Für Michel Rochat, CEO der Ecole hôtelière de Lausanne (EHL), ist klar: «Es gibt genügend Institutionen, an denen etwas anderes gelehrt als gelebt wird.» Beim Rundgang durch den Campus sagt er: «Wir streben nach totaler Kongruenz.» Nicht Wasser predigen und Wein trinken? «Genau.»

Rochat gehört zu der Sorte Mann, die vom Scheitel bis zur Schuhspitze nichts unbeachtet lässt: Die Socken passen zu den Schuhen, die Krawatte zum Hemd, das Hemd zum Anzug, und der Anzug sitzt perfekt. Kleidung, Schuhe und auch er selbst wirken überaus gepflegt. Rochat statuiert mit seiner Erscheinung ein Exempel: Im Eingangsbereich im Souterrain hängen zwei grosse Schaukästen, links mit Dresscodes für Männer, rechts für Frauen. Dazwischen ein menschhoher Spiegel für den Reality Check.

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Vorschriften bis ins Detail

Die Vorschriften gehen ins Detail. Offenes Hemd? Verboten. Vollbart? Akzeptiert, sofern er gepflegt und maximal sieben Millimeter lang ist. Aber: Es ist den Herren Studenten nicht erlaubt, sich während der Schulzeit einen spriessen zu lassen. Mäntel gehören an die Garderobe, und Männer, die statt Hemd und Krawatte einen Rollkragenpulli anziehen, müssen dazu ein Jackett tragen.

Den Frauen sind Jupes untersagt mit einem Saum, der mehr als 8,5 Zentimeter vom Knie entfernt ist, und auch Absätze, die höher als sieben Zentimeter sind. Transparente Kleidungsstücke sind tabu, tief ausgeschnittene und gross gemusterte ebenfalls. Hosen sind erlaubt, aber nur locker sitzende mit Bügelfalte, keine Leggings und nichts Knallenges.

«Wir machen es hier mit allem möglichst so, wie es in der Industrie auch gemacht wird», sagt Rochat. Das gilt auch in Bezug auf Kontrollen. Wer aus dem Kleiderregime ausschert, wird gerügt oder gar verwarnt.

Drei Bewerber pro Studienplatz

Pro Jahr buhlen 1000 Kandidaten um 300 Studienplätze. Eine Maturnote von mindestens 5 ist Conditio sine qua non, nützt aber nichts, wenn der Livetest misslingt. Dabei wird den Anwärtern in Gesprächen und Gruppenspielen in die Seele geschaut und auf den Zahn gefühlt. Wer dann an der EHL studieren darf – 
O-Ton Rochat: «Die Studenten wählen nicht uns, sondern werden von uns gewählt» –, absolviert zuerst das Année préparatoire.

Rochat hat es eingeführt, weil zahlreiche Neulinge null Berufserfahrung mitbringen. «Viele müssen erst einmal den Unterschied zwischen Hotelgast sein und in einem Hotel arbeiten kennen lernen», kommentiert Rochat das Grüppchen Studenten, das in einem der langen Gänge im Untergeschoss mit Putzmaschinen hantiert – nicht in Kostüm und Anzug, sondern im blauen Overall. Auf ihrem Jahresplan stehen auch die Mitarbeit in der Bar des Hauses, in der Mensa, an der Réception und Weinkunde. Und ein sechsmonatiges Praktikum in einem Hotel oder einem Gastrobetrieb.

Mit diesem EHL-Postenlauf soll allerdings nur ein Eindruck vermittelt werden: Anders als bei Hotelfachschulen wie jenen in Zürich oder Luzern absolvieren die Studenten nicht eine höhere Berufsbildung, sondern eine Fachhochschule. «Wir sind eine Hospitality-Schule und keine Hotelschule», sagt Rochat. Zum Abschluss des Rundgangs durch den Campus lädt er ein in ein gestyltes Sitzungszimmer, nimmt als Letzter Platz, öffnet den Knopf seines Jacketts, lehnt zurück und fragt: «Ihr Eindruck?» Der Eindruck: picobello, modern, reich, elitär. Rochat nickt zufrieden.

Prestigeobjekt für 200 Millionen Franken

Seit 2012 in Charge, hat er der EHL, zu 100 Prozent im Besitz der EHL-Stiftung, eine Holdingstruktur verpasst. Die Stiftung wacht gemäss Statuten über «Vision, generelle Ziele und Werte». Die Holding dagegen tickt streng betriebswirtschaftlich, ist auf Wachstum ausgelegt und aus finanztechnischen Überlegungen entstanden: «Ohne hätten wir keine Bank gefunden für die Finanzierung unseres 200 Millionen Franken teuren Campus, der nun im Bau ist», sagt Rochat. Ist 2020 fertig gebaut, bedeutet das für die EHL ein eigenes Schulungshotel, mehr Studenten, mehr Fakultäten, mehr Renommée.

Rochat rechtfertigt das Prestigeprojekt mit seinem Auftrag: Unter seiner Führung soll die EHL nicht nur die Nummer eins bleiben, sondern «den Abstand zur Nummer zwei und drei [in der Schweiz Glion und Les Roches, Anm. der Redaktion] ausbauen». Im Gegensatz zu den Rivalen, beides Privatschulen, ist die EHL in der Schweiz anerkannt und auch akkreditiert von der New England Association of Schools and Colleges.

In der Gewinnzone

Nun, da er nicht mehr Generaldirektor der Hotelfachschule, sondern CEO der EHL Holding ist, muss Rochat auch Gewinne erwirtschaften. Noch bevor die Frage gestellt ist, sagt er: «Wir erzielen heute ein Ebitda von 23 Prozent bei einem Umsatz von etwas über 100 Millionen Franken.» Rund 60 Prozent der Einnahmen sind Studiengebühren – Ausländer bezahlen 35'000 Franken im Jahr, Schweizer 1000 Franken, den Rest übernimmt der Bund.

40 Prozent gehen dank Rechnungen ein, «die wir verschicken» – für Beratungsmandate aus der Industrie etwa. In der Regel werden diese Mandate als Business Cases für Studenten von einem Lehrbeauftragten geleitet, der jeweils fünf bis sechs Youngsters, die kurz vor dem Bachelor Degree stehen, herauspickt. Mit möglichst unterschiedlichem Background.

«Zusammenarbeiten zu können, ist absolut zentral in der Industrie», sagt Rochat. «Wir haben hier 107 Nationalitäten und 25 Kulturkreise versammelt, ein fantastisches Asset.» Rund 100 Business Cases werden so in Lausanne abgewickelt und in Rechnung gestellt. Kostenpunkt: 10'000 bis 12'000 Franken.

Keine Business School

Ist die EHL eine Business School? «Niemals», winkt Rochat ab, «wir sind eine Managementschule mit Fokus Hospitality Industry und werden das auch bleiben.» Warum? «Als Business School würden wir es weltweit vielleicht auf Rang 589 schaffen.» Als Hotelfachschule ist die EHL in Rankings eine der besten der Welt. Diesen Superlativ hütet Rochat wie seinen Augapfel.

«Qualität, Qualität, Qualität», antwortet er auf die Frage nach seinem Streben, «wir machen alles dafür.» Zu «alles» gehören für ihn neue Ausbildungs- und Masterprogramme, die Modernisierung der Sportanlagen, die Professionalisierung von Forschung und Entwicklung – und natürlich der neue Campus.

Theorie und Praxis

Auf etwas kommt Rochat immer wieder zu sprechen: den Studienaufbau. «Er besteht aus Theorie und Praxis.» Ausflüge in die Praxis gehören fix zum Programm. Auch hier geht es nicht darum, das Gastgeberhandwerk zu erlernen, sondern darum, solche Prozesse kennen zu lernen, um sie dereinst managen zu können.

Auch die theoretischen Themenschwerpunkte drehen sich vor allem um Übergeordnetes wie Strategie, Marketing, 
Immobilienmanagement und Finanzen. Dieser Fokus ist ein Diktat des Marktes: Allein in Asien werden in den kommenden Jahren über 200'0000 Zimmer in Vier- und Fünfsternehotels entstehen. Pro Zimmer werden vier, fünf Angestellte benötigt – und die brauchen ein professionelles Management.

Auf Lebzeiten Mitglieder im EHL-Alumni-Netzwerk

Bereits heute haben EHL-Absolventen nach ihrem Abschluss «zu 98 Prozent» (Rochat) einen Vertrag in der Tasche. Und zwar nicht nur in der Hotelindustrie. An regelmässig stattfindenden Career Fairs tauchen auch Unternehmen auf wie Swiss, Credit Suisse und Expedia. Jeder zweite EHL-Absolvent arbeitet nicht in Hotels, sondern landet bei TripAdvisor, Carrefour, Louis Vuitton, L’Oréal, macht sich selbständig, wird Direktor des Montreux Jazz Festivals (Mathieu Jaton) oder CEO von TGV Lyria (Andreas Bergmann).

Sie bleiben aber auf Lebzeiten Mitglieder im EHL-Alumni-Netzwerk, das aktuell aus 25'000 Ehemaligen besteht. Rochat nennt sie «ein Juwel in unserer Krone». «Dieses Netzwerk ist eines unserer USPs», sagt er, «Alumni sind unsere Botschafter, stellen unsere Studenten als Praktikanten an, bieten Jobs nach dem Abschluss und sind unsere Antennen, um frühzeitig Entwicklungen in lokalen Märkten zu erkennen.»

Master im Fernstudium

Das sicherzustellen, gehört an der EHL zum Tagesgeschäft. «Wir beobachten nicht nur die Entwicklungen in der 
Hospitality-Industrie, sondern in der gesamten Dienstleistungsbranche», sagt Rochat, «alles mit Kundenfokus interessiert uns.» Seit 2017 kann an der EHL erstmals auch ein Master im Fernstudium absolviert werden. «So muss man nicht in seiner Karriere pausieren.» Dergleichen war beim ersten Master, den die EHL 2015 zusammen mit dem Hilton College der Universität Houston und der School of Hotel & Tourism Management der Hong Kong Polytechnic University lanciert hat, noch undenkbar.

Entsprechend ist er aufgebaut: Studiert wird je ein Semester in der Schweiz, in den USA und in China. Ausgezeichnet wird mit dem Master in Global Hospitality Business. Die Idee dahinter: «Drei Kulturkreise, drei Industrien in verschiedenen Entwicklungsstadien», sagt Rochat. «Eine Erfahrung, die es nirgendwo sonst gibt.» Er selbst wurde von diesem Programm inspiriert: «Wir haben daraus gelernt, dass wir uns öffnen müssen.» Lausanne ist zu weit weg von der Welt, für die an der EHL Leute geschult werden. Die Expansion nach Asien mit eigenem Campus ist angedacht.

Angst vor Risiken? «Um Erster zu bleiben, müssen wir immer wieder etwas riskieren», sagt er und blickt auf die Uhr. «Pardon, wir sollten.» Es ist Mittag. Im campuseigenen, von «Michelin» ausgezeichneten Restaurant Le Berceau des Sens ist ein Tisch reserviert. Zu spät kommen geht für Rochat gar nicht – von wegen Wasser predigen und Wein trinken.

Michel Rochat, CEO der Ecole hôtelière de Lausanne (EHL), ist seit 2012 im Amt.

 

 

 

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Iris Kuhn Spogat
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