Wie einfach wäre doch Politik, wenn Behördenvertreter wüssten, mit welchen staatlichen Massnahmen die Probleme der fernen Zukunft zu bewältigen sind.

Die Suche nach dem Gral macht auch vor der Wirtschaftspolitik nicht halt. Mit dem in den USA und der EU entfachten Wiederaufschwung der Industriepolitik sollen grosse Herausforderungen zielsicher angepackt werden.

Typischerweise tönen die Programme von Industrieländern – marketingmässig gut verpackt – vielversprechend: «European Green Deal», «US Build Back Better Act», «Japan Green Deal Innovation Fund». Der politische Trend hat auch Sukkurs aus der ökonomischen Forschung.

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Das Narrativ scheint neu, die Rezepte und die Vollzugsprobleme der «Neuen Industriepolitik» bleiben die alten. Die Schweiz ist gut beraten, die milliardenschwere staatlichen Förderprogramme nicht nachahmen zu wollen.

Support durch theoretische Modelle

Die weltweite Debatte um eine Neuauflage der Industriepolitik wird durch wissenschaftliche Arbeiten namhafter Ökonomen wie Daron Acemoglu, Philippe Aghion oder David Hémous akademisch untermauert. Ihre in renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschriften publizierten Erkenntnisse finden richtigerweise Einzug in die Politikgestaltung. Die Rezeption durch internationale Organisationen wie die OECD oder den IMF führt dadurch zu folgenden stilisierten Politikempfehlungen: 

Mit dem Klimawandel steht eine globale zeitkritische Herausforderung an, die nur durch Kooperation gelöst werden kann. 

  • Zur Dekarbonisierung der Weltwirtschaft müssen neue «grüne» Technologien die fossile Energietechnologie «disruptiv» ersetzen. 
  • Disruptive grüne Technologien weisen naturgemäss geringe Marktreife auf. Der vollständige Ertrag fällt erst in ferner Zukunft an. 
  • Für fossile Technologien besteht ein etablierter Markt, welcher unmittelbares Ertragspotenzial für Innovationen verspricht. Unternehmen unterliegen dadurch bei ihrer Innovationstätigkeit einer Pfadabhängigkeit und sind in traditionellen Technologien «gefangen».
  • Eine Bepreisung der Treibhausgase setzt zwar Anreize für Innovationen, welche Treibhausgase reduzieren. Aufgrund der Pfadabhängigkeit müsste der Preis jedoch sehr hoch angesetzt werden. 
  • Optimal ist daher ein Mix aus Lenkungsabgaben auf Treibhausgasemissionen und grüner Innovationsförderung. 

Positiv zu vermerken ist der Umstand, dass in der akademischen Debatte immer noch die Korrektur von Marktversagen der Kompass für industriepolitischen Handlungsbedarf ist. Zu möglichem Marktversagen gehören – neben dem Klima als öffentlichem Gut – insbesondere auch Spillover-Effekte bei der Generierung von Wissen und Innovationen. Die staatliche Förderung insbesondere von Grundlagenforschung ist deshalb ökonomisch nicht bestritten. 

Missionsorientierte Politik als Gral?

Problematischer scheint demgegenüber der politische Diskurs, der sich parallel zur akademischen Debatte entwickelt.

In Anlehnung an die Ökonomin Mariana Mazzucato sind «gesellschaftlichen Missionen» wie dem Klimaproblem mit einer «missionsorientierten» Innovationspolitik zu begegnen. Mit der amerikanischen Mondmission vor Augen (J. F. Kennedy: «Noch vor Ende des Jahrzehnts der erste Mensch auf dem Mond») wird suggeriert, dass ein solches politisches Vorgehen die Innovatoren, Investoren, Unternehmen und Konsumenten von Staates wegen auf eine gemeinsame Linie trimmt und damit die «Märkte der Zukunft» fördert. Die koordinierende staatliche Hand ist gemäss dieser Sichtweise besser als die Marktakteure geeignet, um die drängenden Herausforderungen an die Hand zu nehmen und die Risiken der fernen Zukunft zu schultern. 

Dieses Narrativ einer missionsorientierten Industriepolitik lässt sich unschwer in den Verlautbarungen der politischen Leader in den USA oder der EU erkennen. Davon zeugen beispielsweise die industrie- und klimapolitischen Ziele des US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) oder der kürzlich von der EU-Kommission präsentierte Green Deal Industrial Plan. 

Alter Wein in neuen Schläuchen

So überzeugend die eingangs erwähnten ökonomischen Erkenntnisse sind, so schwierig bleibt deren wirtschaftspolitische Umsetzung. Neben dem Marktversagen droht in der Praxis auch das Gegenstück, das Politikversagen.

Der politische Vollzug erfolgt bekanntlich nicht in einem interessenfreien Raum. Exekutive und Legislative können bei der Festlegung staatlicher Missionen entweder eigene (Bürokratie-)Interessen verfolgen; sie stehen auf jeden Fall unter Beeinflussung von Partikularinteressen. Dazu gehören auch Interessenvertreter der Hochschulen und der Forschung.

Um solche Risiken zu mindern, sind staatliche Missionen unweigerlich einem ausgeklügelten und administrativ aufwendigen staatlichen Aufsichts- und Controllingsystem zu unterstellen. Dadurch entsteht eine neue Bürokratie, die ebenso eigenen Interessen folgt. 

Das Narrativ über gesellschaftliche Missionen vermag auch kein neues Instrumentenset der staatlichen Innovationspolitik hervorzubringen. Die technologieorientierte Förderung übergeordneter Ziele kann entweder über Grundlagenforschung, steuerliche Bevorzugung von Forschungs- und Innovationsaktivitäten, Stärkung der geistigen Eigentumsrechte, Handelserleichterungen – oder durch traditionelle Subventionen erfolgen. 

Man kann es drehen und wenden wie man will: Auch unter dem vielversprechenden Begriff staatlich gelenkter Missionen können Risiken des Politikversagens nicht umschifft werden.

Schon allein in der Klimapolitik bleiben zentrale Steuerungsgrössen unbekannt: Wie verhält es sich mit dem Grenznutzen von staatlichen Beihilfen im dreistelligen Milliardenumfang? Setzen sich tatsächlich Elektroautos als Zukunft der Mobilität durch oder obsiegt angesichts begrenzter Speicherkapazität doch eher die Wasserstofftechnologie?

Die Wahrscheinlichkeit von Fehleinschätzungen ist auf Ebene von Behörden in der Regel höher als dezentral durch den Unternehmenssektor. Bei Letzterem wird Misserfolg auf jeden Fall unmittelbar über die Marktreaktion sanktioniert. Das ist die Stärke der sozialen Marktwirtschaft.