Für die einen gilt die Eigenmietwertbesteuerung als «steuerliche Absurdität», für die anderen ist sie eine «konsequente Anwendung der Steuersystematik» beim Naturaleinkommen. Selbst unter den Redaktoren der NZZ gab es beide Ansichten.
Den Ausschlag für das unerwartet deutliche Ja zur Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung gab die starke Mobilisierung der Hausbesitzer, die profitieren werden. Demgegenüber fühlte sich die Mehrheit der Mieterschaft nicht direkt betroffen und bemühte sich wenig um die komplexe Abstimmungsvorlage.
Der Gastautor
Rudolf Strahm ist ehemaliger Preisüberwacher und Ex-SP-Nationalrat.
Man darf der angenommenen Vorlage zugestehen, dass sie – entgegen den drei gescheiterten Vorgängern – ausgewogen konzipiert war. Denn diesmal war der Systemwechsel nahezu vollständig: Mit der Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung war auch die Abschaffung des Hypothekarzinsabzugs (mit befristeter Ausnahme für Ersterwerber) und die gänzliche Abschaffung der Abzüge für Unterhaltskosten verbunden. Das erschwerte den Gegnern des Systemwechsels die Argumentation. Deren Gegenwerbung blieb fast unsichtbar.
Dieser Systemwechsel war zweifellos eine Umverteilungsvorlage zugunsten der gut betuchten und älteren Hausbesitzer. Der Bund errechnete einen Steuerverlust von rund 2 Milliarden Franken pro Jahr bei den heutigen Zinsen. Dieser Sieg der Hauseigentümer nach einer Serie von Abstimmungsniederlagen trägt allerdings nichts bei zur Bekämpfung der allgemeinen Wohnungsmisere und der Mietpreissteigerung, die der unteren Hälfte der Bevölkerung seit Jahren eine schrumpfende Kaufkraft beschert.
Das Grundproblem ist das Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt. Bei derart massivem, strukturellem Wohnungsmangel in den Wachstums-Hotspots in Städten und Agglomerationen können Mietrecht, Mietpreisdeckel und transparente Anfangsmieten die Mietpreisnot nicht lösen, sondern bestenfalls die schlimmsten Auswüchse bei Immobilieninvestoren eingrenzen.
Wirksame Massnahmen zur Förderung des Wohnungsbaus und von gemeinnützigen oder preisgünstigen Wohnungen mit Kostenmiete scheitern seit Jahren an der Polarisierung zwischen dem Hauseigentümerverband und Investoren einerseits und dem Mieterverband anderseits, der in der Deutschschweiz von grünen baukritischen Leuten geführt wird. Zwei runde Tische von Bundesrat Guy Parmelin sind gescheitert, und die Schuld dafür schiebt man sich gegenseitig zu.
Da ist erstens die Bauverzögerung mittels Einsprachen und Rekursen. Die zahlenmässig häufigsten und oft missbräuchlichen Einsprachen und Rekurse stammen von benachbarten Hauseigentümern, die jeden Schattenwurf als Freiheitsberaubung betrachten. Auch behördliche und verbandliche Einsprachen haben teure Bauverzögerungen zur Folge. In Bundesbern befassen sich vier Bundesämter mit der Bau-, Planungs- und Ortsschutzregulierung. Eigentlich müssten neben Bundesrat Parmelin auch die Chefs der Justiz, der Raumplanung und der schützenswerten Kulturgüter gemeinsam an den Tisch sitzen.
Ein zweiter Elefant im Raum ist die demografische Entwicklung, die mit der Zuwanderung nach ständig mehr Wohnraum ruft. Nach der Erhebung des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO) hingen in den letzten zehn Jahren 60 Prozent aller Haushaltgründungen mit der Zuwanderung zusammen. Der BWO-Chef Martin Tschirren bezeichnete die Zuwanderung mutigerweise als «wichtigsten Treiber». Man kann nicht eine jährliche Nettozuwanderung von 60’000 bis 80’000 Personen verkraften und die Wohnbautätigkeit sich selbst und den «freien» Marktkräften überlassen.
Ein dritter, ungenannter Elefant im Raum ist die Raumplanungspolitik. Das Raumplanungsgesetz 2014 mit der erzwungenen Verkleinerung oder Aufhebung von Bauzonen hat dazu geführt, dass in vielen Gemeinden und Städten die Baulandreserven nun ausgeschöpft sind. Neue Einzonungen werden mit dem Zweiter-Weltkrieg-Mythos der Fruchtfolgeflächenerhaltung blockiert. Bei heutigen Wohnneubauten beträgt der Landpreis 40 bis 50 Prozent der Baukosten!
Städte und Gemeinden verlangen schon lange ein Vorkaufsrecht bei Einzonungen von Bauland. Das gäbe ihnen die Möglichkeit, die Besiedelung rational zu steuern, die Bauteuerung aufzufangen und sowohl den privaten beziehungsweise gemeinnützigen Wohnungsbau als auch das gewerbliche Bauen sicherzustellen. Alle würden profitieren.
In den Verbandsspitzen verhindern Dogmatiker solche Kompromisse, die allen einen Nutzen bringen könnten. Beim Hauseigentümerverband herrscht teils die Ideologie von der unbefleckten Eigentumsfreiheit vor. Und beim Deutschschweizer Mieterverband dominiert teils ein grüner Mythos von der unberührten Natur und Vielfalt. Diese gegenseitige Blockierung ist das Krebsübel. In der Realität gibt es aber in den meisten gut konzipierten Wohnsiedlungen mehr echte Biodiversität als in den benachbarten, totgespritzten Mais- und Rapsfeldern.