«Du solltest so schnell wie möglich heiraten». Dieser und weitere Zwischenrufe gegen eine Abgeordnete im Tokioter Stadtparlament haben in Japan einen Sexismus-Skandal ausgelöst. Die 35 Jahre alte Parlamentarierin Ayaka Shiomura hatte in einer Debatte mehr Unterstützung für Schwangere und Mütter gefordert – und dafür spöttische Kommentare von den Kollegen geerntet. Dabei ist die Diskussion dringend notwendig, denn Japan kämpft – mehr noch als beispielsweise die Schweiz – mit Überalterung. Das Land könnte also qualifizierte Fachkräfte gut gebrauchen.

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Ein schwieriges Thema in einem Land, in dem die Mutterschaft oftmals das Ende der beruflichen Karriere bedeutet. Der Saal quittierte die unanständigen Zwischenrufe aus den Reihen der Regierungspartei LDP mit Gelächter.

Sexismus als Dauerbrenner

Der Vorfall habe sie nicht überrascht, sagte die Singapurer Journalistin Foo Choo Wei, die seit 14 Jahren aus Japan berichtet, gegenüber japanischen Medien. «Diskriminierung ist hier ein Dauerthema». Neu ist diesmal aber der Sturm der Entrüstung, den die Bemerkungen auslösten. Innert weniger Tage unterschrieben mehr als 70'000 Menschen eine Petition, die zu hartem Vorgehen gegen den Rufer aufforderte.

Dass Frauen in Japan nur wenig zu sagen haben, war im Land selbst lange kein grosses Thema. Dabei steht die führende Industrienation im neuesten «Gender Gap Report» des Weltwirtschaftsforums auf dem 105. Platz von 136 untersuchten Ländern. Japan liegt damit sogar hinter Entwicklungs- und Schwellenländern wie Indien (101) Indonesien (95) oder Bangladesh (75) zurück.

Marginale Rolle in der Arbeitswelt

Grund für die schlechte Platzierung ist die marginale Rolle der Frauen in der Politik und Wirtschaft. Weniger als zehn Prozent der Abgeordneteten im nationalen Parlament sind Frauen. In Führungspositionen in der Privatwirtschaft ist der Anteil noch geringer. Dazu sind laut «Gender Gap Report» 35 Prozent der erwerbstätigen Frauen bei Leiharbeitsfirmen angestellt, während es bei den Männern nur zehn Prozent sind.

Japans Wirtschaft hat schon lange mit Problemen zu kämpfen – etwa mit einer seit zwei Dekaden anhaltenden Deflation und hohen Staatsschulden. Trotzdem hat sich das Land auf einem hohen Entwicklungsstand halten können. Problematischer als die wirtschaftlichen Schwächen ist wie in anderen Industriestaaten die demografische Entwicklung.

Demografische Zeitbombe

Wie beispielsweise in der Schweiz oder auch in Deutschland führt die niedrige Geburtenrate zu einer starken Alterung der Bevölkerung. 2005 begann sie in Japan erstmals zu schrumpfen. Wenn die Entwicklung im gleichen Stil weitergeht, wird die Einwohnerzahl von heute 127 Millionen bis 2050 auf nur noch rund 100 Millionen sinken. Anders als in den reichen Ländern Europas können die fehlenden Geburten nicht durch Einwanderung kompensiert werden, weil diese von grossen Teilen der Gesellschaft abgelehnt wird.

Gleichzeitig fehlen zunehmend Arbeitskräfte für die heimische Wirtschaft. Viele Frauen müssen sich zwischen Familie und Karriere entscheiden, da es in Japan besonders schwierig ist, beides unter einen Hut zu bringen. Dabei existiert eine starke gesellschaftliche Norm, welche die Mutterschaft zum höchsten Ziel für japanische Frauen erklärt. Unverheiratete Frauen über 35 werden oft als «Mannweiber» diffamiert – die nur deshalb Karriere machten, weil sie keinen Mann gefunden hätten.

Die japanische Regierung hat deshalb Massnahmen angekündigt, die es Frauen erleichtern sollen, als Mütter weiter zu arbeiten. Die in Anlehnung an Premierminister Shinzo Abes Wirtschaftspolitik («Abenomics») in den englischsprachigen Medien scherzhaft «Womenomics» genannten Strategien stossen aber auf Widerstand aus den eigenen Reihen. Dies hat auch der Vorfall in Tokio wieder illustriert.

Was will die Regierung?

«Kann «Womenomics» Japan retten?» fragte CNN in einem Beitrag zu den frauenfeindlichen Zwischenrufen. Die Frage müsste aber lauten, wie ernst es der Regierung ist, mit der besseren Einbindung der Frauen.

Einerseits hat Shinzo Abe die Drei-Kinder-Familie als Staatsziel ausgegeben. Der Premier betont immer wieder, dass er Frauen fördern wolle. Dazu gehört zum Beispiel der Vorschlag eines dreijährigen Mutterschaftsurlaubs. Kritiker glauben aber, dass solche Ideen letztlich dazu dienten, die Frauen zurück an den Herd zu schicken, weil sie dann erst recht keine guten Positionen in den Firmen angeboten bekämen.

Kommt nun der Kulturwandel?

Die Reaktion auf die Ereignisse in Tokio lässt auch nicht gerade auf einen breiten Gesinnungswandel in der Politik schliessen. Erst unter grossem medialen Druck meldete sich der vermeintliche Rufer und entschuldigte sich bei Ayaka Shiomura für seine Beleidigung.

Premier Abe entschuldigte sich ebenfalls indirekt für die sexistische Äusserung, jedoch nicht etwa bei der angegriffenen Abgeordneten, sondern bei Shiomuras Parteichef Keiichiro Asao. «Entschuldigen sie die Unannehmlichkeiten bei der Versammlung in Tokio», soll er wörtlich gesagt haben.

Bleibt zumindest die Aussicht auf einen Kulturwandel? Die RTL France-Journalistin Joel Legendre-Koizumi glaubt jedenfalls, dass der Vorfall nicht umsonst gewesen ist. Sie hoffe, dass nun ein drastischer Wandel in der japanischen Gesellschaft einsetze, sagte sie gegenüber der englischsprachigen Ausgabe der Tageszeitung «Asahi Shimbun» in Tokio.