Gross war der Aufschrei unter bürgerlichen Parlamentsmitgliedern und den Wirtschaftsverbänden, als der Bundesrat letzte Woche erneut den harten Lockdown anordnete. Betriebsschliessungen und die Ausweitung der Quarantänebestimmungen nach dem Prinzip des Schneeballsystems wurden verfügt. Die volkswirtschaftlichen Kosten sind immens, die Freiheitseinschränkungen empfindlich. Fragwürdig ist die Verhältnismässigkeit der Massnahmen, insbesondere der Kosten zum angepeilten Nutzen.

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Peter Grünenfelder ist Direktor von Avenir Suisse, dem Think-Tank der Schweizer Wirtschaft. Zuvor war er unter anderem Staatsschreiber des Kantons Aargau und Präsident der Schweizerischen Staatsschreiberkonferenz. Er ist auch Lehrbeauftragter für Public Governance an der Universität St. Gallen.

Denn bis heute basieren die Entscheide der Behörden auf einer ungenügenden Datenlage. Die Ansteckungsorte der Infektion sind nur annäherungsweise bekannt.

Pandemiebekämpfung nach dem Prinzip Hoffnung? Offensichtlich ja. Weder das Contact Tracing noch die  Covid-19-App bestehen den Praxistest. Es überrascht daher nicht, dass sich im Vorfeld der bundesrätlichen Beschlussfassung die nationalrätliche Wirtschaftskommission gegen die weitgehende Schliessung von Läden und gegen eine Homeoffice-Pflicht aussprach. Auch zahlreiche Kantone votierten gegen diese Restriktionen. Doch der Bundesrat hat bekanntlich anders entschieden – die Ohnmacht in den bürgerlichen Parteizentralen ob der Machtlosigkeit ihrer Parlamentarierinnen und Parlamentarier war mit den Händen zu greifen.

«Damit die Bevölkerung die zunehmend umstrittenen Massnahmen mitträgt, braucht es jeweils vorab die Auseinandersetzung, den inhalt­lichen Streit in beiden Kammern.»

«Kaltschnäuzig» habe sich der Bundesrat über die Entscheide der WAK hinweggesetzt, liess die SVP geharnischt verlauten. Doch die Wirkungslosigkeit parlamentarischer Interventionen ist selbstverursacht. Gegenüber dem Parlament und seinen Kommissionen hat der Bundesrat lediglich eine Informations- und Konsultationspflicht. Weitgehende Massnahmen zur Pandemiebekämpfung kann die Regierung in Eigenregie anordnen. Grundlage ist das Covid-19-Gesetz, verabschiedet von demselben Parlament im September 2020 (und bereits wieder angepasst im Dezember 2020).

Die Volksvertretung hat sich damit im Verlauf der Pandemiekrise gleich zweimal aus dem Rennen genommen. Mitte März, als die erste Welle losbrach, verfügten die Ratsbüros beider Kammern vorsorglich den Abbruch der Frühjahrssession.

Mit der Volksabstimmung lässt man sich Zeit

Gegen das Covid-19-Gesetz hat der vor einem Jahr noch inexistente Verein «Freunde der Verfassung» das Referendum ergriffen – erfolgreich. Auch wenn der Bundesrat rasch harte Massnahmen zur Bekämpfung des Covid-19-Virus verfügte: Mit der Volksabstimmung lässt man sich Zeit. Die Regierung legte das Datum auf den 13. Juni 2021 und nicht auf den nächsten ordentlichen Abstimmungstermin vom 7. März. Das ist dem rechtlich festgelegten Fristenlauf geschuldet.

Bis zum Sommer sollte aber (hoffentlich) die Pandemie besiegt sein. Damit die Bevölkerung, geschult in direktdemokratischer Abstimmung, die zunehmend umstrittenen Massnahmen mitträgt, braucht es aber jeweils vorab die Auseinandersetzung, den inhaltlichen Streit in beiden Kammern. Das gilt in dieser Krise ebenso wie in der nächsten.

Das Parlament tut gut daran, sich als Volksvertretung wieder stärker in die Entscheidungsfindung einzubringen.

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