Vor 23 Jahren hat die Schweiz die Personenfreizügigkeit eingeführt. Die Skepsis gegenüber dieser Einführung war hierzulande verbreitet, es wurden negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt befürchtet: Die Abschaffung des Inländervorrangs bei Anstellungen werde den Druck auf die Löhne erhöhen und die Arbeitslosigkeit steigen lassen. Und der freie Marktzugang von ausländischen Unternehmungen werde die Arbeitsbedingungen im Gewerbe verschlechtern und die Bereitschaft der Unternehmungen, Lehrlinge auszubilden, vermindern.

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Um solche Fehlentwicklungen zu verhindern, wurden die flankierenden Massnahmen eingeführt. Gleichzeitig schaffte der Bundesrat ein Observatorium zum Freizügigkeitsabkommen: Jährlich berichtet das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) über den Einfluss der Personenfreizügigkeit auf den Arbeitsmarkt, die Sozialversicherungen und die öffentlichen Finanzen. Im Sommer wird voraussichtlich der 21. Bericht erscheinen.

Dank diesen Berichten wissen wir alles über die Personenfreizügigkeit, was von öffentlichem Interesse ist. Die Befürchtungen von vor 23 Jahren haben sich nicht bestätigt. Inländische Personen wurden durch die Zuwandernden nicht verdrängt, die Arbeitslosigkeit der Inländer war im vergangenen Jahrzehnt sehr tief. Die tiefen Löhne haben nach Einführung der Personenfreizügigkeit mit den mittleren Einkommen Schritt gehalten – nicht zuletzt dank den Gesamtarbeitsverträgen und den flankierenden Massnahmen. Die Qualifikationen der aus der Europäischen Union eingewanderten Personen entsprechen dem Bedarf der Wirtschaft. Die Erwerbsbeteiligung der Zuwanderer ist sogar etwas höher als jene der Inländer. Und die im Rahmen der Personenfreizügigkeit zugewanderten Personen belasten weder die Sozialversicherungen noch die Sozialhilfe in stärkerem Ausmass als die Inländer.

Gastautor Gaillard

Der Gastautor

Serge Gaillard ist Ökonom und ehemaliger Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung.

Was aber vergessen ging: Ein Drittel der Nettozuwanderung in die Schweiz erfolgt aus Drittstaaten und nicht aus den Ländern der Europäischen Union. Letztes Jahr sind beispielsweise aus Drittstaaten über 30’000 Personen mehr eingewandert als ausgewandert. Wir wissen sehr wenig über die Auswirkungen dieser Einwanderung auf den Arbeitsmarkt, die Sozialversicherungen und die öffentlichen Finanzen. Statistiken existieren, sie werden aber kaum analysiert und sind auch für Fachleute nicht einfach zugänglich.

In den kommenden Jahren wird die Schweizer Einwanderungspolitik Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen sein. Wir werden über eine Volksinitiative abstimmen, welche die Zuwanderung radikal begrenzen will, damit die schweizerische Bevölkerung die 10-Millionen-Grenze nicht überschreitet. Und wir werden über neue bilaterale Verträge mit der Europäischen Union diskutieren, die auch die Personenfreizügigkeit betreffen.

Um den Informationsstand bezüglich der Drittstaatenzuwanderung zu verbessern, sollte der Bund auch ein Observatorium für die Drittstaatenzuwanderung einführen. Dazu braucht es beim Bund keine neuen Stellen. Das Seco-Team, das die ausgezeichneten jährlichen Berichte zur Personenfreizügigkeit erstellt, ist auch in der Lage, die Folgen der Zuwanderung aus Drittstaaten zu analysieren. Statt im Jahres- im Zweijahresrhythmus: Alle zwei Jahre erscheint ein Bericht zur Personenfreizügigkeit, alle zwei Jahre einer zur Drittstaatenzuwanderung.