Am 14. März war ich in St. Louis auf dem Markt. Etwas ungläubig fragte mich die Käseverkäuferin damals, wie ich noch über die Grenze gekommen sei. Doch an dem Tag interessierte sich am Zoll niemand für den Velofahrer aus Basel – so wie das schon immer war. Kurz darauf war die Grenze zu.

Inzwischen fühlt sich der Markt auf der Place de l’Europe unwirklich weit weg an, obwohl er nur einen Kilometer hinter der Grenze und knapp vier Kilometer vom Basler Marktplatz entfernt ist. Doch seit zwei Monaten gibt es kein Durchkommen mehr.

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Diese Woche haben die Regierungen von Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz angekündigt, die Grenzen zaghaft öffnen zu wollen (siehe Update am Ende des Texts). Mitte Juni wolle man wieder zum normalen Grenzregime zurückkehren, und schon ab diesem Wochenende soll es mehr Ausnahmen und weniger Kontrollen geben. Gespannt warten alle auf die Details. Doch das tönt besser, als es ist. Denn Fakt ist: Die Grenze ist so geschlossen wie seit dem Krieg nicht mehr. Und daran ändert sich wohl auch bis Mitte Juni nicht viel. Denn keine systematischen Kontrollen heisst noch lange nicht, dass man auch über die Grenze darf.

Für die Bewohner der Grenzregionen – ob in Basel, Kreuzlingen oder Genf – ist die Situation, die seit zwei Monaten vorherrscht, nicht nur eine Zumutung, sondern eine, die zunehmend nicht mehr verstanden wird. Denn mit der Bekämpfung des Coronavirus lässt sich das Grenzregime kaum noch erklären.

Gewiss; jeder hatte zunächst Verständnis. Als man sah, wie das Virus von Touristen durch halb Europa verschleppt wurde, war es nachvollziehbar, den Reiseverkehr blockieren zu wollen. Und ja, in Zeiten der Unsicherheit mag so mancher froh darüber gewesen sein, dass auch der Pendelverkehr aus dem Tessin oder dem Elsass abnahm. Doch dann trieb der Perfektionismus der Zöllner Blüten, über die man erst staunte, dann lachte und seit langem nur noch den Kopf schüttelt.

Als die Grenzen geschlossen wurden, waren zunächst nur vereinzelte Strassenübergänge zwischen Basel und seinen Nachbargemeinden geschlossen. Doch zunehmend wurden auch auf Waldwegen, Velowegen und selbst quer über Wiesen und Weiden Absperrungen montiert. Zöllner und Soldaten fahnden inzwischen nach Joggern, die versehentlich im falschen Land unterwegs sind. Hier geht es längst nicht mehr um Reiseverkehr oder Einkaufstourismus. Sondern um Spaziergänger und Quartierbewohner.

Dass Touristiker in allen Ländern Druck machen, weil sie sich um ihr Sommergeschäft sorgen, ist nachvollziehbar. Dass Länder wie Österreich und die Schweiz deswegen auf die Ferien hin auf eine Grenzöffnung drängen, irgendwie verständlich. Doch während der Reiseverkehr mit Blick auf das Virus echte Risiken birgt, wären lokale Lockerungen wohl vergleichsweise risikofrei zu haben. Denn sonst müsste man auch die Intercity-Züge zwischen Bern, Basel und Zürich stilllegen.

Nicht der holländische Tourist in Zermatt sollte die erste Sorge der Schweizer Aussenpolitik sein – sondern dass sich Baslerinnen und Kreuzlinger, Lörracherinnen und Konstanzer in ihrer Heimat endlich wieder so bewegen können, wie das auch für Bernerinnen und Luzerner selbstverständlich ist.

Eine mit Gittern und Absperrband geschlossene gruene Grenze zwischen der Schweiz und Deutschland im Naherholungsgebiet Lange Erlen in Basel am Sonntag, 3. Mai 2020. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Versperrter Spazierweg in den «Langen Erlen», dem Stadtpark zwischen den Gemeinden Basel und Weil und Lörrach. 

Quelle: Keystone

Was vielen Politikern in den fernen Hauptstädten vielleicht nicht bewusst ist: Für Basler beginnt an der Grenze nicht das exotische, verzichtbare Ausland, sondern bloss eine Nachbargemeinde. Und so ist es auch für andere Bewohner von Grenzstädten. Die Grenze verläuft eben nicht einfach irgendwelchen Alpenkämmen entlang wie im Wallis oder in Graubünden. Die Heimat dieser Menschen geht über die Grenze hinaus. Schon als Kinder fuhren wir mit dem Velo rüber ins «Laguna» zum Baden oder auf eine Glace ins Eiscafé. Kontrolliert wurden wir kaum je. Auch vor «Schengen» nicht.

Jetzt gehen Absperrungen quer durch Schrebergartenareale und über Sportplätze. Handwerker kommen nicht mehr zu ihren Kunden jenseits der Grenze und Sportler nicht mehr zu ihren Pferden im Elsass. In Weil oder Lörrach warten Hunderte Päckli darauf, von Baslern abgeholt zu werden, und die Detailhändler in Deutschland leiden nicht nur unter den erschwerten Bedingungen wegen Corona, sondern auch deshalb, weil ihre Kundschaft nicht mehr über die Grenze darf. Und Bewohner auf dem Land müssen teilweise grosse Umwege in Kauf nehmen, um von einer Gemeinde in die andere zu kommen. Weil der direkte Weg durchs Ausland führt.

Ich habe eine Bekannte in Lörrach, die ich nicht besuchen darf und sie mich nicht, denn wir sind weder verheiratet oder verlobt noch in einer «gefestigten Beziehung», wie das jetzt zolldeutsch heisst. Ihre Cousine wiederum lebt in Basel. Auch die zwei konnten sich lange nicht mehr besuchen. Der Vater eines Freunds, ein Deutscher, erfand einen Physio-Termin, damit ihn der Zöllner nach Deutschland liess.

Die Lörracherin habe ich dann doch noch getroffen. Auf der Grenze. Wir verabredeten uns am Stadtrand zum Apéro im Sonnenuntergang. Sie sass auf der deutschen Seite, ich in der Schweiz, getrennt nur von einem rot-weissen Absperrband, das zwischen zwei Bäumen gespannt war. Zumindest dachten wir das. Später stellte sich heraus, dass ich die ganze Zeit in Deutschland sass, weil die Absperrung gar nicht dem Grenzverlauf folgte.

Gesperrte Wiese zwischen Riehen und Lörrach

Absperrband quer über die Wiese: Jugendliche an der Grenze zwischen Riehen (CH) und Lörrach (D).

Quelle: HZ/hec

Man kann über solche Müsterli natürlich lachen. Das Ärgerliche an der ganzen Sache ist aber, dass die Komplettsperrung kaum noch etwas bringt. Oder wie ist zu erklären, dass jeden Tag Tausende Grenzgänger aus dem Elsass oder Deutschland nach Basel arbeiten kommen, ohne hier die Krankheitsfälle ansteigen zu lassen, ein Jogger im Stadtpark «Lange Erlen» aber eine Gefahr darstellt und gebüsst wird, wenn er falsch abbiegt? Wie ist zu begründen, dass ich zwar mit dem mittlerweile wieder vollen Zug – und ohne Maske – von Basel nach Zürich pendeln dürfte, es aber ein Problem ist, wenn ein Elsässer mit dem Tram nach Basel kommt? Das versteht längst keiner mehr.

Es stimmt auch nicht, dass man die Grenze nur in gegenseitigem Einvernehmen öffnen kann, wie das gerne behauptet wird. Natürlich macht es keinen Sinn, einen Grenzübergang zu reaktivieren, der auf deutscher Seite immer noch verbarrikadiert ist. Aber wer verbietet der Schweiz, die Einreisebedingungen stärker zu lockern, als dies die deutsche Seite tut?

Gelockerte Kontrollen an den Grenzen

Seit Samstag gelten für die Grenzen zu Deutschland und Österreich leicht gelockerte Regeln. Augenscheinlichstes Merkmal: Die meisten Barrikaden wurden geöffnet oder ganz abgebaut, zusätzliche Grenzübergänge wurden wieder in Betrieb genommen. Damit wurde es einfacher, die Grenzen zu passieren.

Allerdings gilt weiterhin: Für die meisten Menschen ist der Grenzübertritt verboten. Nur wer einen triftigen Grund geltend machen kann, darf ins Nachbarland einreisen. So hat die Schweiz etwa die Beziehungen, die zu einem Grenzübertritt berechtigen, auf unverheiratete Paare ausgeweitet, sofern die Beziehung schon vor der Corona-Krise bestand. Zudem ist es neu erlaubt, nahe Verwandte zu besuchen. Auch die Pflege des eigenen Schrebergartens oder ein Zweitwohnsitz sind neu ein berechtigter Grund.

Weiterhin nicht gestattet sind das Besuchen von Freunden und Bekannten, Ausflüge, Sport oder Einkäufe im Ausland. Zwar werden an der Grenze nicht mehr alle Passanten kontrolliert. Die Grenzwächter kontrollieren jedoch weiterhin auf Verdacht und patrouillieren verstärkt in den Gebieten nahe an der Grenze. (hec)

Michael Heim Handelszeitung
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