BILANZ: Kaum zwei Wochen nach der Eröffnung des Exportförderstandorts brachen die Unruhen aus. Dumm gelaufen?
Mehmet Yildirimli: Nein, es war perfektes Timing.
Wie bitte?
Zum Glück konnten wir den Standort noch vorher eröffnen, sonst hätten wir niemals so ein starkes Medienecho gehabt.
Das Geschäft läuft jetzt aber wohl weniger gut?
Nein, wenn ich in meinem Büro in Istanbul aus dem Fenster schaue, arbeiten die Leute. Geschäftszentren, Hotelanlagen und Häfen werden gebaut. Die meisten, die an den friedlichen Protesten teilnehmen, arbeiten unter der Woche ganz normal weiter. Das sieht man etwa daran, dass an Wochenenden viel mehr Menschen protestieren als unter der Woche.
Aber Schweizer Firmen sind wegen der Unruhen wohl weniger an einer Expansion in die Türkei interessiert.
Nein, das Interesse der Schweizer Firmen ist weiter gross. Wenn ich Firmen berate, dann drehen sich die Fragen nicht in erster Linie um die Unruhen. Expansionspläne werden auch nicht abgebrochen.
Trotzdem könnte die Türkei wegen der politischen Entwicklungen wirtschaftlich in Schieflage geraten.
Das würde ich eher ausschliessen, denn die Türkei wird kaum ihre Position als Bindeglied zwischen der arabischen und der europäischen Welt verlieren wollen. Deshalb wird sie sich kaum zu fest islamisieren oder gar die Scharia einführen.
Wie erleben Sie persönlich diese Proteste?
Da ich privat beim Taksimplatz wohne, hatte ich mal ein wenig Tränengas in der Wohnung, und meine Augen brannten leicht.
Haben Sie Angst?
Nein, ich kann gut schlafen, denn die Proteste sind fast ausschliesslich friedlich. Als ich etwa über den Taksimplatz ins Fitnesscenter lief, musste ich mich zwar durchdrängeln, aber alle waren sehr freundlich. Wer nicht in der direkten Umgebung des Taksimplatzes wohnt, bekommt von den Protesten wenig mit.
Was bekommt man weiter entfernt noch mit?
Meine Grossmutter wohnt weit entfernt. Sie hört – wie überall in Istanbul – nur, dass die Leute jeden Abend um punkt neun Uhr Lärm machen. Sie hauen auf Töpfe und klatschen. Teils machen sie das in ihren Wohnungen aus den Fenstern, teils versammeln sie sich und gehen dafür auf einen Spaziergang um den Block.
Mehmet Yildirimli: Der 36-Jährige leitet für Switzerland Global Enterprise den Stützpunkt für Exportförderung in Istanbul. Dieser ist am 21. Mai 2013 eröffnet worden und im Schweizer Generalkonsulat in Istanbul integriert.