Allein schon wegen der spektakulären Sicht auf die Bucht von Agno kann man Mike und Bettina Rudolph verstehen, dass sie vor nunmehr zehn Jahren beschlossen, der Stadt Zürich und ihren angestammten Berufen - Mike arbeitete als Unternehmensberater, Bettina auf der Personalabteilung einer Grossbank - den Rücken zu kehren und sich dem Weinbau in Cassina d’Agno im Malcantone zu widmen. Freilich mussten sie nicht ganz bei null anfangen. Die territorialen Grundlagen für ihre zukünftige Tätigkeit hatte bereits Mikes Urgrossmutter gelegt, als sie 1940 die im alten Dorfteil von Cassina d’Agno gelegene Tenuta kaufte und diese bis zu ihrem 80. Lebensjahr bewirtschaftete.

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1990 fragte sie Mikes Vater, ob er das Gut übernehmen wolle. Dieser hatte zuvor in Kanada eine Rinderfarm betrieben und war später in die USA übersiedelt, wo er für Nestlé gearbeitet hatte. Zurück in der Schweiz, pendelte er zwischen Zürich und dem Tessin hin und her. Er stellte den Betrieb schrittweise auf Rebbau um, verzichtete jedoch darauf, selbst Wein zu keltern. Er lieferte die Trauben an Daniel Huber, der selbst Anfang der 1980er-Jahre als Winzernovize von Zürich ins Malcantone übersiedelt war und heute zur helvetischen Winzerelite zählt.

Traubengut selber verarbeiten
Als sich Mike und Bettina Rudolph vor knapp mehr als einem Jahrzehnt die Möglichkeit bot, in die Fussstapfen von Mikes Vater zu treten und das Gut weiterzuführen, war beiden von Anfang an klar, dass sie nicht nur Trauben produzieren, sondern diese auch selbst keltern wollten. Ihren Einstieg ins Winzermetier bereiteten sie minuziös vor. Beide besuchten Önologiekurse - Mike per Internet in Kalifornien, Bettina in Wädenswil und in Bordeaux. Zusätzlich absolvierten sie ausgedehnte Praktika bei Winzern, Mike bei Daniel Huber in Monteggio, Bettina bei Jürg Saxer in Neftenbach.

2002 war es dann so weit. Begannen sie damals mit 2 Hektaren, so haben sie inzwischen die Rebfläche auf 5 Hektaren ausgedehnt. «Unsere Reben stehen mehrheitlich auf gegen Süden ausgerichteten, terrassierten Steillagen», erklärt Mike Rudolph. «Die gute Durchlüftung und die ausgiebige Besonnung bieten ideale Voraussetzungen, damit wir gesundes, reifes Traubengut ernten können.»

Im Laufe der letzten Jahre haben die Rudolphs zudem den Sortenspiegel sukzessive erweitert. Neben dem Merlot, der auf drei Vierteln der Rebfläche wächst, kultivieren sie nicht nur die verbreiteten Bordeaux-Varietäten Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc, sondern neustens auch den spätreifenden Petit Verdot, der im Bordelais nur noch vereinzelt angebaut wird, in letzter Zeit aber vor allem bei Qualitätsweingütern eine kleine Renaissance erlebt. «Wir lieben die Bordeaux-Weine», gesteht Bettina Rudolph, und Mike verrät, dass es ihnen gelungen sei, 2 weitere, in der Gemeinde Pura gelegene Hektaren Rebland zu pachten, die sie unter anderem mit Malbec zu bestocken gedenken, jener einst im Bordelais populären Sorte, die heute aber vor allem in Argentinien und im Cahors-Gebiet verbreitet ist. Abgerundet wird der Sortenspiegel mit den weissen Varietäten Sauvignon blanc, Chardonnay und Kerner.

Drei Rotweine als Aushängeschilder
Aus den weissen Sorten keltern Mike und Bettina Rudolph zwei Gewächse, den fruchtig-frischen Trattofino (aus der Merlot-Saignée und Kerner) und den stoffig-aromatischen Raggio di Sole, eine Cuvée aus 90 Prozent Sauvignon blanc und 10 Prozent Chardonnay.

Die eigentlichen Aushängeschilder der Tenuta sind jedoch die drei Rotweine. Der feinfruchtige, gut strukturierte Sottoroccia, der aus Trauben jüngerer Reben und flacherer Lagen vinifiziert wird, besteht zu vier Fünfteln aus Merlot, der Rest setzt sich zu fast gleichen Teilen aus Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc zusammen. Der Crescendo ist dagegen ein reinsortiger Merlot. Die Trauben, die aus dem Weinberg in Vernate stammen, werden teils in Eichenholzstanden gekeltert und danach zwölf Monate in Barriques ausgebaut.

Die Spitzencuvée Arco Tondo schliesslich wird aus Trauben der besten mit Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc bestockten Lagen erzeugt. Die einzelnen Chargen werden separat mit langen Maischestandzeiten vinifiziert und danach 18 Monate in Barriques ausgebaut. Auch nach der Flaschenfüllung braucht dieser stoffig-komplexe Wein - wie seine Pendants aus dem Bordelais - zusätzliche Ruhe- und Reifezeit. Dessen sind sich auch Mike und Bettina Rudolph bewusst, weshalb im Keller, der zurzeit erweitert wird, auch ein geräumiges Flaschenlager vorgesehen ist. «In Zukunft wollen wir die abgefüllten Rotweine eine gewisse Zeit lagern, bevor wir sie in den Verkauf geben», kommentiert Mike Rudolph. «Denn wir finden es einfach schade, wenn sie getrunken werden, bevor sie ihre harmonische Balance gefunden haben.»


Die Weine können direkt ab Gut oder im Weinhandel erworben werden. Reservation empfohlen.
Tenuta San Giorgio
Mike und Bettina Rudolph
Via al Bosco 39, Cassina d’Agno
Tel. 091 605 58 68
www.tenutasangiorgio.ch