grundstück in Marlborough, ein paar Kilometer entfernt von der Fromm Winery, hingestellt.

Ein gutes Jahr später muss man die zwei nicht fragen, ob sie ihren Entschluss je bereut haben. Therese hat zusammen mit ihrem aus der Schweiz mitgebrachten Küchenchef Luis Schindler in Rekordzeit ein Restaurant etabliert, das gastronomisch wie innenarchitektonisch landesweit den Massstab setzt und die kulinarisch eher unbedarften Kiwis sprachlos macht. Hans holte aus seinem noch jungen Rebberg einen fulminanten Jahrgang 1998. Sein «Spirit of Marlborough» aus Merlot, Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Malbec vereint mineralische Würze, Kraft und Finesse und profilierte sich auf Anhieb als einer der schönsten neuseeländischen Weine im Bordeaux-Stil. Und mit dem singulären «Montepulciano» schuf er die Kiwi-Variante eines grossen Italieners.

Dabei hat die Fortüne die Herzogs nicht verändert. Therese tritt so selbstsicher und jovial auf wie ehedem. Und auch Hans ist noch der Alte: etwas ungelenk und scheu, aber mit Kraft für zwei. Doch Schalk und Freude blitzen häufiger in seinen Augen auf. Die Natur bringt einen Winzer wie ihn ins Schwärmen. «Du hast hier so schönes, sauberes Traubengut ohne eine einzige faule Beere wie nie in der Schweiz», jubelt er. Künstliche Konzentrationsmethoden seien deshalb unnötig, und filtrieren müsse er den Wein vor der Abfüllung nicht.

Andreas Rihs schlägt sich beruflich nicht mit Gärtanks, Barriques und Abfüllanlagen herum. Sein Gebiet ist weniger die Nase des Weindegustators als das Ohr der Hörbehinderten. Rihs ist Mitbegründer und heutiger Verwaltungsratspräsident der Stäfner Hörhilfenherstellerin Phonak. Phonak steht für eine der frappantesten Erfolgsstorys der jüngeren Schweizer Industriegeschichte. Sie hat Rihs vermögend gemacht und ihm die Möglichkeit geschenkt, sich auch an anderen Fronten zu engagieren. So gehört dem passionierten Radfahrer die Velofabrik BMC in Grenchen, und er steht hinter der Lancierung des Elektrobikes Flyer. In den USA besitzt er eine Farm mit Rinderzucht, und in Lachen steht an bester Seelage sein Hotel Al Porto.

1997 kam auch noch ein Weingut dazu. Nicht, dass Rihs zu den Connaisseurs gehören würde, die ihre Premiers Crus kistenweise horten. Er trinkt einfach gern mal ein Glas Wein und hält sich mit Vorliebe in schönen Landschaften auf, was Weingebiete ja meistens auch sind. Auf einer Busreise durch Neuseeland vor gut zwanzig Jahren kam er mit der dortigen, damals noch unterentwickelten Weinszene in Berührung. Ein Glas Kiwi-Chardonnay schmeckte ihm überraschend gut. Jahre später brachte ihn ein Phonak-Repräsentant in Neuseeland mit Rex Brooke-Taylor zusammen, der seine Ingenieurlaufbahn aufgeben hatte und in Marlborough zunächst als Traubenanbauer, dann als Weinproduzent die Weinkellerei Framingham aufgebaut hatte.

Rihs und Brooke-Taylor, beides gradlinige Unternehmer, waren sich sympathisch. Der Neuseeländer konnte den Schweizer vom Entwicklungspotenzial des heimischen Weinmarktes überzeugen. Rihs fackelte nicht lange und stieg als Mehrheitsaktionär ein. Eine moderne, effiziente Kellerei wurde gebaut, und neuerdings kamen um ein ausgetrocknetes Flussbett des Wairau-River 150 Hektaren noch unerschlossenes Rebland hinzu. Mit Erdbewegungsmaschinen so gross wie Rieseninsekten wird zurzeit das Gelände für die Neupflanzungen vorbereitet. Framingham will sich profilieren als Spitzenproduzent für frisch-fruchtige, aromatische Weissweine aus Sauvignon blanc, Riesling und Gewürztraminer. Daneben sollen Pinot noir und Merlot konkurrenzfähig werden. Rund 700 000 Flaschen werden heute schon erzeugt, 1,5 Millionen sollen es in zehn Jahren sein.

Ob dabei die niedrige Bepflanzungsdichte von 2000 Rebstöcken pro Hektare dem hohen Ziel dienlich ist, ist umstritten. Sie ermöglicht zwar eine effiziente, maschinelle Bewirtschaftung, verkürzt die Bepflanzungszeit und senkt die Bepflanzungskosten (in Neuseeland sind Rebstöcke Mangelware und müssen bis zwei Jahre im Voraus geordert werden). Doch im Qualitätsweinbau setzt man gewöhnlich auf eine hohe Stockdichte. Sie fördert die gegenseitige Konkurrenz unter den Pflanzen und führt zu tieferen Erträgen. Andreas Rihs ist gross geworden mit der Kapitalisierung von Wissen und der Förderung kompetenter Leute. Er wird sich gewiss auch in diesem für ihn noch neuen Feld durchsetzen.

Mit Fromm, Herzog und Rihs haben drei Schweizer Winzerfamilien oder Investoren in Neuseeland ihr önologisches Glück gefunden. Sie kamen nicht nur der Landschaft und des Klimas wegen. Sie kamen vor allem, weil Neuseeland am Anfang einer viel versprechenden Weinzukunft steht. Die Kiwi-Weine haben ihre Tour um den Erdball erst begonnen.
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