Das Schweizer Parlament will endlich die Ehestrafe, die überhöhte Besteuerung von doppelverdienenden Ehepaaren, abschaffen. Das ist gut. Aber sein Instrument dafür, die Individualbesteuerung, ist aus sechs Gründen mehr als schlecht.
Sie ist familienfeindlich: Die Ehe soll einen guten Rechtsrahmen zur Entwicklung der Familie bieten. Sie ermöglicht unter anderem eine sinnvolle Arbeitsteilung: Ein Partner arbeitet mehr im Beruf, der andere kümmert sich mehr um Kinder, Haushalt und Care-Arbeit. Diese Aufteilung ist für Eltern mit jungen Kindern besonders interessant und bringt riesige Spezialisierungs- und Produktivitätsgewinne. Bei der gemeinsamen Besteuerung entstehen keine Benachteiligungen. Die nun anvisierte Individualbesteuerung aber bestraft diese Arbeitsteilung. Damit ist sie für Familien und die Gesellschaft schädlich.
Reiner Eichenberger ist Professor für Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg.
Sie untergräbt Arbeitsanreize: Die Befürworter der Individualbesteuerung argumentieren, sie stärke die Anreize der Partner mit tiefen Beschäftigungsgraden, diese zu erhöhen (und weniger Familienarbeit zu leisten). Doch zugleich senkt sie die Arbeitsanreize der Partner mit hohen Beschäftigungsgraden, diese zu senken, weil ihre Steuerbelastung steigt und sie die reduzierte Familienarbeitszeit des Partners kompensieren müssen. In der Summe drängt die Individualbesteuerung deshalb die beiden Ehepartner vor allem dazu, die Berufs- und Hausarbeit gleichmässiger aufzuteilen. Das ist nicht liberal, sondern nur bevormundend.
Parlament schiebt Verantwortung auf Kantone ab
Sie ist inkonsistent: Wenn die Ehepartner ihre Steuern aufgrund ihres individuellen Einkommens zahlen müssen, sollten sie auch die staatlichen Leistungen wie Sozialhilfe oder Prämienverbilligungen aufgrund ihrer individuellen Einkommen erhalten. Das aber will das Parlament nicht. Bei Paaren mit traditioneller Arbeitsteilung soll der vollzeitangestellte Partner auf seinem gesamten Einkommen besteuert werden, als hätte er keine Verpflichtungen gegenüber seinem in der Familie arbeitenden Partner. Letzterem will es aber die Sozialleistungen für Personen ohne Einkommen mit der Begründung vorenthalten, er habe ja einen Partner, der für ihn aufkomme. Vom Bund wird diese grundlegende Inkonsistenz zwar erkannt, die Verantwortung dafür aber einfach auf die Kantone geschoben, da diese für die Sozialhilfe zuständig seien.
Sie ist realitätsfremd: Bei der Individualbesteuerung müssen nicht nur die Arbeitseinkommen, sondern auch die Vermögenseinkommen und die Vermögen individuell zugerechnet werden. Die Vermögen sollen gemäss den zivilrechtlichen Verhältnissen aufgeteilt werden. Weil sich die Ehepartner steuerfrei beschenken können, können sie grundsätzlich selbst entscheiden, wem was gehört. Um die Einkommen möglichst auszugleichen und so die Steuerlast zu senken, können zwei Ehepartner mit ungleich hohen Arbeitseinkommen die Mehrheit ihrer Vermögenswerte dem Partner mit dem tieferen Arbeitseinkommen überschreiben. Das kann auch ethisch verpackt werden: Weil der im Markt arbeitende Partner den Grossteil des Humankapitals zum Geldverdienen besitzt, soll das Finanzkapital dem im Haushalt arbeitenden Partner gehören. Das bewirkt dreierlei: Erstens drohen im Trennungsfall schwerwiegende rechtliche Konflikte. Zweitens wachsen mit dem Vermögen und dem Vermögenseinkommen eines Paares seine Möglichkeiten, die Steuerlast zu senken, indem es sein Gesamteinkommen gleichmässig verteilt und so ein privates Einkommens- und Steuersplitting betreibt. Drittens können Paare Einkommen und Steuern umso leichter splitten, je stabiler ihre Beziehung ist und je bessere Anwälte sie haben, um potenzielle rechtliche Konflikte abzufedern. Die Individualbesteuerung führt so zu einer starken Steuererhöhung für traditionelle Ehepaare ohne Vermögen (typischerweise junge Familien) und zu einer Steuersenkung für reiche, glückliche Ehepaare.
Neue Schlupflöcher
Sie schafft Schlupflöcher: Die Individualbesteuerung begünstigt kreative Steueroptimierung. So kann sich ein bisher alleinverdienender Partner neu mit seinem Ehepartner als Team mit geteiltem Einkommen anstellen lassen. Viele Arbeitgeber werden dazu bereit sein. Denn hinter vielen Gutverdienenden steht ein starker Ehepartner als Coach, Ideengeber und Sparringspartner. Da ist eine Aufteilung des Lohnes nur gerecht. Genauso werden Selbstständige entdecken, dass ein Teil ihres Einkommens dem Ehepartner gebührt.
Sie ist eine unwürdige Komödie: Bisher hat der Bund die Abschaffung der Ehestrafe sträflich verschlafen. Nun will er dafür einen Totalumbau des Steuersystems, dessen bürokratische Hauptlast die Kantone tragen sollen. Dabei haben alle Kantone die Ehestrafe längst abgeschafft oder stark eingegrenzt, ohne die Individualbesteuerung einzuführen. Offensichtlich gibt es also bessere Lösungen.