Für mich arbeiten 39 Sklaven. Sie befinden sich irgendwo auf der Welt. Ich habe sie nie getroffen, aber ich beute sie aus. 39 Erwachsene und Kinder werden zur Arbeit gezwungen, bekommen dafür wenig oder gar keinen Lohn, arbeiten unter unmenschlichen Bedingungen und ich bin Schuld.

Das ist das Ergebnis meines Selbsttests auf der Webseite Slaveryfootprint.com. Nach Vorbild des Kohlendioxid-Fussabdruck-Rechners ermittelt der Slaven-Rechner, wie viel Zwangsarbeit und wirtschaftliche Ausbeutung ich mit meinen Komsumentscheidungen unterstütze. Finanziert wird der Selbsttest seit drei Jahren vom US-Innenministerium.

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Unwissentlich Sklaverei unterstützt

Seitdem haben ihn Millionen von Menschen weltweit gemacht und ihre Ergebnisse in sozialen Netzwerken geteilt. Leiter des Projekts war der amerikanische Dokumentarfilmer Justin Dillon, der mit seinem Film «Call + Response« im Jahr 2008 für Aufsehen sorgte.

Die Dokumentation verdeutlichte für viele Menschen in der westlichen Welt erstmals, wie sie unwissentlich moderne Sklaverei unterstützen. Der Selbsttest Slaveryfootprint geht noch einen Schritt weiter: Er errechnet den Nutzern anhand ihrer Besitztümer in Kategorien wie Kleidung, Elektronikprodukte und Schmuckstücke, wie sehr sie die Ausbeutung von Erwachsenen und Kindern fördern.

Nach Schätzungen des US-Innenministeriums gibt es weltweit 27 Millionen Sklaven - rund 150 Jahre, nachdem die Sklaverei offiziell abgeschafft wurde. Doch es passiert jeden Tag: Usbekische Kinder pflücken Baumwolle für meine T-Shirts, brasilianische Männer ernten Zuckerrohr unter unmenschlichen Bedingungen für mich und kleine Jungen im Kongo schuften in Minen, um die Rohstoffe für mein iPhone abzuschöpfen.

Wie viele Kleidungsstücke im Schrank?

All das ahnte ich zwar irgendwie, aber die Zahl meiner 39 Sklaven erzeugt dann doch einen Kloss im Hals. Herausgefunden habe ich meine Missetaten in knapp zehn Minuten. Der Test fragt in elf einfachen Schritten meine Lebensumständen und mein Produktverhalten ab.

Wo wohne ich und auf wie viel Wohnraum? Wie viel Fisch, Fleisch, welches Obst und Gemüse esse ich gern? Welche Kosmetikartikel nutze ich? Wie viele Kleidungsstücke hängen in meinem Schrank? Wie viele Smartphones, Computer, Spielekonsolen und Musikanlagen befinden sich in meinem Haushalt?

Der Test enthält Informationen über 400 Produktgruppen von Lederschuhen über Lippenstift bis Skier. Sie werden heruntergebrochen in die Rohstoffe, aus denen sie gemacht werden. Jedem dieser Rohstoffe ist eine Durchschnittszahl von Sklaven zugeordnet. Grundlage dieser Schätzungen sind anerkannte Studien der US-Regierung und unabhängigen Organisationen wie Transparency International.

Schwarz auf weiss sind die Ergebnisse erschreckend. 1,9 Sklaven stellen eine Windel her, neun Menschen werden für ein Baumwoll-T-Shirt ausgebeutet, 1,2 Sklaven helfen bei der Herstellung einer Ibuprofen-Tablette und 3,2 Sklaven produzieren die Einzelteile meines Smartphones.

All diese Zahlen sind allerdings Durchschnittswerte für die jeweilige Produktgruppe. Es kann also sein, dass mein Smartphone von zehn Sklaven hergestellt wurde, das meines Nachbarn von 0,5 Sklaven. Im Durchschnitt aller Smartphonebesitzer sind es aber 3,2. Der Sklaven-Rechner gibt einem keine Chance einzugeben, ob man beim Kauf auf der Waren auf fairen Handel geachtet oder das billigste genommen hat, ohne Rücksicht auf Verluste.

Mit meinen 39 Sklaven stehe ich ziemlich schlecht da. Ein westlicher Durchschnittsbürger beutet angeblich 25 Menschen aus. Wie meine zusätzlichen 14 Sklaven zusammen kommen, darüber kann ich nur spekulieren.
Die Webseite sagt mir lediglich, welche Produktoberkategorien besonders problematisch seien. Schlimm ist offenbar meine Vorliebe für Elektronikgegenstände: zwei Smartphones, ein Handy, mein Tablet-Computer, der Laptop, der E-Reader, die Lautsprecher und der Fernseher.

Ausserdem meine Zahl an Klamotten, wobei mir zehn Jeans, 50 Tops und 40 Kleider, Blusen und Jacken als Frau gar nicht viel vorkamen. Ebenfalls nicht so gut sei mein Essenskonsum, sagt der Rechner. Warum, erfahre ich leider nicht. Die Macher der Webseite geben offen zu, die Sklaven-Zahl sei durchaus nicht wortwörtlich zu verstehen. Natürlich macht es einen grossen Unterschied, ob ich meine T-Shirts im Fair-Trade-Laden kaufe oder im Billig-Discounter.

E-Mails an den Markenhersteller

Trotzdem wird mir der Rechner für jedes T-Shirt die gleiche Anzahl von Sklaven berechnen. Für einen genaueren Wert muss man bis zur nächsten Version des Selbsttestes warten. Dann sollen konkrete Markenprodukte mit der Anzahl der Sklaven in Verbindung gebracht werde, nicht mehr nur übergeordnete Produktgruppen.

Bis dahin hilft der Test aber jetzt schon, die Markenhersteller unter Druck zu setzen. Am Ende des Tests bietet die Webseite den Nutzern an, vorformulierte E-Mails an die Hersteller von Produkten zu verschicken. In höflichem Ton werden die Unternehmen gefragt, wie sie sicherstellen, dass keine Menschen bei der Herstellung ihrer Produkte ausgebeutet werden.

An den Computerhersteller Apple wurden infolge des Tests beispielsweise schon knapp 22'000 E-Mails verschickt, an die US-Supermarktkette Wal-Mart rund 11'700 und an den Sportartikelhersteller Nike 10'750. Ich selbst habe 30 abgesandt. Auf die Antworten warte ich noch.

Dieser Artikel ist zuerst in unserer Schwester-Publikation «Die Welt» erschienen.