Bundeskanzler Olaf Scholz wird eine bisher von Deutschland eisern vertretene Position aufgeben und die gemeinsame Emission von EU-Schulden zur Abfederung der Energiekrise unterstützen, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf informierte Kreise. Die Bedingung ist, dass das aufgenommene Geld als Darlehen und nicht als Zuschuss an die Empfängerstaaten ausgezahlt wird.

Scholz signalisierte am Rande des informellen EU-Gipfels in Prag letzte Woche Offenheit für eine gemeinsame Kreditaufnahme, heisst es von Personen, die mit der Haltung des Kanzlers vertraut sind. Der Sinneswandel folgt auf die Kritik anderer Staats- und Regierungschefs an dem Hilfsplan der Ampelkoalition in Höhe von 200 Milliarden Euro. Dieser könne zu wirtschaftlichen Ungleichgewichten in der EU führen, so die Sorge einiger Partnerländer.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Ob die Bundesregierung zu diesem Schritt jedoch tatsächlich bereit ist, kann bislang nicht mit Sicherheit gesagt werden. Gegenüber der Handelszeitung erklärte ein Regierungssprecher, dass «auf europäischer Ebene erhebliche Finanzmittel bereit» stünden beziehungsweise «derzeit mobilisiert» würden. «Diese helfen bei der Bewältigung auch der aktuellen wirtschaftlichen und energiepolitischen Herausforderungen.» Schliesslich sei aus der «Aufbau- und Resilienzfazilität, die als Teil des Wiederaufbauprogramms 'Next Generation EU' beschlossen wurde», bislang erst rund ein Fünftel der zugesagten Mittel ausgezahlt worden. 

Der Anleihemarkt reagierte kräftig auf die Bloomberg-Meldung: Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen kletterte auf den höchsten Stand seit 2011. Die Ausgabe gemeinschaftlicher Schuldtitel wäre eine dramatische Kehrtwende für die Bundesregierung, die sich bisher zusammen mit anderen Ländern, darunter die Niederlande, gegen solche Massnahmen gewehrt hat. Doch die Rufe danach werden immer lauter, da die EU massive Ausgaben tätigen muss, um einen Winter ohne russisches Gas zu überstehen und auf alternative Energiequellen umzustellen.

SURE-Programm als Vorbild

Das aus der Pandemiezeit stammende SURE-Programm der EU, das Beschäftigungshilfen in Höhe von bis zu 100 Milliarden Euro in Form von Krediten bietet, könnte als Vorlage für ein neues schuldengestütztes Instrument dienen, sagten die Personen, die nicht namentlich genannt werden wollten.

Die Details eines neuen Programms wurden noch nicht festgelegt, aber es wäre wahrscheinlich kleiner als der schuldenfinanzierte 724 Milliarden Euro schwere Covid-Hilfsfonds, der 2020 teilweise vom damaligen Finanzminister Scholz entwickelt wurde und die Auszahlung von nicht rückzahlbaren Zuschüssen mit zinsgünstigen Darlehen kombinierte, so die Personen. Dieses Notfallpaket - das von Scholz als Hamiltonscher Moment präsentiert wurde - war ein Novum in der Europäischen Union. Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den Aufbaufonds als «einmaliges» Instrument bezeichnet. 

Ein Sprecher der Bundesregierung lehnte es gegenüber Bloomberg ab, eine klare Antwort auf die Frage nach Scholz’ Position zur gemeinsamen Verschuldung zu geben. Es stünden noch beträchtliche Mittel zur Verfügung oder würden derzeit auf europäischer Ebene mobilisiert, sagte der Sprecher, ohne diese Option auszuschliessen.

«Viele Mittel verfügbar»

In Prag hatte es Scholz am Freitag noch vermieden, eine konkrete Antwort auf die Frage zu geben, ob er eine weitere Runde gemeinsam begebener Anleihen zur Bewältigung der Krise unterstützen würde. Stattdessen verwies er auf noch nicht in Anspruch genommene Darlehen und Zuschüsse aus dem Pandemie-Wiederaufbaufonds. «Es sind also noch viele Mittel verfügbar», so Scholz in Prag.

Der Euro grenzte seine Verluste gegenüber dem US-Dollar unmittelbar nach dem Bloomberg-Bericht zur gemeinsamen Schuldenaufnahme ein. Der Renditeaufschlag 10-jähriger italienischer Staatsanleihen gegenüber Bundesanleihen verengte sich um bis zu 16 Basispunkte.

Scholz wolle nach wie vor ein schuldenfinanziertes Instrument vermeiden, das Zuschüsse an Mitgliedsländer vorsehen würde, hiess es. Grund dafür ist, dass ein endgültiges Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den EU-Rettungsfonds noch aussteht, so eine der Personen.

Italien ist Zünglein an der Waage

In einer vorläufigen Dringlichkeitsentscheidung sagten die Karlsruher Richter im April 2021, dass ein vorläufiger Stopp des Fonds bis zu einer endgültigen Entscheidung mehr Schaden anrichten könnte, als ein temporärer Weiterbetrieb. Sie deuteten auch an, dass die gemeinsame Ausgabe von EU-Schulden zur Finanzierung von Zuschüssen an Mitgliedstaaten im Notfall mit der Verfassung vereinbar sein könnte, solange die Massnahme einmalig bleibt.

Ein weiterer Grund für Scholz’ Zurückhaltung ist die Ungewissheit über die neue italienische Regierung, die wahrscheinlich von Giorgia Meloni, der Vorsitzenden der rechtsgerichteten Partei Brüder Italiens, geführt werden wird. Meloni hat signalisiert, dass sie gemässigt regieren wird, hat aber angedeutet, dass die nationale Umsetzung des Wiederaufbauprogramms einer Feinabstimmung bedarf.

Scholz wolle zunächst die neue Koalitionsvereinbarung Roms sehen und mit Meloni über die europäische Integration diskutieren, bevor er sich zu weiteren schuldenfinanzierten EU-Programmen verpflichte, sagte die Person.

(Bloomberg/Reuters/Ink)