Für ihre Teilzeiterwerbstätigkeit musste sich meine Mutter, besonders als ich klein war, oft rechtfertigen – gleichzeitig verdiente sie weniger als ihre männlichen Kollegen mit schlechterer Ausbildung oder weniger Erfahrung. Und dank dem Koordinationsabzug, der bis heute nicht vom Pensum abhängig gemacht wird, kam sie in der Pensionskasse auf keinen grünen Zweig. Für sie persönlich war die Möglichkeit wichtig, mit 62 frühzeitig in Rente zu gehen: eine Entschädigung für die Benachteiligungen, die sie als Frau in ihrem (Arbeits-)Leben erfahren hatte.

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Isabel Martínez arbeitet an der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, ein Schwerpunkt ihrer Forschungsarbeit liegt auf Verteilungsfragen. Die promovierte Ökonomin gehört dem internationalen Forschungsnetzwerk des Volkswirtschaftlers Thomas Piketty an, das eine Weltungleichheitsdatenbank aufbaut: WID.world.

Meine Mutter ist bei weitem kein Einzelfall. Ich verstehe, weshalb das Frauenrentenalter emotional so aufgeladen ist und dass es für viele Frauen um viel mehr geht als um Versicherungsmathematik. Es ist eine Genugtuung für die jahrzehntelange Benachteiligung im Beruf und eine späte Anerkennung der unbezahlten Betreuungsarbeit, die Frauen über ihr Leben verteilt leisten. Wird das Rentenalter auf 65 erhöht, entfällt dieser Ausgleich. Die Linke spricht von einer Reform auf dem Buckel der Frauen.

Doch ich gehöre zu einer anderen Generation. Mein Herz schlägt links, und trotzdem bin ich für eine Angleichung des Rentenalters von Mann und Frau. Ich will kein Faustpfand, ich will Lohngleichheit, jetzt!

Unbezahlte Care-Arbeit soll ganz selbstverständlich auch von Männern geleistet werden und die gesellschaftliche Anerkennung bekommen, die sie verdient (und nein danke, ich will keine Herdprämie).

Für die Ungleichbehandlung von Mann und Frau beim Rentenalter mit herrschenden Geschlechterungleichheiten zu argumentieren, widerspricht dem Grundsatz, Unrecht nicht mit Unrecht zu vergelten.

«Ich will kein Faustpfand, ich will Lohngleichheit, jetzt!»

Und wer einmal die Genderbrille ab- und die Generationenbrille aufsetzt, müsste sowieso für eine Rentenaltererhöhung eintreten. Keiner Generation wird es im Alter so gut gehen wie den heute Siebzigjährigen. Viele, die inzwischen in Rente sind, profitierten in der Pensionskasse von Besitzstandgarantien, die von jüngeren Generationen in einem versteckten Umlageverfahren finanziert wurden – zulasten ihres eigenen Alterskapitals, mit dem Ergebnis, dass sie selber später mit deutlich tieferen Renten aus der zweiten Säule rechnen müssen. Zudem wurden Mindestzinssätze und Umwandlungssätze inzwischen nach unten angepasst.

Gegen Rentenaltererhöhungen fällt oft das Argument, ältere Arbeitnehmende hätten eh schon Mühe, im Erwerbsleben zu bleiben. Bei steigender Lebenserwartung und zunehmender Spezialisierung braucht es flexible Lösungen. Während beispielsweise für körperlich anspruchsvolle Berufe ein frühzeitiger Altersrücktritt möglich sein muss, ist nicht verständlich, weshalb gut verdienende, gesunde und geistig fitte Fach- und Führungskräfte sich früher zur Ruhe setzen sollten.

Rentenalter 67 hiesse, dass diese Arbeitnehmenden (mit typischerweise hohen Löhnen) das System länger finanzieren und weniger lang belasten würden. Dies wiederum würde bedeuten: mehr Umverteilung von oben nach unten statt von Jung zu Alt.